Von unserem Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord SJ
Das Ofenrohr
in der Sixtinischen Kapelle war noch nicht kalt, da war der Kampf um die Deutungshoheit
schon im vollen Gang. Drauflos wurde erklärt, was da im Konklave, im Vatikan und unter
den Kardinälen passiert sei.
Holen wir erst einmal etwas Luft. Franziskus ist
noch nicht 24 Stunden Papst. Er hat durch seine Namenswahl und sein Auftreten ganz
starke Aussagen gemacht, auch die Gebetsbitte für sich und seinen Vorgänger waren
geistliche Zeichen auf sein Pontifikat hin.
Es wird sich viel ändern, er wird
viel ändern. Und auch wir müssen uns ändern. Dringend.
Zum Ersten hat uns Franziskus
bewiesen, dass unsere Kategorien von „konservativ“ und „progressiv“ nicht mehr stimmen.
Es ist ja ein altes Lied auf diesem Blog, aber ich stimme es noch einmal an: Was wir
in unserer Kirche und nicht nur da unter diesen Begriffen verstehen, trifft schon
längst nicht mehr die Realität. Und genau das ist das Problem mit diesen Kategorien:
Sie sollen uns helfen, zu verstehen, verwirren aber nur noch. Sie ver-unmöglichen
es, zu sehen. Sie verstellen den Blick.
Wenn man zum Beispiel seinen Einsatz
für Gerechtigkeit, das Anprangern von Ausbeutung etc. sieht, dann muss man ihn einen
fortschrittlichen Papst nennen. Wenn man seine moraltheologischen Ansichten zitiert,
dann wird jeder deutschsprachige Journalist ihn einen Konservativen nennen. Das Ergebnis:
Eine gespaltene Persönlichkeit.
Könnten wir den Papst selber dazu befragen,
würde er – und viele andere mit ihm – verwundert den Kopf schütteln und uns fragen,
wie wir darauf kämen, diese Dinge voneinander zu trennen. Für den Blick Lateinamerikas,
Afrikas und anderer Teile der Welt gehören Schutz des Lebens und Fragen der Gerechtigkeit
untrennbar zusammen, sie kämen gar nicht auf die Idee, das in einerseits progressiv
und andererseits konservativ aufzuspalten.
Unsere Kategorien des Verstehens
stimmen also nicht mehr.
Um nicht missverstanden zu werden: Damit will ich
die Anliegen, die sich hinter den Begriffen verbergen, keinesfalls herunterspielen.
Die bleiben wichtig. Aber daneben treten eben auch andere Anliegen, die mit dem Selbstverständnis
einer wachsenden und lebendigen Kirche vorgetragen werden. Jetzt zu tun, als ob „die
halt noch nicht so weit sind wie wir“, ist genauso ein Blind-Macher wie die überholten
Kategorien. Wir müssen neu lernen, Kirche zu sehen und zu verstehen. Das ist die
für mich nachhaltigste Wirkung des gestrigen Abends. Der Mann, der dort auf den Balkon
getreten ist, wird für uns eine Herausforderung sein. Und das ist eine wunderbare
Voraussetzung für den Beginn eines neuen Pontifikates.