2013-04-05 13:51:08

D: Neue Ansätze in der Krankenseelsorge


RealAudioMP3 Palliative Care ist mittlerweile den meisten Menschen ein Begriff. Gemeint ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und deren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, so die Definition der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2002. Mittel dazu sind Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.

Nur wenigen Menschen ist hingegen ein Teilbereich der Palliative Care bekannt: das Spiritual Care, Die Akzeptanz des Menschen als spirituelles Wesen und der damit einhergehende Einfluss auf die Krankheitsbewältigung. Am Münchner Klinikum Großhadern wurde im Jahr 2010 eine Stiftungsprofessur eingerichtet, die von Eckhard Frick und Traugott Roser – einem Jesuiten und Facharzt für Psychiatrie sowie einem evangelischen Theologen – besetzt ist. Die Professur Spiritual Care ist eingebettet ins interdisziplinäre Zentrum für Palliativmedizin im Klinikum Großhadern, das eines der größten Universitätskrankenhäuser (Ludwig-Maximilians-Universität München) Deutschlands darstellt. Wir haben Eckhard Frick gebeten, uns zu erklären, worum es sich bei Spiritual Care genau handelt:

„Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation gehört zu Palliative Care nicht nur die Sorge um körperliche Beschwerden, Schmerzen vor allem aber auch Atemnot und ähnliche Probleme, sondern auch der psychosoziale Bereich der Patienten und ihrer Angehörigen, und eben auch das Spirituelle. Das ist etwas ganz neues in der Medizingeschichte, dass ein Fach beschrieben wird als sowohl körperliche Sorge im medizinischen, althergebrachten Sinn, als auch im Sinne einer psychosozialen und spirituellen Sorge. Deshalb gibt es die Professur für Spiritual Care innerhalb des interdisziplinären Zentrums für Palliativmedizin, um diese Bereiche zu erforschen und zu lehren.“

Das klingt in einer Zeit, in der die Mittel für Gesundheit immer stärker gekürzt werden, sehr nach Luxus. Wie kann man sich die Finanzierung von Spiritual Care vorstellen?

„Dieses Argument hören wir sehr oft, es gibt jedoch auch Studien, die zeigen, dass zufriedene Patienten im Hinblick auf ihre Spiritualität, also Patienten, die sich durch ihre Ärzte und Krankenschwestern auch als spirituelle Wesen wahrgenommen wissen, letztlich weniger Kosten verursachen. Das ist erstaunlich. Das hängt damit zusammen, dass Unzufriedenheit teilweise zu falschen Entscheidungen führt, zum Beispiel zu einer verspäteten Einleitung der Palliativmedizin. Es werden also Behandlungen fortgeführt, die gar nicht mehr erforderlich oder teilweise sogar schändlich sind. Wenn ein Patient ganzheitlich wahrgenommen wird, wozu auch das Spirituelle gehört, ist er oder sie zufriedener, und, das ist ein Nebenargument, die Behandlung ist sogar insgesamt preisgünstiger.“

Sie sprechen von Spiritualität, sind aber gleichzeitig auch Jesuit. Was für eine Rolle spielt Religiosität dabei?

„Wir verstehen in der Medizin Spiritualität in einem sehr weiten Sinn. Das heißt, auch Menschen, die nicht zu einer Religionsgemeinschaft gehören, sind spirituelle Wesen. Sie fragen danach, was jenseits der Grenzen unseres Lebens ist. Manche mit religiösen Antworten aus ihrer Religionsgemeinschaft, manche auch mit anderen Antworten. Das bedeutet, dass wir in der Medizin nicht ein Glaubensbekenntnis abfragen und uns nur um gläubige Menschen kümmern, sondern jeder Patient hat das Recht auf die eigene spirituelle Suche. Wir wissen heute, dass sich diese spirituelle Suche auch auf die Krankheitsverarbeitung, auf die Lebensqualität auswirkt. Das kann problematisch sein, kann aber auch ein hilfreicher Einfluss sein. Deshalb müssen sich auch Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegepersonal für das Spirituelle interessieren.“

Diese Professur ist ja ursprünglich als Stiftungsprofessur gegründet worden; wie wird es denn nun weitergehen und gibt es denn auch Pläne, so eine Professur auch in anderen Teilen Deutschlands zu etablieren?

Wir sind eine experimentelle Professur, das heißt, wir sind befristet. Wir bemühen uns natürlich redlich, in diesen fünf Jahren etwas zu leisten - es liegt aber nicht an uns zu entscheiden, ob die Professur fortgeführt wird, das ist eine Frage, die die Universität beantworten muss. Es gibt in der Tat andere Orte, an denen ähnliches versucht wird; ich weiß, dass das in Zürich in der Schweiz der Fall ist, auch an der Universität Witten-Herdecke gibt es eine ähnliche Professur – wie es mit uns weiter geht, wird die Zukunft zeigen.“

Können Sie uns vielleicht ein besonderes Erlebnis aus der Zeit schildern, die Sie bereits diese Professur innehaben?

„Ein besonderes Erlebnis ist immer, wenn ich bei den Studierenden, also bei jungen Menschen, die zum ersten Mal mit Palliativmedizin konfrontiert werden, merke, wie sie den Bereich des Spirituellen oft auch mit großen Widerständen entdecken. Wenn sie dann plötzlich merken, worum es geht. Es fällt ihnen dann teilweise wie Schuppen von den Augen, wenn sie sich dessen bewusst werden, dass es eben nicht um Kirchenzugehörigkeit geht, sondern um eine ganz tiefe, existentielle Dimension des Menschseins. Es ist eine sehr schöne Erfahrung, wenn junge Menschen das im Unterricht entdecken.“

(rv 05.04.2013 cs)








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