Papstmeditation im Volltext: „Wir sind nicht der Ausdruck einer Struktur“
„Liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
die biblischen Lesungen, die wir gehört haben,
regen uns zum Nachdenken an. Mich haben sie sehr zum Nachdenken gebracht. Daraus ist
eine Meditation geworden - für uns Bischöfe und zuerst für mich selbst, einen Bischof
wie ihr. Diese Gedanken möchte ich mit euch teilen.
Es ist bedeutsam und es
freut mich besonders, dass unser erstes Treffen genau hier stattfindet: an dem Ort,
der nicht nur das Grab Petri bewahrt, sondern auch das lebendige Gedächtnis seines
Glaubenszeugnisses, seines Dienstes an der Wahrheit, seiner Hingabe für die Frohe
Botschaft und für die Kirche bis hin zum Martyrium.
Heute Abend wird dieser
Confessio-Altar [der Hauptaltar von Sankt Peter] zu unserem See von Tiberias, an dessen
Ufern wir diesen überraschenden Dialog zwischen Jesus und Petrus hören, mit den Anfragen
an den Apostel. Das muss aber auch in unseren Herzen – als Bischöfe – nachklingen.
„Liebst
du mich“; „Bist du mein Freund?“ (Joh 21:15ff)
Die Frage ist an einen Mann
gerichtet, der sich trotz seiner feierlichen Erklärungen von Angst ergreifen lassen
hat und geleugnet hat.
„Liebst du mich“; „Bist du mein Freund?“
Die
Frage richtet sich an mich und an jeden von euch, an uns alle: Wenn wir es vermeiden,
hastig und oberflächlich zu antworten, dann drängt diese Frage uns, nach innen zu
schauen, sie wirft uns auf uns selbst zurück.
„Liebst du mich“; „Bist du mein
Freund?“
Der, der die Herzen erforscht (Röm 8:27) wird zum Bettler um Liebe
und er stellt uns die einzig wirklich wesentliche Frage, Voraussetzung und Bedingung
dafür, seine Schafe zu weiden, seine Lämmer, seine Kirche. Jeder Dienst ist auf diese
Vertrautheit mit dem Herrn gegründet; in Ihm zu leben ist das Maß unseres kirchlichen
Dienstes, der sich ausdrückt in unserer Verfügbarkeit für den Gehorsam, im sich Erniedrigen,
wie wir im Brief an die Philipper über die völlige Hingabe gehört haben (Phil 2:6-11).
Im
Übrigen ist die Konsequenz aus der Liebe für den Herrn, für Ihn alles hinzugeben –
wirklich alles, bis zum eigenen Leben: Das ist es, was unseren Hirtendienst auszeichnen
muss; das ist der Lackmustest, der zeigt, mit welcher Tiefe wir das uns Gegebene umarmt
haben, auf Jesu Anruf antwortend, und der uns zeigt, wie sehr wir mit den Menschen
und der Gemeinschaft verbunden sind, die uns anvertraut worden sind. Wir sind nicht
der Ausdruck einer Struktur oder einer organisatorischen Notwendigkeit: Auch mit dem
Dienst der Autorität sind wir aufgerufen, Zeichen für die Anwesenheit und für das
Wirken des auferstandenen Herrn zu sein, und so die Gemeinschaft in brüderlicher Liebe
aufzubauen.
Das soll nicht selbstverständlich sein: Wenn sie nicht ständig
genährt wird, schwächt sich auch die größte Liebe ab und sie erlischt. Nicht von ungefähr
ermahnt uns der Apostel Paulus: „Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der
euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche
Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat.“ (Apg
20:28)
Die fehlende Wachsamkeit lässt, wie wir wissen, den Hirten lau werden;
sie lässt ihn abgelenkt sein, vergesslich und sogar unduldsam werden; sie verführt
ihn mit der Aussicht auf Karriere, sie schmeichelt dem Geld und den Kompromissen mit
dem Geist der Welt; sie macht faul, lässt den Hirten zum Funktionär werden, zu einem
Geistlichen, der mit sich selbst beschäftigt ist, mit der Organisation und den Strukturen,
anstatt mit dem wahren Wohl des Volkes Gottes. Er läuft so Gefahr, wie der Apostel
Petrus den Herrn zu verleugnen, auch wenn er formal in seinem Namen handelt und spricht;
er verdunkelt die Heiligkeit der hierarchischen Mutter Kirche, macht sie weniger fruchtbar.
Lieber
Brüder, wer sind wir vor Gott? Was sind unsere Prüfungen? Von denen haben wir viele,
jeder von uns hat seine eigenen. Was will uns Gott durch diese sagen? Was trägt und
unterstützt und dabei, diese zu überwinden?
Wie für Petrus kann uns diese bohrende
und wiederholte Frage Jesu traurig stimmen und uns sehr deutlich bewusst die Schwäche
der Freiheit vor Augen führen, gefährdet von tausend inneren und äußeren Einflüssen,
die häufig Verwirrung schaffen, Frustration und sogar Unglauben.
Es sind sicherlich
nicht diese Gedanken und Haltungen, die der Herr aufkommen lassen will; trotzdem,
diese nutzt der Feind, der Teufel, um die Menschen in Bitterkeit, im Klagen und der
Entmutigung zu isolieren.
Jesus, der gute Hirte, demütigt den Reuigen nicht
und gibt ihn nicht auf: In Ihm spricht die Zärtlichkeit des Vaters, der tröstet und
neu antreibt; er lässt die Schande sich auflösen, denn die Schande löst sich wirklich
im Gefüge von Vertrauen auf; er gibt neuen Mut, vertraut neu Verantwortung an, erteilt
eine neue Sendung.
Petrus kann, im Feuer des Verzeihens gereinigt, sagen: „Herr,
du weißt alles, du weißt, dass ich dich gern habe“ (Johannes 21:17). Ich bin sicher,
dass auch wir alle das von Herzen sagen können. So gereinigt kann uns Petrus in seinem
ersten Brief ermahnen: „Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht
aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern
aus Neigung; seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde!“
(1 Pet 5:2-3)
Ja, Hirt sein bedeutet jeden Tag an die Gnade und die Kraft zu
glauben, die vom Herrn kommt, trotz all unserer Schwäche, und die Verantwortung zu
übernehmen, der Herde voran zu gehen, frei von Lasten die das gesunde apostolische
Vorangehen behindern, und es bedeutet in der Leitung ohne Zögern unsere Stimme hörbar
zu machen, sei es für die, die den Glauben angenommen haben, sei es für die, die „nicht
aus diesem Stall“ sind (Joh 10:16). Wir sind gerufen, den Traum Gottes zu unserem
zu machen, dessen Haus keine Ausschlüsse von Menschen oder Völkern kennt, wie es Jesaja
prophetisch in der ersten Lesung angekündigt hat (Jes 2:2-5).
Hirte sein bedeutet
aber auch, sich darauf einzustellen inmitten der Herde und auch hinter ihr
zu gehen: Fähig zu sein, die stille Geschichte dessen zu hören, der leidet und die
Schritte derer zu stützen, die sich fürchten, sie zu machen; bereit, aufzurichten,
zu ermutigen und neu Hoffnung zu schenken. Aus dem Teilen mit den Armen geht unser
Glauben immer gestärkt hervor: Lassen wir also jede Form von Vermessenheit beiseite
und knien wir vor denen nieder, die der Herr unserem Dienst anvertraut hat. Unter
ihnen reservieren wir den Priestern einen besonderen Platz: Vor allem für sie müssen
unser Herz, unsere Hand und unsere Tür immer und unter allen Umständen offen sein.
Unsere Priester sind die ersten Gläubigen, die wir Bischöfe haben. Lieben wir sie!
Lieben wir sie von Herzen! Sie sind unsere Söhne und unsere Brüder.
Liebe Brüder,
das Glaubensbekenntnis, das wir heute neu gemeinsam sprechen, ist kein formaler Akt,
sondern unsere erneuerte Antwort auf das „Folge mir nach!“, mit dem das Johannesevangelium
endet (Joh 21:19): Es lässt uns das eigene Leben nach dem Willen Gottes gestalten,
sich ganz unserem Herrn Jesus verpflichtend. Von hier erwächst die Urteilsfähigkeit,
die die Gedanken, die Erwartungen und die Notwendigkeiten der Menschen heute kennt
und auf sich nimmt.
In diesem Sinne danke ich jedem von Euch von Herzen für
euren Dienst, für eure Liebe zur Kirche. Und unsere Mutter ist hier und ich stelle
euch und mich selbst unter den Mantel Mariens, unserer Herrin.
Mutter der Stille,
die du den Dienst Gottes wahrst, behüte uns vor der Vergötterung der Gegenwart,
zu der alle, die vergessen, verdammt sind. Reinige die Augen der Hirten mit den
Augentropfen der Erinnerung: Kehren wir zurück zur Frische des Anfangs, zu einer
betenden und reuigen Kirche.
Mutter der Schönheit, die aufblüht in der Treue
der täglichen Arbeit, wecke uns aus der Trägheit der Faulheit, der Engstirnigkeit
und dem Defätismus. Erneuere die Hirten in der Barmherzigkeit, die eint und erfüllt:
So dass wir die Freude einer dienenden, demütigen und geschwisterlichen Kirche entdecken.
Mutter
der Zärtlichkeit, in Geduld und Barmherzigkeit gekleidet, hilf uns die Traurigkeiten,
die Ungeduld und die Starre derer, die das Zusammengehören nicht kennen, zu verbrennen. Tritt
bei deinem Sohn für uns ein so dass unsere Hände, Füße und Herzen flink seien: Lass
uns die Kirche in Wahrheit und Barmherzigkeit aufbauen.
Mutter, lass uns immer
das Volk Gottes sein, das auf das Reich Gottes zu pilgert. Amen.”