2013-03-21 15:02:46

Menschenrechtsexperte Huhle über Diktaturen in Lateinamerika


RealAudioMP3 Lateinamerikas Vergangenheit ist vielfach von Militärdiktaturen geprägt. Nach der Wahl eines Argentiniers zum Papst steht jetzt die Rolle der Kirche in seiner Heimat zur Zeit der Militärdiktatur in den siebziger und achtziger Jahren im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Damals war der heutige Papst Franziskus weder Kardinal noch Bischof, sondern er leitete als Provinzial den Jesuitenorden in Argentinien. Zur damaligen Situation sagt im Gespräch mit Radio Vatikan Rainer Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ):

„Argentinien hat im Laufe seiner Geschichte viele Diktaturen und Diktatoren erlebt. Aber die Diktatur, die 1976 an die Macht kam und bis 1983 im Sattel saß, war sicherlich eine ganz besondere – und zwar besonders schlimme – aber auch neuartige Diktatur, die allenfalls in dem Putsch von General Augusto Pinochet drei Jahre vorher in Chile vielleicht ein Vorbild haben könnte. Es handelte sich um Diktaturen, die zum ersten Mal wirklich den Versuch übernommen haben, sich das ganze Land zu unterwerfen – alle Bereiche des zivilen Lebens in Argentinien oder auch in Chile unter ihre Herrschaft zu bringen. In diesem Sinn hatte es fast totalitäre Ansprüche, vorher gab es zwar teils blutige und autoritäre Regime, doch große Teile der Bevölkerung waren davon nicht betroffen.“

Es war die Zeit des Kalten Krieges. Die USA hätten damals eine große Rolle gespielt, indem sie die Dikaturen finanziell oder mit Waffenlieferungen unterstützten, so Huhle. Auf der anderen Seite begannen Militärangehörige unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit, innenpolitisch aktiv zu werden. Zur Rolle der katholischen Kirche auf den lateinamerikanischen Kontinent in dieser Zeit sagt Huhle:

„Die katholische Kirche war damals auf dem gesamten Kontinent tief gespalten. Es gab eine starke Strömung der sogenannten ,Theologie der Befreiung‘ und andere Theologien, die ausgesprochen antiautoritär und sehr biblisch orientiert waren. Und es gab die traditionelle Kirche, die sich über die Jahrhunderte – seit der spanischen Eroberung – mit den jeweiligen Regierungen arrangiert hatte und die im Grunde ein Teil der Machtelite gewesen ist.“

Auf diese Diktaturen hätten alle Kirchen in Lateinamerika sehr unterschiedlich reagiert. Man sehe das sehr deutlich, wenn man ihre Rolle in Chile und Argentinien vergleiche, so Huhle.

„Während die katholische kirchliche Hierarchie in Chile sich nach wenigen Tagen des Zögerns auch sehr stark auf die Seite der Unterdrückten und der Opfer dieser Diktatur geschlagen, eine intensive Betreuung für die Opfer gemacht und Rechtshilfe geleistet sowie Kirchenasyl gewährleistet hat, kann man leider Ähnliches von der argentinischen Kirche nicht sagen. Da waren die Priester und Bischöfe, die sich gegen die Diktatur gestellt haben, eine winzige kleine Minderheit. Und entsprechend wurde die auch verfolgt, während der überwiegende Teil der Amtskirche sich mehr oder weniger gut mit dem Regime arrangiert hat.“

Es gab auch schon mehrere große Reuebekenntnisse der Bischofskonferenz und kirchlicher Einrichtungen. Vorbildlicher sei die argentinische Gesellschaft mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit umgegangen.

„In vielerlei Hinsicht ist Argentinien sogar auf dem ganzen Kontinent ein Vorbild für den Umgang mit der Vergangenheit. In Argentinien wurde bereits unmittelbar nach dem Ende der Diktatur – sie brach zusammen durch den verlorenen Krieg um die Falkland-Inseln bzw. Malvinen – mit einer zivilen Regierung eine Kommission eingesetzt, die einen großen Teil der Verbrechen der Diktatur dokumentierte. Da gibt es den berühmten Bericht ,Nunca mas – nie wieder!‘ Danach gab es auch eine Reihe von großen Prozessen gegen die wichtigsten Vertreter der Diktatur. Es gab auch Rückschläge und Amnestien. Heute gibt es aber wohl kaum ein Land in Lateinamerika, in dem so viele Gerichtsverfahren gegen die Vertreter der Diktatur in Gang gekommen sind, wie in Argentinien.“

(rv 21.03.2013 mg)








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