2013-02-04 17:07:57

Menschen in der Zeit - Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels


Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist einer der profiliertesten katholischen Kritiker des Verlusts christlicher Werte in der Gesellschaft. Der Dominikanerpater ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Theologischen Fakultät der Universität Trier und Chefredakteur der Zeitschrift ‚Die Neue Ordnung’ in Bonn. Von 1979 bis 1982 war er Redakteur des Rheinischen Merkur. Neun Jahre lang war Wolfgang Ockenfels Berater beim Päpstlichen Rat „Justitia et pax“ in Rom.

Wir leben gesellschaftspolitisch in Zeiten der großen Entscheidungen. Sie lehren christliche Gesellschaftslehre, also moderne Soziologie. Politik und Soziologie: das sind Schwerpunkte in Ihrem Denken und Sein. Gibt es dazu einen gemeinsamen Nenner?

„Ja, weil sich die christliche Gesellschaftslehre auch mit der politischen Ordnung beschäftigt. Ich bin kein empirischer Sozialwissenschaftler, sondern ein Sozialethiker. Ich habe also Bewertungen vorzunehmen und was die Ordnung der Politik betrifft, so ist das die Demokratie, die aber auch der Werte bedürftig ist und hierzu hat die Tradition der katholischen Soziallehre einiges zu sagen.”

Die soziale Marktwirtschaft ist in vielen Teilen Europas durch Gier und Maßlosigkeit, aber auch durch hemmungsloses Schuldenmachen aus dem Ruder gelaufen. Sie bringen in Ihre Überlegungen immer wieder die katholische Soziallehre mit ins Spiel. Was erhoffen Sie sich von dieser Lehre im Hinblick auf die soziale Entwicklung in Europa, in der Welt? Die katholische Soziallehre wird auch die „Magna Charta“ des gerechten Wohlstands benannt. Was ist gut an dieser Lehre, was könnte oder sollte an ihr noch geändert werden?

„Die katholische Soziallehre ist das Kontinuum der Aussagen der Päpste zu sozialen Fragen. Das war schon in den früheren Zeiten der Kirche so, dass die Kirche sich um Ordnungsfragen gekümmert hat. Ordnungsfragen des Eigentums, die Fragen nach den Kriegen und Frieden, die Frage des Zinsnehmens, des Wuchers. All das sind Ordnungsfragen, die uns bis in die Gegenwart beschäftigt. Und hier hat vor allem seit 1891 Papst Leo XIII. die Spur gelegt, für eine neue katholische Soziallehre, die unter den Bedingungen der Neuzeit, der Moderne, vor allem des Kapitalismus und auch der Demokratie einige Orientierungen geben soll. Leider sind diese Orientierungen hier in Europa ziemlich in Vergessenheit geraten. Und manches an den heutigen Krisen kann man vielleicht auch darauf zurückführen.”

Global Player und Global Prayer

Zum Beispiel?

„Dass man zu wenig reflektiert. Jene Traditionsbestände die etwa für Europa, aber auch für die Welt wichtig sind. Die Kirche ist ja so etwas wie ein ‚Global Player’ oder ‚Global Prayer’. Sie ist als Weltkirche also auch mit den internationalen Problemen beschäftigt. Und hierzu haben die Päpste, vor allem jetzt auch Papst Benedikt, eine ganze Reihe sehr wichtiger Aussagen getroffen, etwa in seiner jüngsten Enzyklika ‚Caritas in veritate’. Sie wird leider zu wenig diskutiert. Die Politiker interessieren sich nicht mehr so sehr für die grundsätzlichen Ordnungsfragen, es wäre aber wichtig, dass die Kirche diese wieder ins Spiel bringt. Besonders hinsichtlich auf die Ordnung Europas. Europa nimmt inzwischen sehr säkularistische Züge an und hat auch das vergessen, was wir als soziale Marktwirtschaft gerne gehabt hätten, und hier in Deutschland auch schon ganz erfolgreich experimentiert haben.”

Sie haben eben Papst Leo XIII. als den Initiator einer Sozialenzyklika genannt. Wie kann das Konzept der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI. auf die Ebene der globalen Weltwirtschaft übertragen werden?

„Das ist nicht ganz einfach. Hierzu hat der Papst auch kein konkretes politisches Programm vorgeschlagen, sondern er bewegt sich argumentativ auf Fragen der Grundsätze. Er stellt fest, dass es in der Wirtschaftsordnung jedenfalls nicht darum geht, dass ein System automatisch funktioniert – nach Kosten-Nutzen Kalkülen - und nach einem Mechanismus des Marktes, sondern das hier auch die Verantwortung der einzelnen Subjekte dieser Marktwirtschaft zu berücksichtigen sind und dass die sich hier bewähren müssen, dass sie sich moralisch korrekt zu verhalten haben. Sie haben eben das Thema Gier angesprochen, und dem setzt der Papst entgegen, dass es auch so etwas wie eine Unentgeltlichkeit geben könne. Das ist ein ganz neuer Gesichtspunkt in der Soziallehre und dass sogar die Liebe und nicht nur die Solidarität eine große Rolle spielt.”

Eine gute Rahmenordnung

Hier wäre zu fragen, wie man diese Ordnung der Wirtschaft, also das Verhältnis vom Staat zu den einzelnen Wirtschaftssubjekten, besser darstellen kann?

„Es fehlt uns -weltweit gesehen- die Ordnungsinstanz des Staates: Wir haben keinen Weltstaat und das ist es auch nicht, was der Papst vorschlägt. Er spricht nicht von einem Weltstaat, einem zentralistischen Weltstaat, dem man nicht mehr entrinnen kann, sondern er spricht von Weltautoritäten, die ja schon vorhanden sind, die man aber doch stärken müsste, damit die Wirtschaft eine gute Rahmenordnung bekommt, und sich nicht derart krisenhaft entwickelt, vor allem in der sogenannten Dritten Welt.”

Und welche wären diese Weltautoritäten?

„Das sind etwa der Weltwährungsfonds – da muss man aber auch schon fragen, nach welchen Kriterien, nach welchen Maßstäben er urteilt – und die Vereinten Nationen, die ja einen Katalog der Menschenrechte zu Fragen des Friedens vorlegen – auch hier muss man fragen, in welchem Sinne operieren diese zentralen Weltautoritäten, auch hier hat der Vatikan ja ein gewisses Mitspracherecht – er ist ja in diesen internationalen Organisationen vertreten und er wird hier gewiss versuchen, auch die Werte des Christentums ins Spiel zu bringen.”

Europa: Eigenarten und Gemeinsamkeiten

Wir kommen zu Europa: Muss Europa wieder neu buchstabiert werden – und zwar nach dem Alphabet der Solidarität, der Subsidiarität. Was kann die katholische Kirche konkret dazu beitragen?

„Nun, auch hier wird man fragen müssen: Was stand am Anfang der europäischen Einigungsidee? Das waren vor allem katholische Politiker, wie Robert Schuman, De Gasperi, Konrad Adenauer. Das waren Leute, die noch etwas von der katholischen Soziallehre gewusst haben. Vor allem von dem Prinzip der Subsidiarität. Das sind Leute gewesen, die kein zentralistisches Europa wollten. Und auch nicht unbedingt einen europäischen Staat. Einen Staatenbund ja, aber keinen Bundesstaat. Man muss die Eigenart der einzelnen Nationen bewahren. Und hier hat die Kirche vor allem in ihrer Soziallehre etwas zu sagen. Das betrifft vor allem die Wirtschaftspolitik. Und auch diese elende Schuldenmacherei. Das war vor allem Kardinal Höffner gewesen – ein großer Sozialethiker in Deutschland – der die schuldenfinanzierte Wachstumspolitik der damaligen Bundesregierung kritisiert hat. Schulden haben etwas mit moralischer Schuld zu tun. Man kann nicht auf Dauer mehr ausgeben, als man einnimmt.”

In Ihrem Studium lernten Sie unter anderem die Eigentumslehre des Thomas von Aquin kennen. Nach dieser Lehre sollen die Güter der Erde allen Menschen zur Verfügung stehen. Das Gegenteil ist eingetroffen: heute konzentriert sich der globale Güterbesitz auf einige, wenige Weltkonzerne …

„Ja, das ist eine gewisse Tendenz der Zentralisierung der Kapitalien. Das ist eine gefährliche Tendenz: Thomas von Aquin spricht sich ja für das Privateigentum aus – in dem Sinne, dass eigentlich alle davon partizipieren können, Zugang haben. Er hat aber nicht von Verstaatlichung gesprochen. Aber dass die Reichen auch den Armen zu Hilfe kommen und etwas von ihrem Überfluss abzugeben haben. Das ist eine sozialpolitische Forderung, die bis heute gilt und etwa auch in der Steuerpolitik zu berücksichtigen ist.”

Nun besteht die Frage: Worin besteht diese Sozialbindung des Eigentums?

„Das wird immer ein umstrittener Punkt bleiben. Wie hoch die Besteuerung sein soll, ob es eine Vermögens- oder Reichensteuer geben soll, all das kann man diskutieren. An dieser Diskussion werden wir uns als Katholiken gewiss beteiligen.”

Der Siegestaumel des Kapitalismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 20 Jahren, ist vorbei. Die weltweite Finanzkrise zeigt, wie anfällig das Wirtschaftssystem heute ist und welchen sozialen Sprengstoff es birgt. Ist ein Weg aus dieser Lage in Aussicht und steuern wir unaufhaltsam einem Abgrund entgegen?

„Es gibt einige sehr gefährliche Tendenzen: da stimme ich Ihnen zu. Wir könnten einem ganz großen ‚Crash’ entgegen gehen! Und wir tun nicht genug, um das verhindern. Die Frage ist, ob der Kapitalismus in der Form, wie wir ihn weltweit erleben und erleiden, noch zukunftsfähig ist. Das glaube ich nicht, wir brauchen weltweit gesehen eine soziale Marktwirtschat und keinen Kapitalismus.”

Welche Art von Flügelschlag bedarf es, dass aus Europa heraus wieder ein neuer Humanismus entstehen kann?

„Das hängt auch sehr stark von der Kraft der Kirche ab, die ja leider in Europa einen gealtigen Verlust der Bedeutung erlitten hat. Das ist in Deutschland vielleicht schlimmer als in Italien. Aber hier muss die Kirche zunächst selbst wieder zu Kräften kommen, sie muss ihre spirituelle Kompetenz wieder gewinnen. Und den jüngeren Generationen einüben, was es heißt, Christ zu sein. Dann erst kann man darüber nachdenken, wie die christlichen Werte auch wieder in die Gesellschaft einzubringen sind.”

Die Kirche hat schon seit langem ein Recht auf Heimat proklamiert. Wie muss ein europäisches Asylrecht aussehen, das den Forderungen der katholischen Soziallehre entspricht? Die Welt vergisst unglaublich schnell, aber es wird nicht lange dauern, höchstens bis Mai –Juni, und man wird wieder von dem Flüchlingsstrom auf der italienischen Insel Lampedusa sprechen.

„Ja, das ist eine ganz gefährliche Tendenz. Dass man glaubt, das Elend der Welt dadurch lösen zu können, dass man den Armen freien Zutritt gewährt in den reichen Ländern. Aber das kann nicht bedeuten, dass wir die Grenzen beliebig öffnen. Da haben Sie angedeutet: es gibt ein Recht auf Heimat. Man sollte diese Heimatländer der Emigranten stärker unterstützen, dass sie auf eigenen Füssen stehen können.”

In vielen europäischen Staaten herrscht Demokratie: Das heißt, der Souverän ist das Volk. Aber in ebenso vielen Staaten haben sich die Repräsentanten des Volkes, sprich die Politiker von den Bürgern entfernt und sich zum Gebilde einer Kaste zurückgebildet. Wird die Ethik, die Moral ausreichen, um diesen Status Quo zu ändern?

„Schon in der Analyse stimme ich Ihnen zu: Wir haben es in der Zwischenzeit nicht nur mit einer wirtschaftlichen, sondern auch mit einer politischen Krise zu tun: Das ist eine Demokratie-Verdrossenheit, das ist ein Auseinandertreten der Eliten, der politischen Führer vom Volk, und das wird auch große Turbolenzen bringen. Einen Vertrauensverlust gegenüber den Politikern vor allem auf europäischer Ebene - diese Abkapselung der Politiker von der Basis – das ist eine Sache, die wir auf jeden Fall überwinden müssen! Vielleicht dadurch, dass wir wieder direktere Formen der Demokratie wieder entdecken müssen.”

Sind Populisten heute in Europa eine vorüber ziehende Nebelschwade – ich denke an Le Pen, an die Piraten, an Grillo usw. – oder braucht man sie, auf dass die bürgerlichen Parteien sich wieder mehr anstrengen?

„Das könnte in der Tat eine interessante Herausforderung sein. Wenn sich jetzt an den rechten und linken Rändern des politischen Spektrums einige radikale neue Parteien heranbilden, ist das ja bloß ein Krisenzeichen, das wir in den bürgerlichen Parteien feststellen. Daraus müssen die bürgerlichen Parteien lernen. Sonst werden sie noch massive Herausforderungen erleben. Weil die Bevölkerung dann auf diese einfachen Lösungen der Populisten hereinfallen wird. Muss das bürgerliche Lager eine Alternative finden, das dann die berechtigten Belange der Bürger aufgreift.”

Bis jetzt war viel die Rede der Krise in der Politik und Wirtschaft, aber es gibt auch eine Krise auf einem anderen Gebiet: Worin liegt die Ursache der Krise, nämlich der massenhafte Glaubensabfall, in den meisten westlichen Ländern?

„Das hat gewiss viele Gründe. Einer davon liegt im Versagen der Kirchenleitung selber. Dass sie etwa, was den Religionsunterricht betrifft, nicht genügend Kraft entwickeln kann, den Glauben authentisch zu vermitteln. Es beginnt aber auch schon in der Familie selber. Es ist der Verfall der Familie, vor allem der Erziehungsfunktion der Eltern, die uns in diese Lage gebracht haben. Dazu kommen dann weitere Zeitumstände, der Materialismus, der Hedonismus, den wir erleben, und die vielen Religionsersatzformen. Es gibt viele neue Formen von Quasi-Religionen, die Gesellschaft selber ist religions-produktiv geworden und erfindet sich permanent irgendwelche Angebote von Sinn und Unsinn, den sie als Religion ausgibt.”

Christentum und Islam sind unvereinbar – eine Aussage von Wolfgang Ockenfels. Welche Überlegung liegt diesem Urteil zu Grunde?

„Da ist zunächst einmal das Gottesbild, das die Christen im Unterschied zu den Muslimen mit der Trinitätslehre verbinden. Das ist im strengen Monotheismus des Islam nicht nachvollziehbar. Es gibt aber auch einige Annäherungen im Bereich der Ethik, aber hier gibt es doch eher die Tendenz eines Islamismus, der eine völlige Einheit von Politik und Religion anstrebt. Das sind ganz gefährliche totalitäre Versuchungen und Gefahren, denen wir uns in Europa entgegen stellen müssen. Vor allem dass die Scharia plötzlich als ein religiöses Recht in die Öffentlichkeit einbricht und das Fürchten lehren wird.”

Neun Jahre lang waren Sie Berater beim Päpstlichen Rat „Justitia et Pax“ in Rom. Werden Ihre Ratschläge in diesem Gremium wahrgenommen, aufgenommen, verwirklicht?

„Es gibt natürlich Möglichkeiten – bei den Jahrestreffen etwa – seine Beiträge in Rom zu Gehör zu bringen, darauf hat der Päpstliche Rat immer größten Wert gelegt. Er hat ja auch Papiere verabschiedet, an denen Mitglieder des Päpstlichen Rates mitbeteiligt waren. Ich glaube schon, dass der Päpstliche Rat ‚Justitia et pax’ ganz gute Vorlagen gemacht hat, auch zur Entscheidung für den Papst.”

Eine letzte Frage: Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält: Faust 1. Was hält die Welt in ihrem Innersten zusammen, Herr Professor Ockenfels?

„Das müssen wir der gütigen Vorsehung Gottes überlassen. Ich glaube nicht an Geschichts-Gesetze, die mit Notwendigkeit eintreten. Ich glaube auch nicht an Zufall oder bloßes Schicksal. Sondern, dass Gott der Träger, das eigentliche Subjekt der gesamten Geschichte ist. Und seinem Ratschluss werden wir uns als Christen gewiss auch gehorchsam unterwerfen müssen. Wenngleich wir auch aufgefordert sind, mitzuwirken am Gesetzeswillen Gottes. Aber seinen Geschichtswillen, dem können wir nicht erkennen. Hier können wir nur auf die Zeichen der Zeit achten. Und versuchen, sie im Licht des Evangeliums zu deuten, um danach auch die Welt einwenig besser zu machen. Ganz in den Griff bekommen wir die Welt nicht, wir müssen auf die Zeichen achten und uns entsprechend einrichten.”

Wir danken für dieses Gespräch.

(rv 03.02.2013 ap)







All the contents on this site are copyrighted ©.