„Das ist so
ziemlich das Schlimmste, was der katholischen Kirche passieren konnte… Die katholische
Kirche sitzt hier richtig in einer Falle!“ Das sagt eine, die es wissen muss:
Michaela Pilters, katholische Journalistin vom ZDF, von Berufs wegen hellhörig für
die Kommunikation von Kirchenthemen. „Es hat ja ganz schlimme Vorfälle gegeben,
die früher auch vertuscht wurden. Und wenn das Vertrauen erstmal verloren ist, dann
ist es ganz schwierig, aus diesem Generalverdacht, unter dem die Kirche steht… Also,
wenn Herr Pfeiffer hier sagt: Die wollen etwas vertuschen!, dann entspricht das den
Vorbehalten, die die Öffentlichkeit ohnehin hat!“
Jetzt ist er jedenfalls
da, der Eklat: Die deutsche Kirche steigt aus aus einem großen Forschungsprojekt zum
Thema Kirche und Missbrauch. Die Bemühungen um Aufarbeitung der Skandale gerät, so
scheint es, ins Stocken. „Ich bedaure sehr, dass es zur Aufkündigung des Vertrages
gekommen ist“ – das sagt der katholische Missbrauchsbeauftragte, Bischof Stephan
Ackermann. „Wir haben uns in den letzten zwei Jahren wirklich sehr darum bemüht,
und zwar auf beiden Seiten, dass das Projekt an den Start kommt, auch mit all den
Detailklärungen, die man für ein so großes Projekt braucht. Das ist auch in dieser
großangelegten Weise eine einzigartige Sache, und man kann ein solches Projekt nur
durchführen, wenn es auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis gibt. Leider mussten
wir jetzt aber feststellen, dass trotz aller Bemühungen das Vertrauensverhältnis zum
Leiter des Projekts, Professor Pfeiffer, derart zerrüttet ist, dass es auch nicht
wiederhergestellt werden kann und wir uns deshalb zu diesem Schritt genötigt sahen.“
Die
Zerrüttung des Vertrauens ist deutlich – sie zeigt sich u.a. daran, dass Christian
Pfeiffer, Leiter des Krimonologischen Instituts Niedersachsen, schwere Vorwürfe erhebt.
Unter anderem hantierte er im Deutschlandfunk mit dem Begriff „Zensur“: „Ich habe
alle Vorgaben erfüllt. Ich habe nur mit allem Nachdruck und aller Deutlichkeit klar
gemacht, dass wir uns nicht zensieren lassen werden. Darüber hat es natürlich Unmut
gegeben, wenn ich das sehr deutlich zum Ausdruck gebracht habe und auch klar gesagt
habe, diese Kontrollwünsche können wir nicht akzeptieren.“ Kontrollwünsche – damit
meint er das Anliegen der deutschen Bischöfe, dass die Studie sich bei der Auswertung
von Dokumenten an den Datenschutz halten sollte. Bischof Ackermann dazu:
„Es
geht hier um Personalakten von aktiven, lebenden Priestern; es geht um Akten von Verstorbenen
in den neun ausgewählten Bistümern; es geht damit insgesamt um eine sehr sensible
Materie – also nicht darum, dass etwa das Forschungsinstitut zur Beteiligung an bestimmten
Befragungen aufruft, wie das ja oft bei solchen Untersuchungen der Fall ist. Nein,
die Bischöfe gewähren Einblick in diese in allen Bereichen – nicht nur bei der Kirche
– hochsensiblen Akten. Und da geht es natürlich um Fragen von Datenschutz, von Persönlichkeitsrechten
– das ist zu gewährleisten. Wir können ja nicht versuchen, Unrecht aufzuklären, und
auf der anderen Seite das Recht beugen!“
Gegen den Zensurvorwurf wehren
sich die deutschen Bischöfe, wie am Donnerstag bekannt wurde, mit rechtlichen Schritten:
Eine Unterlassenserklärung fordert Pfeiffer auf, nicht mehr zu behaupten, die Kirche
wolle Forschungsergebnisse zensieren. Das entspreche einfach nicht den Tatsachen.
Aber Pfeiffer behauptet noch mehr: In Bistümern seien relevante Akten vorsätzlich
vernichtet worden. „Ja, es gibt da eine Vorschrift, wonach man zehn Jahre nach
der Verurteilung eines Priesters die Akten zu vernichten hat. Darüber hatte man uns
im Unklaren gelassen, dass es das gibt. Auch die Öffentlichkeit war darüber nicht
informiert worden, denn vereinbart ist im Vertrag eine Aktenanalyse bis zum Jahr 1945
rückgehend. Das ist ja gar nicht machbar, wenn alle zehn Jahre die Akten vernichtet
werden.“ Stimmt alles nicht, sagt dazu der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz,
Matthias Kopp: „Ich verwahre mich gegen diese Äußerung von Herrn Pfeiffer – sie
ist sachlich falsch! Wenn Herr Pfeiffer seine eigenen Akten durchschauen würde, dann
wüßte er auch, dass wir schriftlichen Kontakt dazu hatten. Es gibt nach unserer Kenntnis
keine Aktenvernichtung! Das kirchliche Gesetzbuch sieht vor, dass bei strafrechtlich
relevanten Delikten gerade im sittlichen Bereich Akten nicht gänzlich vernichtet werden
müssen, sondern, wenn sie strafrechtlich verfolgt wurden, entsprechende Protokolle
aufbewahrt werden müssen. Wir sind da sogar noch deutlicher als das Zivilstrafrecht!“
Im
Juli 2011, ein Jahr nach Ausbruch der Missbrauchsskandale, war die Entscheidung für
ein Forschungsprojekt verkündet worden. Die Entschlossenheit zur Aufklärung war groß
bei der Kirche. Dann kamen einigen doch Bedenken. Bischof Ackermann: „Alle Partner
haben anfangs nicht abschätzen können, wie viele nun auch wirklich sachlich diffizile
Fragen zu beachten sind, um auf der einen Seite natürlich die Wissenschaftsfreiheit
zu gewährleisten, auf der anderen Seite aber auch Persönlichkeitsrechte von Menschen
zu schützen, so wie es das Gesetz auch vorsieht.“ Ein Eiertanz, bei dem das Vertrauen
zwischen Kirche und Pfeiffer auf der Strecke blieb. „Es gab zwei besondere Knackpunkte,
das muss man deutlich sagen. Das waren die Frage der Anonymisierung, so dass man nicht
zurückschließen kann auf Personen, auf bestimmte Situationen oder auch auf Bistümer.
Darum haben wir lange gerungen. Und das Zweite war die Frage der Veröffentlichung:
Wenn es zum Abschlussbericht abweichende Stellungnahmen oder Voten gibt - wie geht
das dann, dass es auch gleichzeitig und auf Augenhöhe geschieht? Nicht so, dass Professor
Pfeiffer öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentiert und wir Bischöfe dann im Nachhinein
irgendwie versuchen müssen, auch unsere Sicht einzubringen – sofern es überhaupt Differenzen
gibt.“
Auch die deutsche Justizministerin Sabine Leutheuser-Scharrenberger
nutzte den Streit um die Studie zu ein paar unfreundlichen Worten: Die Kirche erwecke
den Eindruck, als hätte sie etwas zu verbergen. Professor Pfeiffer will jetzt auf
eigene Faust weitermachen: „Natürlich! Wir sind ja am Thema dran. Wir haben im
Auftrag der Bundesregierung 11.500 Menschen im vorletzten Jahr befragen dürfen, ob
sie Opfer gewesen sind. Dadurch haben wir Informationen zu 500 Opfern, die Opfer von
Lehrern, Eltern und Familienangehörigen und sonst wem geworden sind, und das möchten
wir jetzt gerne vergleichen mit den Angaben derer, die Opfer von Priestern geworden
sind, und hoffen, dass sich möglichst viele an dieser freiwilligen Untersuchung beteiligen.“
Gleichzeitig halten auch die deutschen Bischöfe an den Plänen zu einer großen
Missbrauchsstudie fest. Ihr Sprecher Kopp verspricht: „In aller Klarheit: Das Forschungsprojekt
wird fortgeführt! Es scheitert an der Person von Professor Pfeiffer, wir werden uns
aber dieser Verpflichtung, die wir schon 2010 verkündet haben, weiter stellen. Deshalb
führen wir in den nächsten Tagen Gespräche mit anderen Instituten.“
Der
Schaden ist jedenfalls angerichtet. „Das ist zunächst einmal für die Betroffenen
von sexuellen Übergriffen in der Vergangenheit ein Schlag ins Gesicht, der wenig Verständnis
bei ihnen hervorruft“, sagt der Kölner katholische Mißbrauchsbeauftragte Oliver
Vogt. „Wir wären im Erzbistum Köln bei den neun deutschen Diözesen gewesen, die
sich an der Aufarbeitung beteiligt hätten. Wir hätten die Personalakten bis 1945 zurück
zur Verfügung gestellt, und wir sind jetzt in der Situation, abwarten zu müssen, wie
sich die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem weiteren Vorgehen entscheidet.“ Ein
schwerer Schlag vor allem für die Opfer: „weil sie sehr lange darauf gehofft haben,
dass Kirche sich dieser Aufarbeitung stellt, um einfach auch nachvollziehen zu können,
was damals passiert ist. Jetzt wieder mit dieser Verzögerung leben zu müssen, ist
sehr schwierig und stellt die Betroffenen wieder vor große Probleme.“
Ein
Beitrag mit Audio-Material u.a. des Kölner Domradios und der Internetseite katholisch.de,
von Stefan Kempis.