Benedikt XVI.: „Der Baum der Kirche stirbt nicht ab“
„Der Baum der Kirche
stirbt nicht ab, sondern er wächst immer wieder neu, trotz aller schweren Stürze.“
Das sagte Papst Benedikt XVI. am Freitag Abend bei einer „Lectio divina“, einer geistlichen
Auslegung, zu der er jedes Jahr ins Priesterseminar des Erzbistums Rom kommt. Vor
etwa 200 Priesteramtskandidaten meditierte der Papst im Lateranpalast über drei Verse
aus dem Ersten Petrusbrief des Neuen Testaments. Dieser Brief sei, so Benedikt, „fast
so etwas wie eine erste Enzyklika“.
„Petrus, der Apostel – da spricht der,
der in Jesus Christus den Messias erkannt hat und der als erster im Namen der künftigen
Kirche gesagt hat: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Da spricht
der, der uns in diesen Glauben eingeführt hat; der, zu dem der Herr gesagt hat, er
werde ihm die Schlüssel des Himmelreiches geben. Gleichzeitig spricht da aber auch
der Mann, der gefallen ist, der Jesus verleugnet hat. Es ist wichtig, dass dieser
Mann voller Leidenschaft, voller Gottessehnsucht, der in Jesus den Messias erkannt
ist, derselbe ist, der auch gesündigt hat, der gefallen ist. Er ist trotzdem unter
den Augen des Herrn geblieben und bleibt deswegen verantwortlich für die Kirche Gottes
– er bleibt Beauftragter Christi, Träger seiner Liebe.“
Theologie
der ganzen Kirche
Benedikt XVI. erwähnte, dass die Exegeten angesichts
des guten Griechisch, in dem der Erste Petrusbrief abgefasst ist, kaum glauben können,
dass wirklich der Fischer aus Betsaida ihn verfasst haben soll. Aber der Autor des
Briefes gebe, so sinnierte der Papst, am Ende des Textes selbst den Hinweis, dass
er „durch Silvanus“ schreibe. Das könne darauf hindeuten, dass dieser Silvanus dem
Petrus bei der Abfassung geholfen habe oder sogar selbst der Schreiber gewesen sei.
„Jedenfalls
können wir daraus schließen, dass der Brief selbst uns darauf hinweist, dass Petrus
nicht allein war bei seinem Abfassen, sondern dass er den Brief einer Kirche ausdrückt,
die schon auf einem Weg des Glaubens ist. Er schreibt nicht allein und isoliert, er
schreibt mithilfe der Kirche und von Personen, die dabei helfen, den Glauben zu verteilen,
in die Tiefe des Denkens einzudringen. Und das ist etwas sehr wichtiges: Hier spricht
nicht Petrus, das Individuum, sondern er spricht als Mann der Kirche, im Namen der
Kirche – nicht wie ein Genie des 19. Jahrhunderts, das seine eigenen originellen Ideen
ausdrückt. Nein, er spricht nicht als individuelles Genie, sondern in Gemeinschaft
mit der Kirche.“
Übrigens gehörten Silvanus und Markus, die am Ende des
Ersten Petrusbriefes erwähnt würden, auch zum Freundeskreis des heiligen Paulus. Dadurch
berührten sich „die Welten von Petrus und Paulus“, so der Papst: Hier stehe „nicht
eine ausschließlich petrinische gegen eine paulinische Theologie“, sondern hier zeige
sich „die eine Theologie der Kirche“.
„In der Kirche gibt es natürlich verschiedene
Temperamente und Denkschulen, auch unterschiedlichen Stil. Und es ist gut, dass es
auch heute diese Vielfalt der Gaben und der Temperamente gibt! Aber sie sind kein
Kontrast, sondern verbinden sich im gemeinsamen Glauben.“
Kreuz und
Ruhm, auserwählt und fremd
Petrus habe seinen Brief von Rom aus geschrieben,
der damaligen Hauptstadt der Welt. In der Stadt habe es damals „eine große judenchristliche
Gemeinde“ gegeben, ihre Sprache habe u.a. Spuren im Römischen Kanon hinterlassen,
so der Papst. In Rom hätten also damals beide Lungenflügel der Urkirche geatmet: Juden-
und Heidenchristen.
„Für Petrus war sein Weg von Jerusalem nach Rom sicher
auch ein Weg zur Universalität der Kirche, ein Übergang zur Kirche der Völker, die
aber auch immer eine Kirche der Juden war. Und bestimmt hat er auf diesem Weg nach
Rom auch daran gedacht, dass Jesus ihm nach den Worten des Johannesevangeliums das
Martyrium angekündigt hatte. Petrus wusste, dass sein Ende der Märtyrertod sein würde.
Nach Rom gehen hieß für ihn also auch, dem Martyrium entgegenzugehen. Der Primat des
Petrus hat damit nicht nur den Gehalt des Universalen, sondern auch einen martyrologischen
Gehalt. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen an diesem Gang des Petrus nach Rom: Er
lädt auch uns ein, den Märtyrer-Aspekt am Christentum zu akzeptieren. Er kann heute
ganz verschiedene Formen haben. Auch das Kreuz kann heute ganz verschiedene Formen
annehmen, aber keiner kann Christ sein, ohne dem Kreuz zu folgen, ohne auch den Märtyrer-Moment
anzunehmen.“
Der Papst wies auch darauf hin, dass Petrus seinen Brief geschrieben
habe „an die Auserwählten, die als Fremde ... in der Zerstreuung leben“. Auch hier,
im Zusammenbringen von „auserwählt“ und „fremd“, zeige sich wieder „dieses Paradox
von Ruhm und Kreuz“, formulierte Benedikt XVI. „Auserwählt“ sei der Ruhmestitel Israels
gewesen – diesen Titel übertrage Petrus nun auf alle Getauften, und die „Privilegien
Israels“ gingen, wie der Brief dann ausführe, „auf alle Getauften über“.
„Auserwählt
– denken wir doch einmal über dieses Wort nach. Wir sind auserwählt. Das heißt: Gott
kennt uns von jeher, noch vor unserer Geburt, noch vor unserer Empfängnis. Gott hat
mich als Christen gewollt, als Katholik, als Priester. Gott hat an mich gedacht, er
hat mich unter Millionen gesucht und gesehen und auserwählt; nicht wegen meiner Verdienste,
sondern um seiner eigenen Güte willen. Vielleicht sind wir heute versucht zu sagen,
wir wollen nicht zu deutlich unsere Freude über unser Auserwähltsein zeigen, das wäre
doch Triumphalismus. Aber Triumphalismus wäre es eher, wenn wir denken würden: Gott
hat mich auserwählt, weil ich so groß bin. Sich hingegen zu freuen, dass Gott mich
gewollt hat – das ist kein Triumphalismus, sondern Dankbarkeit. Ich glaube, wir müssen
wieder diese Freude einüben, dass Gott wollte, dass ich in eine katholische Familie
hineingeboren werde und dass ich Jesus schon früh kennengelernt habe.“
Verfolgte
Christen
„Auserwählt“ habe etwas mit Privilegien zu tun, aber gleichzeitig
auch mit Demut, spann der Papst seinen Faden fort. Die Demut zeige sich an den Worten
des Petrusbriefs: „zerstreut, Fremde“.
„Als Christen sind wir in die Fremde
Zerstreute. Wir sehen, dass die Christen heute in der Welt die am meisten verfolgte
Gruppe sind, weil sie sich nicht anpassen, weil sie eine Gegentendenz darstellen zum
Egoismus und Materialismus. Natürlich sind Christen nicht nur Fremde, es gibt ja auch
christliche Nationen, und wir sind stolz, zur Herausbildung der Kultur beigetragen
zu haben. Es gibt einen gesunden Patriotismus, eine gesunde Freude, zu einer Nation
zu gehören, die eine große Geschichte der Kultur, des Glaubens hat. Und doch – auch
wenn wir so zu Hause sind, bleiben wir als Christen doch auch heute immer Fremde.“
Erben
der Zukunft
Viele Zeitgenossen wunderten sich heute doch über die Christen
– wie man denn nur so leben könne, wie man denn solche Sachen glauben könne? Das gehöre
zum Leben des Christen dazu, es sei „eine Art, mit dem gekreuzigten Christus zu sein,
dieses Fremdsein, weil man nicht so lebt wie alle, sondern seinem Wort gemäß“.
„Wir
sind Erben, nicht eines bestimmten Landes, sondern des Gottesreiches und der Zukunft
Gottes. Erbe ist eine Sache der Zukunft, den Christsein heißt vor allem, dass wir
die Zukunft haben: Die Zukunft gehört uns, es ist die Zukunft Gottes. Der Baum der
Kirche stirbt nicht ab, er wächst immer wieder neu. Darum haben wir allen Grund, uns
nicht – wie Papst Johannes XXIII. formuliert hat – von Unglückspropheten beeindrucken
zu lassen, die sagen: Die Kirche hat ihre beste Zeit hinter sich, jetzt ist sie in
der Sterbephase. Nein! Die Kirche erneuert sich immer wieder, sie wird immer wieder
neu geboren.“
Das solle allerdings, so meinte Papst Benedikt, auch kein
„falscher Optimismus“ sein.
„Der falsche Optimismus war der nach dem Konzil,
als die Klöster und Priesterseminare schlossen und alle sagten: Ach, das macht nichts,
es ist doch alles in Ordnung. Nein! Es ist nicht alles in Ordnung. Es gibt auch schwerwiegende,
gefährliche Abstürze, und wenn etwas falsch läuft, dann müssen wir das mit gesundem
Realismus ins Auge fassen. Aber gleichzeitig können wir sicher sein: Auch wenn die
Kirche hier und da stirbt wegen der Sünden der Menschen, wegen ihres fehlenden Glaubens,
sie wird doch gleichzeitig neu geboren. Die Zukunft gehört wirklich Gott: Das ist
die große Sicherheit unseres Lebens, unseres Glaubens, der wahre Optimismus, über
den wir verfügen.“