AIDS: „Stell dir vor, dein Bruder wäre infiziert...“
Pater Michael Czerny
erinnert sich noch gut daran, wie er das erste Mal mit dem Thema AIDS konfrontiert
wurde – das war übrigens nicht in Afrika, sondern in Frankreich. Eine Familie, die
ihren Sohn durch das Virus verloren hatte, bat Pater Michael, den Trauergottesdienst
zu halten. Keine leichte Aufgabe: viele Freunde des Verstorbenen standen der katholischen
Kirche eher abgeneigt gegenüber; zudem erschien die Lage von AIDS-Kranken damals noch
sehr hoffnungslos. Trotzdem gelang es dem Pater, den Menschen in dieser Situation
den Glauben und die frohe Botschaft Christi nahezubringen:
„Ich glaube,
das Wichtigste dabei war, den Fokus auf die Leute zu richten und auf ihr Leben. Auch
wenn es eine Beerdigung und AIDS zu der Zeit noch eine absolute Tragödie war. Doch
unabhängig davon ist, gemäß unserem Glauben, ‚Leben’ das erste und das letzte Wort
für uns und nicht ‚Tod’. Sich darauf zu konzentrieren, auf das Leben, das Christus
uns bringt, das hat mir wahrscheinlich geholfen, den Menschen in dieser Situation
helfen zu können und der Familie und den Freunden in gewisser Weise etwas Frieden
und Würde zu geben.“
Erst viele Jahre später rückte das Thema AIDS dann
ins Zentrum der Arbeit von Pater Michael: Im Jahr 2002 wurde er Gründungsdirektor
des AIDS-Netzwerks afrikanischer Jesuiten (AJAN). Acht Jahre lang war der Jesuit in
Afrika, um sich um HIV-infizierte und AIDS-Kranke zu kümmern und die Hilfsarbeit der
Jesuiten zu koordinieren. Er betont, dass AIDS als komplexes menschliches Problem
begriffen werden muss und nicht als hauptsächlich medizinisches oder sexuelles Problem.
Es sei sehr wichtig, dass gerade auch die Kirche die Menschen nicht darauf reduziere,
sondern eine ganzheitliche Antwort finde. Ein persönliches Gespräch mit einer AIDS-kranken
Afrikanerin habe ihn gelehrt, worauf es ankomme:
„Sie sagte mir zwei Dinge:
‚Wenn du mich nächstes Mal besuchen kommst, bring mir ein Geschenk mit.’ Das heißt
mit anderen Worten: Nur weil es um AIDS geht, vergiss nicht, dass die Menschen hier
viel Hilfe brauchen. Also bring ein Geschenk mit – was ich vergessen hatte. Dann sagte
sie noch, und das ist noch wichtiger: ‚Und bete dafür, dass ich noch lebe, wenn du
mich das nächste Mal besuchen kommst.’ Für mich hat sie durch diese Worte – bring
ein Geschenk mit und bete für mich – auf den Punkt gebracht, was Menschen mit AIDS
sich von der Kirche wünschen: Bringt uns die Dinge, die wir brauchen und betet mit
und für uns.“
Was hilfreich ist, um Neuinfektionen einzudämmen, und was
nicht, dazu hat Pater Michael eine klare Meinung:
„Werbung für Kondome und
das Verteilen von Kondomen ist keine hilfreiche Vorsorge-Strategie. Das heißt nicht,
dass der Gebrauch von Kondomen, in einer bestimmten Beziehung, mit Disziplin und mit
Regelmäßigkeit die Wahrscheinlichkeit reduzieren kann, sich in dieser Beziehung zu
infizieren. Man kann das aber nicht verallgemeinern und sagen: Wenn für diese zwei
Leute in ihrer speziellen Situation ein Kondom hilfreich ist, verteilen wir also eine
Million Kondome und eine Million Paare werden geschützt sein.“
Pater Czerny
betont, dass eine solche Taktik sehr unglücklich sei, da sie einen falschen Akzent
setze: Durch die Suche nach einer „technischen Lösung“ trage man dazu bei, Sexualität
auf eine triviale Sache zu reduzieren, die einfach zu kontrollieren sei und quasi
„repariert“ werden könne. Richtig sei aber, Sexualität im Zentrum einer liebenden,
stabilen und Leben schenkenden Beziehung zu sehen. Zentral sei in diesem Zusammenhang
natürlich auch Treue gegenüber dem Partner.
Die katholische Kirche vertrete
in ihrer AIDS-Hilfe einen ganzheitlichen Ansatz und reduziere den Menschen nicht alleine
auf seine Sexualität oder auf eine medizinische Sichtweise, betont Czerny. Damit hänge
zusammen, dass die Kirche bei ihrer Arbeit kaum von finanziellen Mitteln abhängig
sei. Dass zum Beispiel im Mai diesen Jahres ein Hilfsprogramm aus den USA für Südafrika
endet und damit verbundene Fördergelder fehlen, entmutigt den Pater deshalb nicht:
„Ich
bin sehr traurig darüber, dass die Fördergelder für die Bekämpfung von AIDS in Afrika
gestrichen werden, ich halte das für eine typische Ungerechtigkeit. Aber es ist nicht
die erste und wahrscheinlich auch nicht die letzte Ungerechtigkeit. Wir müssen jetzt
einfach mit unserer Arbeit weitermachen und sie verstärken. Das ist gar nicht so wahnsinnig
teuer, aber es sind sehr, sehr viele Leute daran beteiligt: Nicht nur Priester und
Schwestern, sondern auch sehr viele Laien in den Gemeinden, in der Nachbarschaft,
in Schulen, auf dem Land… Sie alle kümmern sich um ihre Nachbarn und tun im Grunde
nur das, was Christus für sie tut: Sie haben keine Berührungsängste, sie umarmen sich,
sie helfen den Kranken Heilung zu finden und wieder Hoffnung im Leben zu haben, auch
wenn sie diese sehr schlimme Krankheit haben.“
Auf das Thema Berührungsangst
geht Pater Michael noch einmal explizit ein. Dass AIDS auch in unserer heutigen, aufgeklärten
und modernen Gesellschaft immer noch mit einem Stigma behaftet ist, macht der Jesuit
jedem eindringlich klar:
„Wenn du selbst einmal fünf Minuten darüber nachdenkst,
was in deiner Familie los wäre, wenn dein jüngerer Bruder oder deine Schwester AIDS
hätte, dann glaube ich, wäre das für dich – Stigma hin oder her – doch ein sehr, sehr
großer Schock und auch mit einem großen Schamgefühl verbunden. Es würde mich schon
sehr wundern, wenn jemand sagt: Ach was, für meine Familie wäre das nicht mit einem
Stigma behaftet.“
Es sei jedoch falsch, sich zu sehr auf diese Stigmatisierung
zu konzentrieren. Viel wichtiger sei hingegen, so Pater Michael, sich darüber einfach
keine Gedanken zu machen und HIV-infizierten oder AIDS-Kranken die Hand entgegenzustrecken,
um ihnen zu helfen.