Roman Angulanza, pensionierter Direktor des katholischen Bildungswerkes in Salzburg,
machte im Jahr 2010, anlässlich des fünfjährigen Jubiläums des Pontifikats Bendikt
XVI., einen Rückblick für Radio Vatikan. Wir dokumentieren hier das Gespräch vom April
2010.
Am 19. April 2010 feiert die Weltkirche den fünften Jahrestag des Pontifikats
von Benedikt XVI. Roman Angulanza kennt den Papst sehr gut; er gehört zum Schülerkreis
von Joseph Ratzinger, der die jährlichen Treffen mit seinen früheren Studenten auch
als Papst in Castel Gandolfo weiterführt. Schritte auf dem Weg der Ökumene, wichtige
Papstreisen oder Benedikts Umgang mit heiklen Themen wie Missbrauch und Piusbrüdern
– im Interview mit Radio Vatikan lässt Angulanza fünf bewegte Jahre „Pontifikat Benedikt“
Revue passieren.
„Priester in 30 Jahren? – Ehrenamtlich und verheiratet“
Ob Zölibatspflicht, Frauenordination oder der Umgang der Kirche
mit Geschiedenen. Angst, die „heißen Eisen“ in der katholischen Kirche anzugehen,
hatte Papst Benedikt von Anfang an ganz sicher nicht. Angulanza erinnert sich an die
erste Bischofssynode kurz nach der Papstwahl – die war regelrecht revolutionär.
„In
der Öffentlichkeit ist es kaum wahrgenommen worden, dass Papst Benedikt bei der ersten
Bischofssynode gleich nach seiner Wahl, die bereits von Johannes Paul II. einberufen
war, diese Themen – also Zölibat, Frauenordination, wieder verheiratete Geschiedene
– auf die Tagesordnung gesetzt hat und ein ganz neues Verfahren eingeführt hat. Früher
musste man sich in eine Rednerliste eintragen. Er dagegen sagte, es soll kontrovers
diskutiert werden, wenn jemand etwas zu sagen hat, soll er es sagen und nicht vorbereitete
Reden halten. Alle diese Fragen konnten ohne Tabu behandelt und diskutiert werden.“
Frühere
Stellungnahmen Joseph Ratzingers lassen erkennen, dass für den Theologen der Zölibat
kein Dogma war, bestätigt Angulanza. So habe Joseph Ratzinger schon 1970 in Graz die
Prognose gewagt, dass Priester 30 Jahre später, also im Jahr 2000, „ehrenamtlich“
und „verheiratet“ seien, erzählt der Österreicher. Auch über dieses Thema sei bei
der ersten Bischofssynode nach Benedikts Wahl zum Papst abgestimmt worden.
„Da
sind 50 Leitlinien verabschiedet worden, die sofort der Presse übergeben worden sind.
Zwei Drittel der Bischöfe haben aber bei all diesen Themen für Beibehaltung gestimmt.
Papst Benedikt nimmt die Kollegialität der Bischöfe sehr ernst.“
„Besser
gute Priester als viele“
Benedikt XVI. könne als Papst solche Fragen
natürlich nicht „im Alleingang“ entscheiden. Beim Thema Missbrauch habe er aber von
Anfang schnell gehandelt, Zielstrebigkeit und Entschiedenheit an den Tag gelegt. In
der Tat drängte Ratzinger schon als Präfekt der Glaubenskongregation auf Aufklärung
solcher Fälle, und zwar mit Hilfe einer eigens dafür vorgesehenen Stelle. Bei seiner
Reise in die USA im Jahr 2008, bei der der Papst auch Missbrauchsopfer traf, habe
Benedikt „eindeutig“ Stellung zum Thema genommen – klare Worte, die auch heute wieder
einmal gut tun würden, so Angulanza:
„Er hat damals gesagt, und zwar
ganz frei: Ich bin beschämt über das, was passiert ist. Und dann hat er drei Ebenen
genannt, auf denen das Problem behandelt werden muss: Zunächst auf der Rechtsebene,
und zwar mit den Opfern an erster Stelle, auch politisch gesehen. Er sagte damals:
Wer wirklich schuldig ist, kann kein Priester sein. Dann hat er als Zweites die seelsorgerische
Ebene genannt: Dass die Opfer Heilung und Hilfe brauchen. Drittens hat er gesagt,
dass man in Zukunft noch viel intensiver vorbereiten muss auf das Priesteramt, damit
so etwas nicht noch einmal vorkommt. Dass es eine tiefe geistliche, menschliche und
intellektuelle Bildung braucht. Es ist wichtiger, gute Priester zu haben als viele,
so seine Worte.“
Der von Benedikt XVI. hier angesprochene rechtliche
Umgang mit Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche entspreche den Vatikanrichtlinien
von 2003, die an diesem Montag veröffentlicht wurden, so Angulanza. Wird einem Ortsbischof
ein Missbrauchsfall bekannt, muss er nicht nur die Glaubenskongregation darüber informieren,
sondern auch das bürgerliche Gesetz befolgen, steht darin. Und nicht nur das. Angulanza:
„Was weiter durchklingt: Dass es bei der Kirche keine Verjährung gibt,
in allen Staaten gibt es Verjährung, bei der Kirche nicht. Und dort, wo wirklich grober
Missbrauch oder eine Anklage vorliegt oder jemand verurteilt worden ist, wird derjenige
auch in den Laienstand zurückversetzt.“
Dialog mit dem Islam
„auf hohem Niveau"
So wie Benedikt XVI. bei der ersten Bischofssynode
nach seiner Wahl zum Papst neue Kommunikationsregeln propagierte, so schlug er auch
im interreligiösen Dialog einen neuen Ton an. Im Gedächtnis blieb vor allem die Regensburger
Rede vom 12. September 2006. Diese warf nicht nur in der muslimischen Gemeinschaft
Fragen auf. Benedikts provokantes Zitat zum Verhältnis von Religion und Gewalt im
Islam hat den Dialog mit den Muslimen jedoch gerade erst in Gang gebracht, so Angulanza.
„Es
haben sich ja unmittelbar nach der Rede 138 hochrangige Vertreter des Islams gemeldet.
Sie haben einen sehr respektvollen Brief an den Papst gerichtet. Damit hat dann ein
fruchtbarer Dialog begonnen. Ein Jahr später waren diese hochrangigen Gelehrten dann
beim Papst und führten einen sehr höflichen Dialog ohne Feindseligkeiten mit ihm.
Da wurden vor allem die Gemeinsamkeiten der beiden Religionen herausgearbeitet. Daraufhin
ist es zur Gründung eines katholisch-muslimischen Forums gekommen und das hat wiederum
bewirkt, dass in einzelnen muslimischen Staaten dann auch erlaubt worden ist, Kirchen
zu bauen.“
An das Verbindende der beiden Religionen erinnerte der
Papst auch im Rahmen seiner Heilig-Land-Reise im Mai 2009. In einer Ansprache vor
Moslems und Diplomaten im jordanischen Amman warnte er vor Religionsmissbrauch und
rief zum Schutz religiöser Minderheiten auf. Dabei wählte Benedikt XVI. einen respektvollen
Ton, knüpfte selbst an jenen Dialog an, der seit der Regensburger Rede begonnen hatte.
Das habe wohl auch mit Benedikts guter Kenntnis des Islams zu tun. Angulanza:
„Beim
ersten Treffen im Schülerkreis, nachdem er Papst geworden war, hatten wir das Thema
Islam. Das haben wir breit abgehandelt, mit hervorragenden Fachleuten zum Thema. Dort
hat sich gezeigt, dass er selbst sehr viel weiß und sehr gut Bescheid weiß. Es hat
ja auch die türkischen Medien sehr beeindruckt, als er in der Blauen Moschee still
gebetet hat, das war sehr eindrucksvoll. Gerade die muslimischen Intellektuellen sehen,
dass der Papst dem Islam mit großer Hochachtung begegnet.“
Das Aufheben
der Exkommunikation von vier traditionalistischen Piusbischöfen im Januar 2009, darunter
auch die des Holocaust-Leugners Richard Williamson, sorgte vor allem in Deutschland
für Unmut. Diese Geste setzte – wie auch das Vorantreiben der Seligsprechung von Papst
Pius XII. – den Beziehungen zum Judentum einen Stich. Auch deshalb wurde Benedikts
Heilig-Land-Reise im Mai 2009 von der jüdischen Weltgemeinschaft mit Argusaugen beobachtet:
Was würde er zum Holocaust sagen?
„Er hat deutlich unterschieden: Am
Flughafen hat er erst einmal ganz deutlich die Fakten benannt. Er hat das in aller
Schärfe getan und das Verbrechen angeprangert, das Ausmaß, dass es sich nie mehr wiederholen
darf, dass die hässliche Fratze des Antisemitismus – immer noch existierend in der
Welt – weiterhin bekämpft werden muss. Das hat er sehr deutlich gesagt. Aber dann
hat man auf Schritt und Tritt immer nur beobachtet: Sagt er noch etwas, sagt er noch
etwas? In Yad Vashem war es für ihn eine Stunde der Besinnung, da ging es um andere
Dinge, als immer dasselbe zu wiederholen. Ich glaube, man nimmt einfach nicht ernst,
was er gesagt hat und erwartet sich immer Wiederholungen.“
Es
war keine „volle Rehabilitierung“
Mit seinem Besuch in der römischen
Synagoge im Januar 2010 konsolidierte der Papst die katholisch-jüdischen Beziehungen,
dennoch war bei der Visite das Unbehagen über die geplante Seligsprechung von Pius
XII. und die ausgestreckte Papsthand zu den Piusbrüdern spürbar. In der Debatte um
die Traditionalisten habe der Vatikan Kommunikationsfehler begangen, räumt Papstkenner
Angulanza ein. So sei die Rücknahme der Exkommunikation in der Öffentlichkeit als
„volle Rehabilitierung“ verstanden worden.
„Das ist ja überall
falsch interpretiert worden: Rücknahme der Exkommunikation heißt ja, dass sie beichten
gehen können und die Krankenölungen empfangen und solche Dinge. Das hat man so interpretiert,
dass es eine volle Rehabilitation o.ä. sei. Es ist also ganz falsch vermittelt worden,
Kommunikationskanäle sind nicht genutzt worden, man hätte zum Beispiel eine Pressekonferenz
machen müssen und dann als Journalist die Frage stellen können: Was bedeutet das überhaupt?“
Das
Bemühen um Einheit mit dem „rechten Rand“ der Kirche habe sich nicht erst bei Benedikt
gezeigt, stellt Papstkenner Angulanza weiter fest. Die Aufhebung der Exkommunikation
der vier Lefebvre-Bischöfe sei schon lange geplant gewesen.
„Es
gab ja schon einen einstimmigen Beschluss unter Johannes Paul II., dass die Exkommunikation
auf Bitten der Pius-Brüder aufgehoben wird. Dieser Beschluss bestand bereits, nur
ist es aufgrund der Krankheit von Johannes Paul II. nicht mehr dazu gekommen. In jüngerer
Zeit haben dann wieder zwei Gremien einen Beschluss gefasst und sind an Papst Benedikt
selbst herangetreten.“