„Wenn ein Papstrücktritt zu erwarten war, dann der von Joseph Ratzinger.“ So schätzt
der im Vatikan tätige Priester Thomas Frauenlob den Aufsehen erregenden Schritt Benedikt
des XVI. ein. Frauenlob kennt Ratzinger seit langer Zeit: Vor seiner Berufung an die
vatikanische Bildungskongregation leitete er das Studienseminar Traunstein. Dort hatten
seinerzeit Joseph Ratzinger und sein Bruder Georg studiert, und beide verbrachten
später, längst zu Priestern geweiht, zahlreiche Sommerurlaube dort. Gudrun Sailer
erreichte Thomas Frauenlob, der an diesem Mittwoch seinen 50. Geburtstag feiert, telefonisch
im Heimaturlaub im Chiemgau.
„Wenn ein Papstrücktritt zu erwarten war, dann
der von Joseph Ratzinger. Das passt sehr gut zu ihm, weil er an diese Dinge leidenschaftslos
und sehr rational herangeht. Er sieht, wie er ja selbst im Konsistorium am Montag
bekundet hat, dass seine Kräfte schwinden und dass er das Amt sozusagen nicht mehr
in der notwendigen Art ausüben kann. Darum ist es für einen Denker wie ihn eine logische
Konsequenz, da eine Änderung vorzunehmen.“
Das heißt, Leute, die ihn besser
gekannt haben, so wie Sie, sind gar nicht überrascht?
„Ich habe es eigentlich
nicht für möglich gehalten, weil ja die Tradition ein so schweres Gewicht hat hier
und die Erfahrungen mit dem einen Papstrücktritt Coelestin V. ja doch irgendwie ganz
eigenartig sind. Andererseits, andere Zeiten erfordern oft andere Maßnahmen. Insofern
hat es mich jetzt im Hinblick auf die Person Joseph Ratzinger nicht völlig überrascht,
der Zeitpunkt aber schon.“
Wieso der Zeitpunkt?
„Es war noch
vor kurzem angekündigt worden, dass Papst Benedikt die gesamte Osterliturgie zelebrieren
wird, und da war ich davon ausgegangen, dass mindestens bis Ostern noch das Pontifikat
andauert, vielleicht noch bis zum Geburtstag, vielleicht um die acht Jahre Pontifikat
noch voll zu machen. Insofern war der Zeitpunkt sehr überraschend.“ Wie sehr
hat denn die Unruhe an der Kurie, die in den letzten Monaten immer mehr den Weg in
die mediale Öffentlichkeit gefunden hat, zur Müdigkeit Papst Benedikts beigetragen?
„Dass ihm diese Dinge nahegehen, ist offensichtlich, er ist ein sensibler,
musischer Mensch, der das harte Geschäft des Regierens, in Anführungszeichen, nie
so gern hatte. Er ist eben immer ein Denker, ein Professor, ein Theologe geblieben.
Ich kann mir vorstellen, dass diese Ballung von Problemen, die aufgetreten sind, ihm
sehr zugesetzt hat und viel Kraft gekostet hat. Andererseits muss man sagen, Joseph
Ratzinger ist ein 86jähriger Mann, und wenn man von seiner Kindheit und Jugend ein
wenig weiß, galt er immer als schwächlich und körperlich nicht wirklich stabil. Insofern
ist es geradezu ein Wunder, wie lange er mit großer Agilität dieses Amt ausgeübt hat.“
Papst Benedikt wird, so wie das vor 700 Jahren Papst Coelestin mit seinem
Rücktritt wollte, Mönch werden: Er will sich in das Klausurkloster in den Vatikanischen
Gärten zurückziehen. Können Sie sich diesen Papst, den Alt-Papst gewissermaßen, als
Mönch denken?
„Das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. Er ist ja von
Haus aus ein Studiosus und hat immer beklagt, schon als Kardinal, dass er viel zu
wenig Zeit hat und es so viele schöne Dinge zum Lesen gäbe, die er gern eifriger studieren
möchte. und das Schreiben war ja offensichtlich immer schon seine Passion. nicht zuletzt
hat er ja als Pontifex ja auch bedeutende Bücher publiziert. Ich glaube, dass er jetzt
sehr froh und dankbar dafür ist, dass er Zeit zum Lesen, zum Studieren und zum Beten
hat.“ Werden Sie den Mönch in den Vatikanischen Gärten besuchen?
„Ich
vermute, dass der zurückgetretene Papst – das ist ja ein Novum in der Geschichte in
dieser Weise – ein sehr zurückgezogenes Leben führen wird und vielleicht auch nicht
mehr allzu viele Besuche empfangen wird. Wenn ich noch einmal dazu käme, mit dem Heiligen
Vater zu sprechen, würde mich das natürlich sehr freuen. Aber zunächst muss er sich,
denke ich, sicher einmal einrichten in der neuen Situation.“