2013-04-16 12:25:07

Benedikt XVI.: Ein Papst des Dialogs


RealAudioMP3 Dialog, Gespräch – das war ein Schlüsselwort im Pontifikat von Benedikt XVI. Gott selbst war aus Benedikts Sicht ein Dialog der Liebe, er war nicht nur logos, sondern dia-logos, das lag Benedikts Verständnis der göttlichen Dreifaltigkeit zugrunde; und das Glaubensbekenntnis der Kirche war, wie der deutsche Papst immer wieder ausführte, aus einem Taufgespräch entstanden. Glaubst du das? Ich glaube. Dieser Papst stand zum Dialog, schon von seinem ureigensten theologischen Denken her. Religion gebe es letztlich, wie er schon als Theologieprofessor in seiner „Einführung in das Christentum“ formulierte, „nicht im Alleingang“, schon „die Unterschiedlichkeit der religiösen Begabungen“ zwinge die Menschen doch „ins Zueinander und ins Füreinander hinein“, und Wege zu Gott gebe es letztlich so viele, wie es Menschen gebe.

Das war ein Ja zum Dialog mit anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, um zu einem einheitlichen Zeugnis zu finden. „Die notwendige Bedingung, damit dieses Miteinander sich verwirklichen kann, ist, dass der Einsatz für die Einheit ständig geläutert und erneuert wird, dass er beständig wächst und reift. Dazu kann der Dialog beitragen. Er ist mehr als ein Gedankenaustausch, ein akademisches Unterfangen: Er ist ein Austausch von Gaben...“ (Ansprache bei einem ökumenischen Treffen in Köln, 2005). Dialog also nicht nur am grünen Tisch, sondern als Zusammenleben. Das hieß bei Benedikt XVI. aber nicht, dass unangenehme Themen ausgespart werden durften – und das zeigte sich vor allem bei seinem Dialog mit anderen Religionen: „Ehrlicherweise kann es in diesem Dialog nicht darum gehen, die bestehenden Unterschiede zu übergehen oder zu verharmlosen: Auch und gerade in dem, was uns aufgrund unserer tiefsten Glaubensüberzeugung voneinander unterscheidet, müssen wir uns gegenseitig respektieren und lieben“ (Ansprache in der Kölner Synagoge, 2005).

„Wir drängen unseren Glauben niemandem auf“

Dialog, ob ökumenischer oder interreligiöser, reimte sich für Benedikt XVI. nicht auf Beliebigkeit. Er stand auch nicht im Widerspruch zur Mission, zum deutlichen Bekenntnis des eigenen Glaubens. „Wir drängen unseren Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus ist dem Christlichen zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die Freiheit der Menschen, die rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm Gehör zu schenken“ (Predigt in München, 2006). Ja, der Dialog selbst war Bekenntnis: Die Gesprächspartner sollten, trotz ihrer Unterschiede, die Gottesfrage in gleichgültigen Gesellschaften wachhalten. Sie sollten auf ihr jeweiliges Gottesbild hinweisen und dadurch die Schwerhörigkeit des modernen Menschen gegenüber dem Glauben überwinden. „Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich, nicht mehr in unsere Zeit hereinpassend. Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott gegenüber verliert sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen. Auf diese Weise aber fehlt uns eine entscheidende Wahrnehmung. Unsere inneren Sinne drohen abzusterben. Mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in bedrohlicher Weise reduziert... Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott“ (ebd.).

Trotz Dialog auf Augenhöhe, trotz ernster Suche nach der Wahrheit, die keiner per se „besitzt“: Benedikt XVI. fand nun auch wieder nicht, dass eine Religion so gut sei wie die andere. Religionen könnten „Pathologien“ mit sich bringen und „lebensgefährliche Erkrankungen“, ihr Gottesbild könne „durch Hass und Fanatismus“ entstellt werden, und genau darum sei es wichtig, dass Christen im Gespräch der Religionen klar zum „menschlichen Antlitz Gottes“ stünden. „Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen, wir verletzen nicht die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegengestellt hat; der dem Bösen und seiner Macht gegenüber als Grenze und Überwindung sein Erbarmen aufrichtet“ (ebd.). Christen seien nun mal davon überzeugt, dass sie durch Jesus Christus „in die Berührung mit Gott kommen“. „In der Zeit der multireligiösen Begegnungen sind wir leicht versucht, dieses zentrale Bekenntnis etwas abzuschwächen oder gar zu verstecken. Aber damit dienen wir der Begegnung nicht und nicht dem Dialog. Damit machen wir Gott nur unzugänglicher, für die anderen und für uns selbst. Es ist wichtig, dass wir unser Gottesbild ganz und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen!“ (Predigt bei einer ökumenischen Vesper in Regensburg, 2006).

Trotz Krisen: Erfolge im Dialog mit Islam

An den Islam stellte der Theologenpapst sehr deutlich die Frage nach seinem Verhältnis zur Gewalt und zur Vernunft. Am pointiertesten tat er dies, mit dem Zitat eines byzantinischen Herrschers, in der nachgerade berüchtigten Regensburger Vorlesung von 2006: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“ (Regensburger Rede, 2006). In Teilen der islamischen Welt führte das zu Protest-Demos und Gewalt gegen Christen, aber auch zu Selbstkritik und zu überraschenden neuen Gesprächs-Initiativen. Benedikt bekräftigte seinen Respekt dem Islam gegenüber, u.a. bei Besuchen in Moscheen in Istanbul oder Amman. Deutlich wurde er trotzdem, immer wieder. „In verschiedenen Teilen der Welt wiederholen sich fortlaufend terroristische Aktionen, die Menschen in Kummer und Verzweiflung stürzen. Die Ersinner und Planer dieser Attentate zeigen, dass sie unsere Beziehungen vergiften, das Vertrauen zerstören wollen. Sie bedienen sich aller Mittel, sogar der Religion, um jedem Bemühen um ein friedliches, entspanntes Zusammenleben entgegenzuwirken... Wenn es uns gemeinsam gelingt, das Haßgefühl aus den Herzen auszurotten, uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns jeder Manifestation von Gewalt zu widersetzen, dann werden wir gemeinsam die Welle des grausamen Fanatismus aufhalten, die das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzt und den Fortschritt des Friedens in der Welt behindert. Die Aufgabe ist schwer, aber nicht unmöglich“ (An Muslime in Köln,2005).

Muslime in Deutschland forderte der Papst sogar überraschend konkret auf, sich zum Grundgesetz zu bekennen: „In Deutschland – wie in vielen anderen, nicht nur westlichen Ländern – ist dieser allgemeine Bezugsrahmen durch die Verfassung vorgegeben, deren rechtlicher Gehalt für jeden Bürger verbindlich ist, sei er nun Mitglied einer Glaubensgemeinschaft oder nicht. Sicher ist die Diskussion über die beste Formulierung von Prinzipien wie der öffentlichen Religionsausübung weitgreifend und immer offen, allerdings ist die Tatsache bedeutsam, dass das deutsche Grundgesetz sie nun schon seit über 60 Jahren in einer bis heute gültigen Weise zum Ausdruck bringt“ (Ansprache an Muslime in Berlin, 2011). Der Dialog mit dem Islam ist unter Benedikt, trotz der Regensburg-Krise, eher ernsthafer, auch ehrlicher geworden als unter dem Vorgänger Johannes Paul.

„Wer Christus begegnet, begegnet dem Judentum“

Am nächsten von allen nichtchristlichen Religionen stand diesem Papst das Judentum: Die Kirche fühle einen „tiefen Zusammenhang mit den Juden“, sagte er bei einem Besuch in der römischen Synagoge, anders als die anderen nichtchristlichen Religionen sei der jüdische Glaube eine gültige „Antwort auf die Offenbarung Gottes“. Kein Papst seit Petrus hat so oft Synagogen besucht wie Benedikt. In der Kölner Synagoge brachte er 2005 das Gemeinsame auf den Punkt: „Sowohl die Juden als auch die Christen erkennen in Abraham ihren Vater im Glauben (vgl. Gal 3,7; Röm 4,11f.) und berufen sich auf die Lehren Moses’ und der Propheten. Die Spiritualität der Juden wird wie die der Christen aus den Psalmen gespeist. Mit dem Apostel Paulus sind wir Christen überzeugt, dass »Gnade und Berufung, die Gott gewährt, unwiderruflich sind« (Röm 11,29; vgl. 9,6.11; 11,1f.)... Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum.“ (In der Kölner Synagoge) Und ausgerechnet in Berlin, der Stadt, von der aus einmal die Vernichtung des Judentums versucht wurde, formulierte der deutsche Papst 2011: „Für Christen kann es keinen Bruch im Heilsgeschehen geben. Das Heil kommt nun einmal von den Juden (vgl. Joh 4,22)“ (Ansprache in der Kölner Synagoge, 2005).

Skeptischer war Benedikt den nicht-monotheistischen Religionen gegenüber. In Hinduismus und Buddhismus etwa erscheine Gott doch, wie er als Kardinal im Gesprächsbuch Gott und die Welt sagte, „als Negation“ und habe der Welt „positiv, konstruktiv letzten Endes auch nichts mehr zu sagen“. Das buddhistische Ziel des Nirwana vertrage sich nicht mit christlicher Weltbejahung und christlichem Dreifaltigkeitsglauben: Gott habe „die Person nicht geschaffen, damit sie aufgelöst werde, sondern damit sie sich öffne in ihre ganze Höhe und in ihre äußerste Tiefe“ (aus: Gottes Glanz in unserer Zeit).

„Ökumenische Geschwisterlichkeit ist kein vages Gefühl“

Kein leichtes Kapitel: Benedikt XVI. und der Dialog mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Schon dass er in seiner Zeit als Kardinal den meisten aus der Reformation hervorgegangenen Gruppierungen das Kirchesein absprach, hatte viele gegen ihn aufgebracht. Die lutherische Bischöfin Margot Käßmann erwartete denn auch in ökumenischer Hinsicht schlechthin „nichts“ von Papst Ratzinger. Der Punkt war: Benedikt war selbst Deutscher und kannte seine Protestanten deshalb gut – vielleicht zu gut. „Da ich selbst aus diesem Land komme, weiß ich um die Tragik, welche die Glaubensspaltung über viele Menschen und über viele Familien gebracht hat...“ (Ökumenische Begegnung in Köln, 2005). Es sei ja gut und schön, dass Christen im „Ursprungsland der Reformation“ sich inzwischen als Geschwister sähen, aber: „Die Geschwisterlichkeit unter den Christen ist nicht einfach ein vages Gefühl, und ebensowenig entspringt sie aus einer Art Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit...“ (ebd.). Ökumenische Fortschritte dürften nicht durch „Taktiken“ oder „Strategien“ erschummelt werden, auf das zähe Ringen um die Wahrheit komme es an. Und auf einen Wettstreit der christlichen Lebensweisen. „Man könnte auch sagen: Die beste Form des Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben.“ Subtext: Und nicht darin, ständig nach eucharistischer Gastfreundschaft zu rufen.

Ziel aller ökumenischen Gespräche bleibe die Einheit der Christen, daran erinnerte dieser Papst lutherische Gesprächspartner unbeirrt. Die Einheit bedeute nicht, dass die Protestanten sozusagen zur katholischen Kirche zurückkommen müssten – doch sie könne auch kein Aufgehen im Beliebigen bedeuten. „Diese Einheit besteht zum einen nach unserer Überzeugung unverlierbar in der katholischen Kirche; die Kirche ist ja nicht überhaupt verschwunden aus der Welt“ (ebd.). Schlaue Dialoge oder vorwegnehmende Gesten seien nicht dazu imstande, echte Einheit sozusagen herbeizuzwingen: „Allein mit unseren eigenen Kräften können wir die Einheit nicht »machen«. Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen Geistes... Ich bin überzeugt: Wenn sich eine wachsende Anzahl von Menschen von innen her zutiefst dem Gebet des Herrn, »dass alle eins seien« (Joh 17,21), anschließt, dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen“ (Ökumenische Begegnung in Köln, 2005).

„In den Spaltungen das Fruchtbare annehmen“

Vielleicht sollten die Christen, so hatte Papst Benedikt schon in seiner Zeit als Kardinal vorgeschlagen, erst einmal „versuchen, durch Verschiedenheit Einheit zu finden, das heißt: in den Spaltungen das Fruchtbare annehmen und sie entgiften“ – natürlich in der Hoffnung, „dass am Ende die Spaltung überhaupt aufhört, Spaltung zu sein und nur noch Polarität ohne Widerspruch ist“. Ein „fortwährendes Wachstum in der Einheit“ also, „ohne sie unter den allzu menschlichen Erfolgsdruck des Endziels zu stellen“ und ohne „dem anderen etwas aufdrängen zu wollen, was ihn – noch – im Kern seiner christlichen Identität bedroht“ (alle Zitate aus: Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften, Bd. 8/2).

Dieses ökumenische Konzept setzte ganz auf die Geduld. Ob es vielversprechend ist für eine Einheit mit den Kirchen der Reformation? Darüber wagte Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. „angesichts der ungeheuren Vielschichtigkeit des Weltprotestantismus“ keine Vorhersage. „In Deutschland haben wir, wenn ich recht weiß, drei größere Gemeinschaften: Lutheraner, Reformierte, Preußische Union. Dazu bilden sich im Großmaß jetzt auch Freikirchen und innerhalb der klassischen Kirchen Bewegungen wie die „Bekennende Kirche" und so weiter. Es ist also auch ein vielstimmiges Gefüge, mit dem wir in Respekt vor den vielen Stimmen und in der Suche nach der Einheit in Dialog treten und in Zusammenarbeit kommen müssen“ (Interview von Radio Vatikan u.a. mit dem Papst, 2006).

Besonders am Herzen lag dem deutschen Papst offenbar der Dialog mit den Orthodoxen. „Seit meiner Zeit als Professor in Bonn und dann besonders als Erzbischof von München und Freising habe ich durch Freundschaft mit Vertretern der orthodoxen Kirchen die Orthodoxie immer tiefer kennen- und liebengelernt“ (Ansprache an Orthodoxe in Freiburg, 2011). Dem russisch-orthodoxen Patriarchen von Moskau ist er, so war das schon dem Vorgänger Johannes Paul ergangen, trotz aller Bemühungen nie begegnet; umso öfter und vertrauensvoller aber dem Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, dem Ökumenischen Patriarchen von Istanbul.

Trotz aller Irritationen, trotz aller Turbulenzen im Verhältnis zu anderen Kirchen und Religionen: Benedikt XVI. stand aus tiefster Überzeugung zum Gespräch. Er hat die bisherigen Dialoge nicht nur fortgesetzt, er hat sie auch um eine entscheidende Komponente bereichert, nämlich um das Gespräch mit Nichtglaubenden. Diese durften auf Augenhöhe am Friedensgebet der Religionen 2012 in Assisi teilnehmen.

(rv 12.04.2013 sk)








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