Mali? Algerien? Nicht
nur. Die ganze Sahelzone ist mittlerweile gefährlich geworden. Das sagt Peter Balleis,
der Leiter des „Jesuiten-Flüchtlings-Dienstes“, kurz JRS. „Wenn man auf den Sahel
sieht, dann kann man wirklich von Mali aus herüber gehen nach Niger, Nordnigeria,
Tschad, Darfur, Sudan, bis zum Horn von Afrika – das ist alles eine instabile Region.“
Der Jesuitenpater kommt gerade von einer Reise durch die Sahelzone zurück, er war
u.a. im Tschad. Im Interview an diesem Montag erklärte er Radio Vatikan, was die Region
so explosiv macht. Eine ganze Menge kommt da zusammen: „Der Vormarsch der Sahara,
dann die Verarmung, sehr schwache und instabile Regierungen. Dann natürlich die religiöse
Ebene und die Radikalisierung des Islams – was das betrifft, ist es offensichtlich,
dass Saudi-Arabien oder Katar da ihre Hände mit im Spiel haben. Und natürlich die
ganze kulturelle Grenzlinie zwischen afrikanischem Christentum bzw. traditionellem
Afrika und dem islamischen, arabischen Kulturbereich. Das ist eine Mischung von Elementen,
die leider Gottes doch sehr leicht zu Konflikten führen kann.“
In Kamerun hätten
ihm die Jesuiten gesagt, dass im Norden des Landes Unruhe herrsche: Dort lebt eine
islamische Minderheit, und die Region grenzt nicht nur an Tschad und Niger, sondern
eben auch an Ostnigeria: Nach Maiduguri, zur Hochburg der Terrorgruppe Boko Haram,
ist es nicht weit. „Dort hat die kamerunische Regierung sehr viel Militär und Polizei
zusammengezogen, um jegliche Ausbreitung von Boko Haram aus Nigeria zu verhindern.
Also, da besteht echte Sorge, dass hier durch diese fundamentalistischen Minderheitsgruppen,
die Situation verschärft wird und dass eine Radikalisierung erfolgt.“ Dass die Lage
so wackelig ist, liegt vor allem an der Schwäche der Staaten – und, indirekt, am Sturz
der Diktatur von Muammar al-Gaddafi in Libyen. „Gaddafi hat diese Regierung hier ja
auch gestützt und finanziert; jetzt sind sie weniger stark.“
Pater Balleis`
Jesuitenflüchtlingsdient arbeitet seit sieben Jahren mit Flüchtlingen aus dem Sudan,
genauer aus Darfur, die jetzt im Osten des Tschad leben. Eines der vielen fast vergessenen
Flüchtlingsdramen in der Region: „Im Jahr 2003 bis 2005 sind mehrere hunderttausend
Flüchtlinge aus dem Sudan in den Tschad geflüchtet und leben jetzt in zwölf Flüchtlingslagern
im Osten des Landes.“ Schon aus Tradition engagiert sich der Flüchtlingsdienst vor
allem im Schulwesen – so auch hier in den Camps. „Wir betreiben in Zusammenarbeit
mit dem UN-Flüchtlingskommissariat, dem Flüchtlingswerk Schulen in sieben Lagern,
bilden Lehrer aus, und leisten damit Hilfe für rund 60.000 Kinder und Jugendliche.
Der Großteil ist in der Grundschule, es gibt nur sehr wenige Sekundarschüler. Das
zeugt von dem niedrigen Bildungsniveau.“ Viele der Sekundarschüler würden sofort
als Lehrer auf Grundschulniveau oder sogar als Sekundarlehrer eingestellt, berichtet
Pater Balleis – ein Hinweis auf die große Not im Bildungswesen.
Vom Tschad
aus hat der deutsche Jesuit den Eindruck gewonnen, dass der Darfur-Konflikt nicht
wirklich vorüber ist: Weiterhin stünden sich dort sogenannte weiße und schwarze Araber,
also Kamel- bzw. Rinderbesitzer und Ackerbauern, feindlich gegenüber. „Das weist natürlich
auf die ökologische Problematik hin: Der Vormarsch der Sahara in den Sahelbereich,
Dürren oder ganz wenig Regen. Wassermangel drängt die Leute immer mehr von der Wüste
in die Berge. Also in den Darfur, wo auch es mehr Wasser gibt. Aber man hat auch Gold
gefunden in den Bergen von Darfur - und das mag ja ein Segen sein, aber Gold ist ein
Fluch in solchen instabilen Ländern! Weil die Rebellen dann um das Gold kämpfen. Also
es kommt dann eine Ebene des Krieges um die Ressourcen dazu.“
Flüchtlingslager
– das hört sich schlimm an. Aber Balleis erzählt, die Flüchtlinge hätten sich in den
fast zehn Jahren schon ihre traditionellen Häuser aus Lehm gebaut; das Ganze sehe
also aus wie eine kleine Stadt. „Wenn man sie vom Flugzeug sieht – wie ein Reißbrett.
Es
gibt die Schulen, ein Krankenhaus… ein Warenhaus für die Nahrungsmittel vom Welternährungsprogramm,
Wassertanks. Es hat alles seine klare Struktur. Das tägliche Leben, also die Menschen
werden vom Welternährungsprogramm versorgt mit Lebensmitteln.“ Einmal im Monat ist
Essensverteilung – jede Familie mit Karte kann es sich abholen. Die Kinder gehen in
die Schule – ein ganz normales Leben also. „Aber ohne Perspektive! Das ist das Problem.
Sie können nicht nach Hause gehen, es gibt keine Perspektive, irgendwo anders eine
Arbeit zu finden oder zu studieren. Insofern ist das schon ein Lagerdasein, so ein
Zwischenzustand, der aber mittlerweile 10,15 Jahre dauert.“
Der Tschad war
die letzten Jahre hindurch so halbwegs stabil. Trotzdem, man merke den UNO-Leuten
vor Ort Nervosität an, sie dringe darauf, dass man die Sicherheitsvorkehrungen einhält.
Furcht vor Auswirkungen des Kriegs in Mali, Rebellen auf dem Durchzug und ähnliches.
„Man hat die Befürchtung, dass es zu Entführungen von ausländischem Personal kommen
kann. Also, man ist hier sehr vorsichtig. Aber der Tschad ist jetzt viel sicherer
und stabiler als vor 5 Jahren. Dennoch darf man nicht vergessen, dass vor fünf Jahren
Frankreich hier intervenieren musste, um die Stabilität zu bewahren.“ Weitere Interventionen
Frankreichs: 2009 in Elfenbeinküste, dann in Libyen und jetzt in Mali. Also, Stabilität
sei etwas anderes, findet Pater Balleis. Ihm steht noch vor Augen, wie fröhlich die
Menschen im letzten Sonntagsgottesdienst in Abeje tanzten – und mit wie ernsten Gesichtern
zwei Tage zuvor Männer aus der Moschee vom Freitagsgebet kamen. „Das ist natürlich
zu respektieren, ich nehme die zwei Bilder nur, um zu zeigen: Das sind halt zwei Welten,
die hier zusammenkommen. Im Tschad leben sie zum Beispiel friedlich, aber es braucht
nicht sehr viel, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.“