„Echte Reformen schrauben nicht den Sozialstaat zurück“
Trotz der Wirtschaftskrise dürfen die Reformer in Europa jetzt nicht den Sozialstaat
zu stark stutzen. Das fordert der Vatikanbischof Mario Toso, zweiter Mann des Päpstlichen
Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Bei einem Vortrag in Rom rief er zum Sturz eines,
so wörtlich, „neoliberalen Kapitalismus“ auf, „der von einer radikal-libertären und
konsumistischen Ideologie geprägt ist“. Stattdessen werde „ein neuer, ethischer Kapitalismus“
gebraucht. „Echte Politik zielt auf die umfassende Verwirklichung des Menschen“, erklärt
der Vatikanbischof im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Selbst wenn die Parteien
ihre je eigene Sicht auf die Dinge haben, dürfen sie doch diesen Horizont des umfassenden
menschlichen Guts aus den Augen verlieren. Echte Reform – denn von Reformen reden
heute ja alle – gelingt, wenn sie soweit wie möglich auf eine Balance von Rechten
und Pflichten des Menschen setzt. Wo man aus taktischen oder aus Koalitionsgründen
an irgendwelche Grundrechte rührt, bleiben echte Reformen stecken.“
Geht
das noch konkreter? Gerne, sagt Toso – und erinnert, wie schon Papst Benedikt in seiner
Neujahrsbotschaft, an ein Recht jedes Menschen auf Arbeit. „Arbeit ist ein grundlegendes
Gut, nicht nur eine Option, so wie die neue Doktrin des ungeregelten Finanzkapitalismus
uns glauben machen will. Darum bleibt es richtig, aktiv Arbeit für alle anzustreben!
Und darum darf die Politik nicht auf ein Zurückfahren des Sozialstaates abzielen,
sie darf nicht an die sozialen Rechte rühren – sonst wachsen die Ungleichheiten in
der Gesellschaft, und die demokratische Teilhabe wird geschwächt.
Genausowenig
darf man Wachstumspolitik gegen Sozialpolitik ausspielen. Natürlich muss Verschwendung
verhindert werden, und Investitionen in Forschung und Innovation sind nötig, sonst
gibt es kein Wachstum und keinen nationalen Reichtum. Darum darf man sie definitiv
nicht zum Haushaltsdefizit zählen.“ Diese Haltung des Vatikanbischofs ähnelt dem,
was Mario Monti und Francois Hollande auf dem letzten Brüsseler EU-Gipfel vertreten
haben.