„Vaticanisti“ über Benedikt XVI.: „Offen und bescheiden“
Der angekündigte Rücktritt des Papstes hat selbst die „vaticanisti“, wie die Vatikanjournalisten
in Italien genannt werden, überrascht. Staunen, Trauer, Bestürzung stand auf ihren
Gesichtern, als sie am Montag die Nachricht vernahmen. Giovanna Chirri von der italienischen
Nachrichtenagentur ANSA:
„Die Nachricht kam wirklich vollkommen unerwartet,
und wurde sogar mit einem gewissen Unglauben aufgenommen. Zuerst hat der Papst die
Formeln für die Märtyrer von Otranto vorgelesen, dann hat er begonnen, feierlich auf
Latein zu sprechen. Ich habe verstanden, dass er zurücktritt, aber ich wollte es nicht
glauben. Es war sehr überraschend und hat mich sehr traurig gemacht... Ich habe versucht,
eine Bestätigung zu bekommen, und als die kam, konnte ich nur noch weinen...“
Auch
Roberto Monteforte von der italienischen Tageszeitung „L’Unita“ sah den Rücktritt
nicht vorher:
„Wir haben zwar gesehen, dass der Papst in keinem umwerfenden
körperlichen Zustand ist, aber er ist ja auch schon 86 Jahre alt, da ist das nicht
überraschend. Was er jetzt getan hat, war eine Entscheidung aus großer innerer Freiheit,
die viel Mut erforderte, die eine große Achtung vor sich selbst und der Kirche zeigt.“
Gerade
noch planten alle die Reise des Papstes nach Brasilien für den Weltjugendtag, nun
kommt zuerst noch ein Konklave. Auch John Allen vom „National Catholic Reporter“ traf
die Nachricht wie ein Blitz aus heiterem Himmel:
„Es gab keine Vorzeichen.
Im Gegenteil, es war geplant, dass er nach Brasilien reisen würde! Und die vielen
anderen Projekte, Twitter... – das alles hat den Anschein von einem Papst erweckt,
der noch viel Kraft hat!“
Vom Pontifikat von Benedikt XVI.
wird den Journalisten nicht nur das revolutionäre Ende in Erinnerungen bleiben – darüber
ist sich die Ansa-Journalistin Giovanna Chirri ganz sicher:
„Ich denke,
er wird als einer der ,größten‘ Päpste betrachtet werden, in einer Linie mit den Kirchenvätern.
Er war eine Person von so großer Demut und gleichzeitig mit einer großen Fähigkeit,
über Gott mit den unterschiedlichsten Zielgruppen zu reden: mit Jugendlichen und Intellektuellen
in der modernen Welt.“
Und Roberto Monteforte von „L’Unità“ ergänzt:
„Die Dynamik seines Glaubens, die Person, die Rationalität, die mit
der Dimension des Glaubens verbunden werden musste, und daher auch eine Sprache, die
für jeden verständlich war... und nicht zuletzt sein beharrlicher Aufruf zur Wahrung
der menschlichen Dimension!“
John Allen vom „National Catholic Reporter“
fügt an:
„Natürlich ist Benedikt ein großer Lehrer-Papst. Es war ein
Pontifikat voller Lehren, über die Tiefe der christlichen Lehre, über die Rolle der
Kirche, über die Menschen des Glaubens in der Postmoderne. Meiner Meinung nach, ist
seine tiefe und intellektuelle Analyse des Schnittpunktes zwischen Glauben und Vernunft
sein größter Beitrag.“
Benedikt war eine intellektuelle Figur, doch
was dabei wirklich beeindruckte, war seine Demut und Einfachheit, findet der Journalist:
„Als Papst ist man eine globales Figur, ein ,Rockstar‘ in einem gewissen
Sinn. Aber persönlich hatte ich immer den Eindruck, mit einer sehr einfachen, sanften
Person zu sprechen. Er war sehr bescheiden, sehr offen, sehr normal.“