Was wissen wir eigentlich
heute, mehr als 30 Jahre nach der Entdeckung von AIDS und HIV über diese Krankheit?
Abgesehen vom Welt-AIDS-Tag am ersten Dezember beschäftigen sich die meisten Menschen
wohl eher sehr, sehr selten mit diesem Thema. Dabei ist AIDS noch lange nicht besiegt,
sondern immer noch präsent. Dies gilt vor allem für Südafrika, wo etwa 28 Prozent
der Bevölkerung mit HIV infiziert sind, in einigen Gebieten ist die Zahl sogar noch
höher.
Die Umgebung des Bistums Rustenberg in Südafrika ist sehr ländlich,
es gibt aber auch Zeichen der Industrialisierung: Zwischen den traditionellen afrikanischen
Dörfern und Stammesgebieten gibt es Platinminen. Diese Minen haben zu einer Masseneinwanderung
aus den ländlichen Gebieten geführt, berichtet der Bischof von Rustenberg, Kevin Dowling,
im Gespräch mit Radio Vatikan. Rund um die Minen hatten sich – in der Hoffnung auf
Arbeit – viele Menschen angesiedelt, nicht nur Männer, sondern auch Frauen.
„Sie
sind alle illegal hier, also gibt es keinerlei Serviceleistungen für sie. Das führt
zu einer tödlichen Kombination von extremer Armut, verzweifelten Leuten und Minenarbeitern,
die für viele Monate ihre Heimat verlassen. Die HIV-Ansteckungsrate ist aufgrund dieses
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontextes sehr hoch in dieser Gegend – und
sie steigt noch immer weiter an.“
Die Menschen hausen in selbst gezimmerten
Buden aus Holz und Zink, die in einem erbärmlichen Zustand sind, erzählt der Bischof.
Doch das ist längst nicht das größte Problem: Im Umfeld der Minen ist knapp die Hälfte
der Menschen HIV positiv, so Bischof Dowling, der mit einem kirchlichen Hilfsprogramm
die Kranken unterstützt. Die Minen vermittelten den Leuten das Gefühl, dass es Geld
und Jobs in der Gegend gebe – ein fataler Trugschluss:
„Das Tragische dabei
ist, dass all diese Leute, vor allem Frauen, hier herkommen, aber: Hier gibt es keine
Jobs, und hier wird es auch nie welche geben. Deshalb sind diese Frauen zur Prostitution
gezwungen, um ihre Kinder und sich selbst ernähren zu können. Ich nenne das ‚survival
sex – Sex, um zu überleben’. Mit anderen Worten: Das einzige Mittel zum Überleben
für diese Frauen ist, im Sex-Sektor zuarbeiten, um so zu Geld zu kommen, von den Leuten,
die welches haben. Und das sind die Minenarbeiter, die Leute, die dort einen Job haben,
die aber meistens dafür ihre Familie und ihre Frauen verlassen haben. Auf der einen
Seite sind also Männer mit Geld ohne ihre Frauen, und auf der anderen Seite sind verzweifelte
Frauen ohne Geld. Diese sozial-ökonomische Realität ist für den gefährlichen Lebensstil
dieser Frauen verantwortlich, die einfach nur überleben wollen, ein bisschen Brot
für sich und ihre Kinder wollen.“
Jenseits dieser grausamen Realität sieht
Bischof Dowling aber auch einen historischen Grund für die besonders hohen HIV-Infektionsraten
in Südafrika. In der Zeit, in der die Krankheit entdeckt wurde, also in den 1980er
Jahren, sei Südafrika mit einem ganz anderen Problem beschäftigt gewesen: mit dem
Kampf um die Unabhängigkeit. Bis zum Jahr 1994, als Nelson Mandela an die Macht kam,
habe sich in Afrika alles nur auf die Politik konzentriert. In dieser Zeit habe das
Thema AIDS kaum Aufmerksamkeit bekommen. Die Krankheit habe sich deshalb quasi ungehindert
ausbreiten können. Zudem habe die Regierung das AIDS-Problem auch erst einmal geleugnet.
Wertvolle Zeit wurde so verschenkt, mit dem Ergebnis, dass fünf Millionen Menschen
infiziert wurden und sehr viele von ihnen auch an AIDS starben, berichtet Bischof
Dowling. Und wo sieht er heute das größte Problem?
„Das größte Problem,
was wir heute haben, sind die vielen Waisenkinder, die vielen Kinder, die alleine
einen Haushalt führen und klarkommen müssen. Wir haben hier um die zwei Millionen
AIDS-Waisen, und das ganze Ausmaß dieser Tragödie ist bisher noch nicht einmal erfasst
worden.“
Insgesamt habe sich die Lage in den vergangenen zehn Jahren aber
auch stark verbessert, nicht zuletzt, weil beispielsweise der ehemalige amerikanische
Präsident Bush das so genannte ‚PEPFAR’-Programm gestartet hatte, um die Menschen
in Südafrika im Kampf gegen AIDS und HIV zu unterstützen. Das Programm habe auch die
Arbeit der katholischen Hilfsorganisationen gefördert, zum Beispiel mit Medikamenten
oder finanzieller Hilfe. Dies sei sehr wichtig gewesen, so Dowling.
„Insgesamt
stehen wir vor einer sehr großen Herausforderung, aber mittlerweile sind wird doch
von den Anfangsjahren entfernt. Damals sah ich sehr viele Mütter und ihre Babys in
stickigen Bretterbuden sterben. Ich schaute in absolut hoffnungslose Augen. Die Leute
waren sehr verzweifelt. Es gab Mütter, die zu mir sagten: ‚Pater, es gibt keine Hoffnung
für mich und meine Kinder.’ Und ich wusste, ich konnte ihnen damals nur helfen, indem
ich ihnen die Hand hielt und versicherte, dass ich mich nach ihrem Tod um ihre Kinder
kümmern würde. Im Vergleich dazu sind wir heute schon einen Schritt weiter, auch wenn
es nicht so ist, dass so etwas heute überhaupt gar nicht mehr passiert. Es gibt auch
leider immer noch sehr viele Leute, besonders Männer, die uns aus Scham zu spät um
Hilfe bitten. Dann können wir ihnen nur noch helfen, dass sie einen Platz finden,
an dem man sich um sie kümmert und an dem sie in Würde sterben können.“
Der
Bericht von Bischof Kevin Dowling aus dem südafrikanischen Bistum Rustenberg macht
deutlich: AIDS ist auch mehr als dreißig Jahre nach der Entdeckung des Virus immer
noch sehr präsent in Südafrika. Es gibt noch sehr viel zu tun, um den Menschen dort
zu helfen.