„Leichter Vorteil für italienische Kardinäle im Konklave“
Mehrere Kardinäle haben in Interviews präzisiert, welche Erwartungen sie an das Vorkonklave
haben. „Es wird Fragen an die Kardinäle geben, die an der Kurienführung beteiligt
sind, was aus ihrer Sicht geändert werden sollte.“ Das sagte Kardinal Francis George
von Chicago der Nachrichtenagentur ap. Und weiter: „Dabei kann alles Mögliche auf
den Tisch kommen.“ Bei einem künftigen Papst sei es wichtig, „dass er an der Null-Toleranz-Linie
bei Missbrauchsfällen festhält“, so George, der glaubt, dass das Konklave eher kurz
sein wird.
US-Kardinal Roger Mahony verteidigte im „Corriere della Sera“
seine Entscheidung, am Konklave teilzunehmen. Eine US-Initiative fordert seinen Ausschluss
vom Konklave, weil er in seiner Zeit als Erzbischof von Los Angeles mehrfach Priester
vor einer Anklage wegen Kindesmissbrauchs bewahrt hat. „Ich hatte nicht die wirkliche
Natur des Problems verstanden, und dass die Täter weitermachen würden“, so Mahony.
„Das war damals noch nicht so gut verstanden wie heute.“ Viele in der Kirche hätten
das Thema Kindesmissbrauch „damals durch die kirchliche Brille gesehen, als Sünde
und moralische Schwäche“. Dabei sei „aus dem Blick geraten, was nötig ist, um das
Problem zu lösen“. Über die Kampagne gegen seine Konklave-Teilnahme sagte er: „Das
war für mich auf persönlicher Ebene ein schwieriger Moment.“
Der Bostoner Kardinal
Sean Patrick O'Malley sieht Missbrauchsaufklärung, Reformen in der Kirchenleitung
und Christenverfolgung als Hauptthemen des nächsten Pontifikats. Auch die Beziehungen
zwischen Christen und Muslimen sowie der Bildungsmangel in einigen Ländern seien Aufgaben
für den neuen Papst, sagte der US-amerikanische Kardinal laut einer Meldung der Catholic
News Agency vom Montagabend. Der Kardinal verzeichnete auch positive Entwicklungen
in der katholischen Kirche. Sie „wachse und blühe“. Vier Millionen junge Katholiken
wollten in diesem Sommer beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro mit dem neuen Papst
zusammentreffen, führte O'Malley als Beleg an.
„Ich glaube nicht, dass Vatileaks
bei den Generalkongregationen eine herausgehobene Rolle spielen wird.“ Das sagte der
Prager Erzbischof, Dominik Duka, der italienischen Tageszeitung „Il Messaggero“.
Aus seiner Sicht sei „die Entchristlichung das große, das zentrale Problem“. An zweiter
Stelle des zu Verhandelnden stehe das Thema Familie einschließlich dem kirchlichen
Umgang mit Geschiedenen, die wieder heiraten. Er glaube nicht, dass Benedikt XVI.
wegen der Skandale zurückgetreten sei, so der tschechische Kardinal. Beim Vatileaks-Skandal
geht es um den Diebstahl und die Veröffentlichung vertraulicher Vatikan-Papiere, für
den letztes Jahr der Kammerdiener von Benedikt XVI. verurteilt wurde.
Der
kanadische Kurienkardinal Marc Ouellet erklärt, er wäre „nicht überrascht,
wenn der nächste Papst nicht aus Europa kommen sollte“. Europa sei zwar für die Kirche
„jahrhundertelang dominant gewesen“, sagte Ouellet der „Canadian Broadcasting Corporation“,
aber mittlerweile sei die Kirche „bereit für einen Papst aus Asien, Afrika oder Amerika“.
Es sei ihm durchaus klar, dass er vielen als „papabile“ - also „papstfähig“ - gelte,
so Kardinal Ouellet. „Das lässt mich nachdenken und beten, es macht mir auch Angst.
Mir ist die Last des Amtes sehr bewusst.“ Er sei zwar „auf jedes Ergebnis vorbereitet“,
aber er glaube, „eine ganze Reihe von Leuten hat mehr Chancen als ich, gewählt zu
werden“.
Der australische Kardinal George Pell, Erzbischof von Sydney,
wünscht sich als nächsten Papst „einen Strategen, jemanden, der Entscheidungen treffen
kann, einen Planer“. Das sagte er im Gespräch mit der italienischen Tageszeitung „La
Stampa“. Der künftige Papst müsse zugleich „starke seelsorgliche Fähigkeiten“ besitzen.
Die „Probleme der Kurie“ seien aus seiner Sicht „weit weniger wichtig als die Abwendung
vom Religiösen und der demographische Niedergang in Europa, die Gewalt gegen die Christen
im Nahen Osten und die Notwendigkeit, dass China sich öffnet“. Die Nationalität des
künftigen Papstes sei „nebensächlich“. Doch der Papst sei nun mal in erster Linie
Bischof von Rom, „und ich glaube, es wäre nicht gut, die Kirche so viele Jahre ohne
einen italienischen Papst zu lassen“. Kardinal Pell fuhr fort: „Ich glaube, dass die
kompetenten italienischen Kandidaten alle einen leichten Vorteil im Konklave haben.
Aber ich würde auch keinen ausländischen Papst ausschließen. Es würde mich nicht überraschen,
wenn wir in den nächsten fünfzig bis hundert Jahren mehrere südamerikanische Päpste
hätten.“
Ähnlich sieht das Kardinal Giovanni Lajolo, emeritierter Präsident
des Governatorats der Vatikanstadt. Die Italiener präsentierten sich im Konklave „mit
einigen Kardinälen großen Wertes“, so der Kardinal, „aber ehrlich gesagt denke ich,
dass ein extraeuropäischer Kardinal gewählt werden könnte.“ Es gebe in der Welt Regionen
wie „Asien und Lateinamerika“, „wo die Kirche Momente großer Vitalität erlebt“, so
Lajolo im Interview mit der Tageszeitung „Quotidiano Nazionale“.
„Im Jahr
2025 werden 80 Prozent der Katholiken in der südlichen Welthemisphäre leben“, gibt
der emeritierte Präsident des päpstlichen Kulturrates, Paul Poupard, zu bedenken.
Damit müssten sich die Kardinäle auseinandersetzen, so der französische Kardinal,
der mit über 80 Jahren im kommenden Konklave nicht mehr wahlberechtigt ist. In Afrika,
Asien, vor allem in Lateinamerika und auf den Philippinen sei ein Anstieg des Christentums
zu beobachten. Dagegen sei die „religiöse Lebendigkeit“ im Westen „niedriger als im
Islam“, die Sakramente seien dort „nicht mehr der große Bezugspunkt für den Gläubigen“,
sagte Poupard im Interview mit der italienischen Tageszeitung „Corriere della sera“.
Für
den südafrikanischen Kardinal Wilfrid Napier sollte der neue Papst „zwischen
60 und 65 Jahre alt“ sein, aus einer „lebendigen Kirche“ kommen und „den von Papst
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auf den Weg gebrachten Reformkurs fortsetzen“.