Medienwissenschaftler Bolz: „Viel Heuchelei und Häme im Spiel“
Der Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller,
spricht von „Pogromstimmung“ gegen Katholiken, der Kölner Kardinal Joachim Meisner
beklagt eine „Katholikenphobie“. Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz hält
das zwar für übertrieben. Dennoch wirft er den Medien in einem Interview der Katholischen
Nachrichten-Agentur eine massive Kampagne gegen die katholische Kirche vor.
Herr
Bolz, gibt es eine Pogromstimmung gegen Katholiken, oder zumindest eine Katholikenphobie
in der Gesellschaft?
„Das Vokabular scheint mir doch etwas überspitzt
zu sein, obwohl die Beobachtungen einen wahren Kern haben. Kardinal Meisner und Erzbischof
Müller sehen sich in der Defensive und interpretieren die Welt nur noch aus dieser
Perspektive. Sie verwechseln dabei allerdings die öffentliche Meinung mit der veröffentlichten
Meinung.“
Ist das alles nur ein Medienproblem? Zeigen nicht Kirchenaustrittszahlen,
Leserbriefspalten in Zeitungen und Reaktionen auf Fernsehsendungen, dass nicht nur
Journalisten derzeit empört sind über die katholische Kirche?
„Die
Menschen reagieren aber doch auf die massive Medienkampagne; die Themen werden von
den Medien gesetzt. Natürlich gibt es in den vergangenen Monaten Anlass zu Kritik:
die Missbrauchsskandale, der Umgang Kölner Kliniken mit einer vergewaltigten Frau,
der Streit um das Gutachten von Professor Pfeiffer. Das alles ist Wasser auf die Mühlen
der Medien. Das sind Themen, die sich beliebig skandalisieren lassen. Dabei ist viel
Heuchelei und Häme im Spiel.“
Gibt es so etwas wie einen antiklerikalen
Affekt der Medien?
„Es handelt sich um ein sehr altes Phänomen. Journalisten
definieren sich als Aufklärer. Und die katholische Kirche gilt schon seit dem 18.
Jahrhundert als die gegenaufklärerische Macht schlechthin. Und immer, wenn sie sich
gegen den Mainstream stellt und auf unzeitgemäßen Forderungen beharrt, wird dieser
Affekt wieder mobilisiert. Es gibt in den vergangenen Monaten zwei Gruppen, die zum
Abschuss freigegeben sind: die katholische Kirche und die FDP. Da fallen mittlerweile
alle Tabus.“
Die evangelische Kirche hat es da besser?
„Sie
praktiziert schon seit Jahren eine bedingungslose Anpassungsstrategie an den Zeitgeist
und segelt im Windschatten der öffentlichen Meinung. Dabei verliert sie aber jedes
Profil.“
Was empfehlen Sie den katholischen Bischöfen, die sich Mitte
Februar zu ihrer Frühjahrsvollversammlung in Trier treffen?
„Die zentrale
Frage ist aus meiner Sicht, ob die katholische Kirche eine ähnliche Anpassungsstrategie
wie die evangelische Kirche fährt und in der spirituellen Bedeutungslosigkeit verschwindet,
oder ob sie bereit ist, unzeitgemäß zu sein und dafür auch Prügel einzustecken. Dabei
kann sie ja darauf bauen, dass ihr Kurs schon seit 2.000 Jahren gut gegangen ist.“
Also weiter machen wie bisher?
„Natürlich hat die Kirche
auch Fehler gemacht. Und die sollte sie auch einräumen. Sie sollte sich darüber hinaus
fragen, wen sie in die Talk-Shows und Diskussionen schickt. Ihr geht es da ähnlich
wie den Arbeitgebern: Ihre Vertreter wirken schnell unsympathisch und hart. Da gibt
es sicherlich Nachholbedarf in PR. Die Kirche muss sich durch Persönlichkeiten darstellen,
die Profil, Mut und Kampfkraft zeigen. Und die jenseits dogmatischer Starrheit erklären
können, worum es eigentlich geht.“