Sequentia – Ensemble
for medieval music: Hildegard von Bingen (sämtliche Kompositionen auf CD). Eine
Empfehlung von Stefan Kempis.
Schade, dass es vom heiligen Franziskus, dem
„Namenspatron“ des neuen Papstes, keine eigenen Vertonungen seiner Dichtungen gibt!
Aber immerhin haben wir ja die (zeitlich etwas älteren) Kompositionen der heiligen
Hildegard von Bingen. Diese außergewöhnliche Frau des 12. Jahrhunderts, die Christusvisionen
hatte, über Medizin und Naturwissenschaften forschte, Kaisern ins Gewissen redete
und eine eigene Sprache erfand, hat auch komponiert: Sie gehört zu den äußerst seltenen
Musikern ihrer Zeit, deren Namen, deren Oeuvre wir kennen. Und die Gruppe „Sequentia“,
Spezialistin für mittelalterliche Musik vor 1300, hat ihr Werk auf CD herausgebracht:
77 Gesänge verschiedener Gattungen, zum Beispiel Hymnen und Antiphonen (manchmal ist
die Gattung auch nicht ganz klar), sowie ein Geistliches Singspiel.
Hildegard
vertonte eigene, religiöse Texte; sie erhob den Anspruch, zu ihren Visionen himmlische
Musik gehört und diese in der damals noch relativ neuen Vierlinien-Notenschrift aufgezeichnet
zu haben. Zwei große Kodizes aus den sechziger Jahren des 12. Jahrhunderts haben die
Kompositionen in die Neuzeit hinübergerettet. Lange hielten die Forscher es für unmöglich,
dass die Kompositionen der Äbtissin aus der Pfalz in der Liturgie ihrer Schwestern
gesungen wurden; doch genau davon geht man mittlerweile aus. Vom normalen gregorianischen
Gesang der Zeit unterscheiden sich die Kompositionen deutlich, manche glauben diesen
Klängen ihre Ausnahmepersönlichkeit anhören zu können. Typisch ist die breite Spannweite
von ganz tiefen zu ganz hohen Tönen: Sie will, wie in der Beschreibung ihrer Visionen,
das Unsagbare ausdrücken. Nach ihrem Verständnis weist die Musik auf etwas Höheres,
sie bringt die von Gott geschaffene Harmonie der Schöpfung zum Klingen. Musik als
Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Schöpfer und Schöpfung.
Die Kirchenmusikerin
Barbara Stühlmeyer sieht Hildegards Kompositionen als einen weiteren Nachweis ihrer
„menschenfreundlichen Theologie“. „Entgegen dem Mainstream, in dem die Sünde Evas
allen Frauen angerechnet wurde, ließ Hildegard ihre Schwestern (in einem Mariengesang)
singen: DenTod, den eine Frau gebracht, hat eine lichte Jungfrau überwunden. Darum
ruht höchster Segen auf der Gestalt der Frau vor aller Kreatur.“
Veröffentlicht
von der Deutschen Harmonia Mundi, ca. 32 Euro.