2013-03-07 15:46:48

Benedikt XVI. und die Moderne – ein „moderner“ Papst?


RealAudioMP3 „Benedikt XVI. und die Moderne“ ist das Thema dieser Sondersendung zum Pontifikat des deutschen Papstes. Wir zeichnen darin Grundüberzeugungen Benedikt XVI. und seine Sicht auf die Neuzeit nach und stellen die Frage, was eigentlich an diesem Papst - der in der Öffentlichkeit gern als „Bewahrer“-Papst eingeordnet wird - „modern“ sein könnte. Durch Klicken auf das Lautsprechersymbol hören Sie die ganze Sendung von Anne Preckel.

„Benedikt XVI. und die Moderne – eine skeptische Begegnung“. So bringt der Fundamentaltheologe Magnus Striet das Verständnis des deutschen Papstes von „Moderne“ auf den Punkt. Striet fasst Benedikts Definition von Moderne in seinem gleichnamigen Fachartikel so:

„Erstens versteht er unter Moderne - den Begriff der Neuzeit benutzt er mehr oder weniger synonym - primär eine historische Epoche, also die Zeit seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Zweitens ist für ihn die Moderne die Epoche, die durch einen defizitären Vernunftbegriff geprägt ist.“ (in: Wo Gott ist, da ist Zukunft – Zentrale Themen im Denken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Freiburg 2011)

Mit der Vernunft geht es seit Beginn des 19. Jahrhunderts für diesen Papst, vereinfach gesagt, „bergab“. Sie drohe zur rein zweckorientierten Vernunft zu werden, einer Vernunft, die die Suche nach Gott in den Raum des Subjektiven verweist, betont der Papst 2011 in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag:

„Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt.“

In den technologischen Schüben der vergangenen Jahrhunderte sieht Benedikt XVI. eher die Gefahren als ihre Möglichkeiten; die Versprechen des so genannten „Fortschritts“ beäugt er kritisch: Entfremdung, Herrschaft und Hedonismus sind nur einige Stichworte, die Benedikts Sicht von einer „eskalierenden Moderne“ kennzeichnen (vgl. Striet).

„Diktatur des Relativismus“

In der Beschreibung der Gegenwart taucht bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. immer wieder der Begriff „Diktatur des Relativismus“ auf. Laut diesem Papst entsteht eine Kultur, in der alles gleich gültig ist. Säkulare Gesellschaften befänden sich heute in einer „Situation der Verlorenheit und Verwirrung“, führt Benedikt XVI. am 5. Oktober 2007 in einer Ansprache vor der Internationalen Theologenkommission im Vatikan am Beispiel der Rechtsauffassung aus:

„Die ursprüngliche Offenkundigkeit der Fundamente des Menschen und seines ethischen Handelns sind verloren gegangen, und die Lehre vom natürlichen Sittengesetz kollidiert mit anderen Auffassungen, die deren direkte Leugnung darstellen. Bei nicht wenigen Denkern scheint heute eine positivistische Rechtsauffassung vorzuherrschen. Nach ihnen werden die Menschheit bzw. die Gesellschaft oder de facto die Mehrheit der Bürger die letzte Quelle des Zivilrechtes. Das Problem, das sich ihnen stellt, ist also nicht die Suche nach dem Guten, sondern die Suche nach der Macht oder vielmehr nach dem Gleichgewicht der Mächte. Ihre Wurzel hat diese Strömung im ethischen Relativismus, in dem einige geradezu eine der Grundvoraussetzungen für die Demokratie sehen, weil der Relativismus die Toleranz und die gegenseitige Achtung der Menschen gewährleiste.“

Gegen diesen Relativismus, den Benedikt nicht nur in den Strukturen der Gesellschaften, sondern auch in der individuellen Lebensführung der Menschen sieht und verurteilt – zum Beispiel die Erosion der traditionellen Familie –, setzt der Papst den „Kompass“ des christlichen Glaubens: „Die eigentliche Gefahr der Moderne erkennt er (…) in ihrer Entwurzelung aus dem Christentum, das in Europa über lange Zeit die Kultur zu bestimmen vermochte“, schreibt Striet. Tatsächlich spricht dieser Papst immer wieder von einer „Verdunkelung Gottes“ in der Moderne. Bei einem Österreichbesuch im September 2007 sagt er:

„In der Tat setzt sich unser Glaube entschieden der Resignation entgegen, die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht – sie sei zu groß für ihn. Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist meiner Überzeugung nach der Kern der Krise des Westens, Europas. Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden.“

Nur der Glaube kann laut Benedikt das moralische Unterscheidungsvermögen schärfen, ein Glaube, der „Wahrheit und Hoffnung“ ist, wie er in seiner Enzyklika „Spe salvi“ darlegt. Die „Krise des Westens“ steht für den deutschen Papst in Zusammenhang mit der europäischen Geschichte; in ihr ortet Benedikt eine Wurzel des Relativismus. Das deutet er auf seiner Österreichreise in Mariazell an:

„Wir brauchen Wahrheit. Aber freilich, aufgrund unserer Geschichte haben wir Angst davor, dass der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringe. Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre guten geschichtlichen Gründe hat, dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen, wie wir ihn hier im Heiligtum zu Mariazell sehen.“

Als Deutscher weiß Benedikt XVI. wohl besonders gut, dass diese Angst eine berechtigte Angst ist: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine Räuberbande“, zitiert er den heiligen Augustinus in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011. Im Naziregime und in anderen politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts zeigt die Gottlosigkeit für Benedikt XVI. ihre schrecklichste Fratze:

„Wir Deutschen wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte.“

Fortschritt ist für Benedikt XVI., wie er in „Spe salvi“ schreibt, „genau besehen der Fortschritt von der Steinschleuder zur Megabombe“ (22). Damit leugne Benedikt XVI. zwar nicht Fortschritt als Erleichterung des Lebens, schreibt Fundamentaltheologe Striet. Aber:

„Das Katastrophische der Moderne wird massiv betont. Interessant ist aber, worin die Ursache dieses Katastrophischen gesehen wird. Immer wieder unterstreicht Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., dass die Vernunft nur dann wahre Vernunft sei, wenn sie sich im transzendenten Grund aller Wirklichkeit, in Gott festmacht. (…) Deshalb sei ,eine Selbstkritik der Neuzeit im Dialog mit dem Christentum und seiner Hoffnungsgestalt notwendig‘“, zitiert der Freiburger Theologe hier aus der Papstenzyklika.

In der Bundestagsrede sinniert der Papst über die Grundlagen des Rechtsstaates. Gerechtigkeit speist sich für Benedikt XVI. notwendig aus Prinzipien des Glaubens. Die europäische Identität ist für ihn eine fruchtbare Verquickung aus Glaube und Vernunft:

„Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas. Sie hat im Bewusstsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen, Maßstäbe der Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist.“

Die Aufklärung ist laut Benedikt XVI. „nicht ohne Grund gerade und nur im Raum des christlichen Glaubens entstanden“, wie er in seiner Schrift „Gott und die Vernunft. Aufruf zum Dialog der Kulturen“ von 2007 darlegt. Diese Sicht auf die Geschichte mag nicht jeder in allen Punkten teilen:

„Ich habe immer wieder den Eindruck, dass Papst Benedikt dazu neigt, die europäische Geschichte etwas zu idealisieren, etwa das europäische Mittelalter darzustellen als eine Zeit der gelungenen Synthese von christlichem Glauben und griechischer Vernunft“,

merkt zum Beispiel der deutsche Soziologe Hans Joas im Juni 2012 im Interview mit Radio Vatikan zu Benedikts Interpretation der europäischen Geschichte an:

„Aus dieser Perspektive stellen sich dann spätere Phasen der europäischen Geschichte – schon eigentlich das späte Mittelalter, die Reformation, leider auch das 18. Jahrhundert – als Abstieg von dieser einmal gelungenen Synthese dar.“

Über diese „ganz schwierigen historischen Fragen“ würde er gern einmal mit Benedikt XVI. diskutieren, sagt der Soziologe im Interview mit Radio Vatikan. Joas ist nicht der Überzeugung, „dass geschichtliche Prozesse, auch gerade die unter dem Titel ,Modernisierung‘ gemeinten, notwendig zu einer Schwächung von Religion führen“. Dass Säkularisierung notwendig zum Moralverfall führe und Moral unbedingt die Religion brauche, seien zwei überholte „Pseudogewissheiten“, schreibt der in Freiburg und Chicago forschende Wissenschaftler in seinem Buch „Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums“ (Juni 2012).

Keine Moral ohne Glauben

Moral also auch ohne Glauben? Benedikt XVI. sieht das entschieden anders. Für ihn ist insbesondere das Christentum der notwendige Reiniger und Förderer der „wahren Vernunft“. Das schlägt sich für ihn auch im Verhältnis desselben zu Staat und Politik nieder: „Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben“, führt Benedikt XVI. im deutschen Bundestag aus:

„Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenhang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.“

Für Kirche und Staat ergibt sich daraus ein klares Verhältnis: Kirche kann nie Staatsersatz sein, allerdings ist sie Hüterin der Moral. Die Politik muss für den Papst dagegen Hüterin der Gerechtigkeit sein:

„Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden sein.“

In seiner Bundestagsrede spricht der Papst weiter von der Gefahr einer rein positivistischen Weltsicht und der schleichenden Verdrängung des Glaubens in den privaten Raum – Entwicklungen, die die in der Gesellschaft notwendige Gewissensbildung untergraben, zeigt sich der Papst überzeugt:

„Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall – , da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist.“

Für Technik und Wissenschaft leitet der Papst daraus ab, dass sich diese klar an ethischen Grundlegungen orientieren müssen. Fortschritt muss für Benedikt XVI. immer ganzheitlich gedacht werden, er darf zum Beispiel nie zum Handlanger für die Selektion von angeblich „unwertem Leben“ werden – Stichwort Präimplantationsdiagnostik und Euthanasie. Denn sonst werden „die großen und großartigen Erkenntnisse der Wissenschaft zweischneidig“, unterstreicht Benedikt XVI. 2007 in Österreich:

„Sie können bedeutende Möglichkeiten zum Guten, zum Heil des Menschen sein, aber auch – wir sehen es – zu furchtbaren Bedrohungen, zur Zerstörung des Menschen und der Welt werden.“


Zweites Vatikanum war „Korrektur“

Benedikt XVI. und „die Moderne“ – dazu gehört auch das Zweite Vatikanische Konzil, das einen Aufbruch in der katholischen Kirche und ihrem Verhältnis zur Welt markiert. Benedikt XVI. ist selbst einer der letzten großen Konzilszeugen. Bei der historischen Bischofsversammlung ist der junge Josef Ratzinger theologischer Berater des Kölner Kardinals Josef Frings und dann seit Ende 1962 offizieller Peritus. „Wir sind damals mit Enthusiasmus zum Konzil gegangen“, blickt Benedikt XVI. am 14. Februar 2013 zurück. Wenige Tage nach seiner Rücktrittsankündigung als Papst erzählt er dem römischen Klerus:

„Es gab eine unglaubliche Erwartung – wir hofften darauf, dass alles sich erneuern würde, dass ein neues Pfingsten heraufziehen würde, eine neue Ära der Kirche. Die Kirche war damals noch robust, der sonntägliche Messbesuch war noch gut, auch die Priester- und Ordensberufungen gingen zwar schon ein bisschen zurück, waren aber noch ausreichend. Dennoch spürte man: Die Kirche geht im Moment nicht vorwärts, sondern schrumpft ein, sie scheint eher eine Realität der Vergangenheit und nicht Trägerin der Zukunft.“

Die Beziehung der Kirche zur modernen Welt sei damals „konfliktreich“ gewesen, erinnert sich Benedikt, „angefangen mit dem Irrtum der Kirche im Fall Galilei“. Man habe gehofft, das Konzil werde die Kirche zur „Kraft des morgen“ machen und den „wahren Fortschritt“ einleiten. Fortschritt will Benedikt hier aber freilich nicht als „Anpassung“ der Kirche an neue Umweltbedingungen verstanden wissen, eher als „Korrektur“, wie er beim Weihnachtsempfang für die römische Kurie am 22. Dezember 2005 ausführt:

„Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällt Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft.“

Benedikt XVI. „relativiert“ die Öffnung der katholischen Kirche auf die Moderne „stark“, findet der Fundamentaltheologe Magnus Striet. Er führt dafür eine weitere Bemerkung Benedikt XVI. aus derselben Rede vor der Kurie an; der Papst lässt diese Passage in seiner Ansprache aber weg (im Redetext auf den Internetseiten des Vatikans ist sie nach wie vor einsehbar):

„Wenn jemand erwartet hatte, dass das grundsätzliche ,Ja‘ zur Moderne alle Spannungen lösen und die so erlangte ,Öffnung gegenüber der Welt‘ alles in reine Harmonie verwandeln würde, dann hatte er die inneren Spannungen und auch die Widersprüche innerhalb der Moderne unterschätzt; er hatte die gefährliche Schwäche der menschlichen Natur unterschätzt, die in allen Geschichtsperioden und in jedem historischen Kontext eine Bedrohung für den Weg des Menschen darstellt.“

Immer wieder verweist Benedikt XVI. in Reden und Schriften auf die Schwäche der menschlichen Natur: Sie ist es, die Welt und auch Kirche gefährdet. Das Böse und die „Diktatur des Relativismus“ können nur verhindert werden, wenn sie sich den „rettenden Kräften des Glaubens“ öffnen, sich von ihnen „reinigen und heiligen“ lassen. Für Benedikt XVI. muss deshalb auch die wahre Zeit des Konzils erst noch kommen, wie er am Ende seines Pontifikates dem römischen Klerus mit auf den Weg gibt (Ansprache vom 14. Februar 2013). Erstaunlich offen legt Benedikt XVI. in der langen und gelöst wirkenden Ansprache seine Sicht auf das Konzil dar und warnt - ein weiteres, ein letztes Mal als Papst - vor „falschen Deutungen“:

„Die wahre Kraft des Konzils war doch da, und allmählich wird sie immer mehr Wirklichkeit und wird zur wahren Kraft, die dann auch wahre Reform ist, wahre Erneuerung der Kirche. Mir scheint, wir sehen 50 Jahre nach dem Konzil, wie dieses virtuelle Konzil zerbricht und sich verliert, und das wahre Konzil taucht auf mit seiner ganzen spirituellen Kraft. Das ist unsere Aufgabe: dafür zu arbeiten, dass das wahre Konzil Wirklichkeit wird und die Kirche wirkliche Erneuerung erfährt.“

Zu diesem Aufruf gehört auch der 2011 im Freiburger Konzerthaus vorgebrachte Ruf dieses Papstes nach einer „Entweltlichung der Kirche“: Die Kirche muss sich – in Kontinuität, nicht im Bruch mit ihrer Tradition – für die Herausforderungen der Moderne wappnen, so Benedikt XVI., indem sie innerlich tiefer aus dem Glauben schöpft.


Neuer Akzent im Amtsverständnis

Benedikt XVI. – ein Mahner, ein unbequemer, ein skeptischer Papst, der seinen Blick auf die Widersprüche der Moderne heftet. Einige mögen das „pessimistisch“ nennen, andere wiederum „realistisch“. Doch auch sich selbst gegenüber legt Benedikt XVI. Skepsis an den Tag. Seine Wahl auf den Stuhl Petri erlebt Joseph Ratzinger zweifelnd - wie ein „Fallbeil“, das auf ihn herabfällt, sagt er danach. Und auch der historische Rücktritt Benedikt XVI. vom Papstamt verweist auf Skepsis sich selbst – bzw. sich selbst in diesem Amt – gegenüber. Der deutsche Papst hat mit dieser Entscheidung einen neuen Akzent im Verständnis des Papsttums gesetzt, findet der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord:

„Er zeigt damit auch, dass er das Papstamt ein wenig modernisiert – etwas, das man ja in deutschsprachigen Ländern gar nicht zu glauben wagt –, dass er nämlich Amt und Person trennt. Dass er sagt: Das Amt ist wichtiger als ich oder als die Dinge, die ich vielleicht noch vorhaben könnte (Jahr des Glaubens etc.); wenn ich das Amt nicht mehr ausüben kann, dann muss es ein anderer tun, der es weiterführen kann. Da ist er bescheiden genug, zu sagen: Dieses Amt ist wichtiger für die Gesamtkirche, als ich als Person es bin.“

Geht Benedikt XVI. aber auch scheinbar unumstößliche Gewissheiten der katholischen Kirche skeptisch an? Schließlich sieht dieser Papst durchaus auch Fehlbarkeit innerhalb der Kirche. Das macht er etwa im Mai 2010 auf einem Flug nach Portugal vor Journalisten deutlich – wenige Wochen nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der deutschen Kirche:

„Die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Innern der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert.“

Die Sünde macht auch vor der Kirche nicht Halt, weiß Benedikt XVI. Zugleich glaubt er fest daran, dass eine durch „wahren Glauben“ gereinigte Kirche die letzten Wahrheiten erkennen kann und immer erkennen wird. Die Institution der Kirche als solche stellt er nicht in Frage, nur eben ihre – fehlbaren – Mitglieder. Überhaupt sieht Benedikt XVI. eher die Menschen auf dem Irrweg, in deren Leben Gott nicht vorkommt. In seiner Eröffnungsrede zur V. Generalversammlung der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik in Aparecida sagt er im Mai 2007:

Wer Gott aus seinem Blickfeld ausschließt, verfälscht den Begriff ,Wirklichkeit‘ und kann infolgedessen nur auf Irrwegen enden und zerstörerischen Rezepten unterliegen. (…) Nur wer Gott kennt, kennt die Wirklichkeit und kann auf angemessene und wirklich menschliche Weise auf sie antworten. Angesichts des Scheiterns aller Systeme, die Gott ausklammern wollen, erweist sich die Wahrheit dieses Satzes als offenkundig.“

Schlägt Benedikt XVI. damit Nichtglaubenden die Tür vor der Nase zu? Keinesfalls, zumindest nicht grundsätzlich. Schließlich lanciert der Vatikan im Pontifikat Benedikt XVI. die mobile Gesprächsplattform „Vorhof der Völker“, die das Gespräch mit Atheisten und Agnostikern sucht. Allerdings können laut Benedikt XVI. nur gläubige Gesellschaften – und zwar im engeren Sinne nur christliche Gesellschaften – ein tragfähiges Zusammenleben und einen Konsens über ethische Grundlagen entwickeln. Wie gesagt – ohne Glaube keine Moral:

„Wo Gott fehlt – Gott mit dem menschlichen Antlitz Jesu Christi –, zeigen sich diese Werte nicht mit ihrer ganzen Kraft und es kommt auch nicht zu einem Einvernehmen über sie. Ich will damit nicht sagen, dass Nichtgläubige keine hohe und vorbildliche Sittlichkeit leben können; ich sage nur, dass eine Gesellschaft, in der Gott nicht vorkommt, nicht das notwendige Einvernehmen über die sittlichen Werte und nicht die Kraft findet, um – auch gegen die eigenen Interessen – nach dem Vorbild dieser Werte zu leben.

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(rv 04.03.2013 pr)







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