Er verhalf Polen zur Freiheit: Kardinal Jozef Glemp +
Kardinal Jozef Glemp
ist tot: Der frühere Primas von Polen starb in der Nacht auf Donnerstag in einem Warschauer
Krankenhaus. Der 83-Jährige war vor allem durch seine Rolle während des Kriegsrechts
in Polen 1981 international bekannt geworden.
13. Dezember 1981: General Jaruzelski
verhängt im polnischen Rundfunk das Kriegsrecht über Polen. Eine Herausforderung für
die Gegner des kommunistischen Regimes, die freie Gewerkschaft „Solidarnosc“ und die
katholische Kirche Polens. An ihrer Spitze steht damals erst seit fünf Monaten der
Warschauer Erzbischof Jozef Glemp. „Die Zeit des Kriegsrechts war eine sehr turbulente“,
sagte Glemp einmal im Rückblick auf 1981. „Die Polen standen vor einer Wahl: mit Gewalt
zu antworten oder erst einmal alles auszuhalten. Ich hatte damals als junger Bischof
den Eindruck, dass der Kommunismus früher oder später kollabieren müsste, weil er
seine innere Dynamik vollständig eingebüßt hatte. Darum entschied ich, dass es besser
wäre, erst einmal auszuhalten.“
Glemp veröffentlicht einen Aufruf an die Nation:
Die Menschen sollten ruhig bleiben und nicht zu den Waffen greifen. Ein Appell ganz
im Sinn des polnischen Papstes Johannes Paul II. „Dieser Appell brachte sehr viele
Menschen in Polen gegen mich auf – sie sagten: Unser Primas hat ja Angst, der hat
nicht den Mumm, den Kommunisten die Stirn zu bieten! Ich hingegen dachte: Wir brauchen
jeden Einzelnen später mal, wenn das alles vorbei ist, um Polen wieder aufzubauen.
Sobald wir das alles hier erstmal hinter uns haben. Und ich glaube, dass das auch
der Wille Gottes war. Übrigens glaube ich, dass auch die Kommunisten im wesentlichen
so dachten und es nicht auf einen Kampf ankommen lassen wollten. Die hatten ja selber
auch Angst.“
„Glemp fand sich unvermittelt in einer sehr heiklen Lage“, sagt
heute Erzbischof Jozef Michalik, Vorsitzender der Bischofskonferenz. „Aber er war
ein Mann des Gesprächs und großer Fähigkeiten – er hat in diesem Moment einen Weg
nach vorn zu einer positiven Lösung gewiesen.“
Glemps versöhnliche Haltung
im entscheidenden Moment zahlt sich aus: Polen findet den Weg heraus aus dem Kriegsrecht,
hin zu einem Runden Tisch aller gesellschaftlichen Kräfte, zu freien Wahlen – eine
Wende noch vor dem Fall der Berliner Mauer. Doch die Kirche Polens, zuvor Heldin des
Widerstands, tat und tut sich überraschend schwer in der freien Gesellschaft, auch
das hat Glemp noch erlebt. „Natürlich ist eine solche Wende nicht definitiv; es bleibt
immer noch sehr viel Arbeit zu tun. Es braucht Zeit, um das Angesicht der Erde zu
verändern. Wir brauchen, immer noch, die Hilfe des Heiligen Geistes.“
Glemp
war der letzte Zeitzeuge der drei großen Kirchenführer, die Polens Übergang in die
Freiheit begleiteten: Johannes Paul II., Primas Stefan Wyszynski, Jozef Glemp. „Wegen
Johannes Paul II. begannen die Menschen ab 1978 auf einmal, an die Möglichkeit einer
Wende zu glauben. Und zwanzig Jahre, nachdem er zum ersten Mal in Warschau von einer
Wende gesprochen hatte – mitten im Kommunismus -, kam er ja auf denselben Platz zurück
und sagte: Von hier habe ich damals nach der Wende gerufen, und heute ist sie da!
Natürlich war das damals eine harte Zeit und ein langer Prozess. Selbstverständlich
habe ich viel von meinem Vorgänger Kardinal Wyszynski gelernt und bin auf dem von
ihm gezeigten Weg weitergegangen.“
Im August 1980 gründet Lech Walesa in Danzig
die freie Gewerkschaft „Solidarnosc“, mit Flankendeckung aus dem Vatikan und Washington.
„Wir waren damals alle enthusiastisch und glaubten die Wende greifbar nahe, aber uns
stand doch auch die Gefahr einer Art Vulkan-Explosion sehr deutlich vor Augen. Die
größte Angst war, dass die Rote Armee in Polen einfallen könnte, aber ich frage mich
bis heute, ob das überhaupt nötig gewesen wäre, um die Freiheit in Polen zu unterdrücken.
Schließlich waren wir doch schon wirtschaftlich ausgesprochen abhängig von der Sowjetunion,
darum hätte es des Militärs vielleicht gar nicht bedurft.“
Mitte 1981 stirbt
Kardinal Wyszynski, der viele Regimegegner bisher inspiriert hat. Auf den Papst hat
in Rom ein Attentäter geschossen, er ist schwer verletzt, viele katholische Polen
fühlen sich in heikler Stunde alleingelassen, desorientiert. „Als ich in Warschau
Bischof wurde und zugleich Primas von Polen, gab es noch einen stabilen Gesprächskontakt
zur Regierung, aber die Stimmung war wie die Stille vor dem Sturm. Und dieser Sturm
brach am 13. Dezember 1981 mit der Ausrufung des Kriegsrechts los. Das Kriegsrecht
war für mich ein großer Schmerz, ein schwerer Schlag. Aber ich war immer davon überzeugt:
Das wird nicht lange dauern. Das kann doch nicht sein, dass eine so große Nation mit
ihrer Kultur und ihrem Glauben sich auf lange Zeit dem Kriegsrecht unterwerfen muss!“
Jozef
Glemp ist 1929 im Erzbistum Gnesen geboren worden, der Vater war Bergmann. In der
Nazi-Zeit musste er Zwangsarbeit leisten, 1956 wurde er Priester. Ab 1967 war er einer
der engsten Mitarbeiter von Primas Stefan Wyszynski, dessen Nachfolger er 1981 wurde.
1983 machte ihn sein Landsmann Johannes Paul zum Kardinal, über zwanzig Jahre leitete
Glemp Polens Bischofskonferenz, bis vor drei Jahren trug er den Titel des Primas.
Mit dem Tod des kantigen Glemp liegt die Zahl der Kardinäle jetzt bei 210; davon sind
119 papstwahlberechtigt.