Palliative Care ist
mittlerweile den meisten Menschen ein Begriff. Gemeint ist ein Ansatz zur Verbesserung
der Lebensqualität von Patienten und deren Familien, die mit Problemen konfrontiert
sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, so die Definition der
Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2002. Mittel dazu sind Vorbeugen und Lindern
von Leiden durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von
Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller
Art.
Nur wenigen Menschen ist hingegen ein Teilbereich der Palliative Care
bekannt: das Spiritual Care, Die Akzeptanz des Menschen als spirituelles Wesen und
der damit einhergehende Einfluss auf die Krankheitsbewältigung. Am Münchner Klinikum
Großhadern wurde im Jahr 2010 eine Stiftungsprofessur eingerichtet, die von Eckhard
Frick und Traugott Roser – einem Jesuiten und Facharzt für Psychiatrie sowie einem
evangelischen Theologen – besetzt ist. Die Professur Spiritual Care ist eingebettet
ins interdisziplinäre Zentrum für Palliativmedizin im Klinikum Großhadern, das eines
der größten Universitätskrankenhäuser (Ludwig-Maximilians-Universität München) Deutschlands
darstellt. Wir haben Eckhard Frick gebeten, uns zu erklären, worum es sich bei Spiritual
Care genau handelt:
„Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation
gehört zu Palliative Care nicht nur die Sorge um körperliche Beschwerden, Schmerzen
vor allem aber auch Atemnot und ähnliche Probleme, sondern auch der psychosoziale
Bereich der Patienten und ihrer Angehörigen, und eben auch das Spirituelle. Das ist
etwas ganz neues in der Medizingeschichte, dass ein Fach beschrieben wird als sowohl
körperliche Sorge im medizinischen, althergebrachten Sinn, als auch im Sinne einer
psychosozialen und spirituellen Sorge. Deshalb gibt es die Professur für Spiritual
Care innerhalb des interdisziplinären Zentrums für Palliativmedizin, um diese Bereiche
zu erforschen und zu lehren.“
Das klingt in einer Zeit, in der die Mittel
für Gesundheit immer stärker gekürzt werden, sehr nach Luxus. Wie kann man sich die
Finanzierung von Spiritual Care vorstellen?
„Dieses Argument hören wir sehr
oft, es gibt jedoch auch Studien, die zeigen, dass zufriedene Patienten im Hinblick
auf ihre Spiritualität, also Patienten, die sich durch ihre Ärzte und Krankenschwestern
auch als spirituelle Wesen wahrgenommen wissen, letztlich weniger Kosten verursachen.
Das ist erstaunlich. Das hängt damit zusammen, dass Unzufriedenheit teilweise zu falschen
Entscheidungen führt, zum Beispiel zu einer verspäteten Einleitung der Palliativmedizin.
Es werden also Behandlungen fortgeführt, die gar nicht mehr erforderlich oder teilweise
sogar schändlich sind. Wenn ein Patient ganzheitlich wahrgenommen wird, wozu auch
das Spirituelle gehört, ist er oder sie zufriedener, und, das ist ein Nebenargument,
die Behandlung ist sogar insgesamt preisgünstiger.“
Sie sprechen von Spiritualität,
sind aber gleichzeitig auch Jesuit. Was für eine Rolle spielt Religiosität dabei?
„Wir
verstehen in der Medizin Spiritualität in einem sehr weiten Sinn. Das heißt, auch
Menschen, die nicht zu einer Religionsgemeinschaft gehören, sind spirituelle Wesen.
Sie fragen danach, was jenseits der Grenzen unseres Lebens ist. Manche mit religiösen
Antworten aus ihrer Religionsgemeinschaft, manche auch mit anderen Antworten. Das
bedeutet, dass wir in der Medizin nicht ein Glaubensbekenntnis abfragen und uns nur
um gläubige Menschen kümmern, sondern jeder Patient hat das Recht auf die eigene spirituelle
Suche. Wir wissen heute, dass sich diese spirituelle Suche auch auf die Krankheitsverarbeitung,
auf die Lebensqualität auswirkt. Das kann problematisch sein, kann aber auch ein hilfreicher
Einfluss sein. Deshalb müssen sich auch Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegepersonal für
das Spirituelle interessieren.“
Diese Professur ist ja ursprünglich als
Stiftungsprofessur gegründet worden; wie wird es denn nun weitergehen und gibt es
denn auch Pläne, so eine Professur auch in anderen Teilen Deutschlands zu etablieren?
„Wir
sind eine experimentelle Professur, das heißt, wir sind befristet. Wir bemühen uns
natürlich redlich, in diesen fünf Jahren etwas zu leisten - es liegt aber nicht an
uns zu entscheiden, ob die Professur fortgeführt wird, das ist eine Frage, die die
Universität beantworten muss. Es gibt in der Tat andere Orte, an denen ähnliches versucht
wird; ich weiß, dass das in Zürich in der Schweiz der Fall ist, auch an der Universität
Witten-Herdecke gibt es eine ähnliche Professur – wie es mit uns weiter geht, wird
die Zukunft zeigen.“
Können Sie uns vielleicht ein besonderes Erlebnis
aus der Zeit schildern, die Sie bereits diese Professur innehaben?
„Ein
besonderes Erlebnis ist immer, wenn ich bei den Studierenden, also bei jungen Menschen,
die zum ersten Mal mit Palliativmedizin konfrontiert werden, merke, wie sie den Bereich
des Spirituellen oft auch mit großen Widerständen entdecken. Wenn sie dann plötzlich
merken, worum es geht. Es fällt ihnen dann teilweise wie Schuppen von den Augen, wenn
sie sich dessen bewusst werden, dass es eben nicht um Kirchenzugehörigkeit geht, sondern
um eine ganz tiefe, existentielle Dimension des Menschseins. Es ist eine sehr schöne
Erfahrung, wenn junge Menschen das im Unterricht entdecken.“