Kardinal Sarah: „Keine internationalen Militäraktionen in Syrien!“
Die Gewalt in Syrien
weitet sich aus, kirchliche Beobachter berichten über neue Krisenherde und von einer
desaströsen Situation der Zivilbevölkerung in weiten Teilen des Landes. Der Vatikan
hält derweil entschieden an der Möglichkeit einer politischen Lösung des Konfliktes
fest. Papst Benedikt XVI. rief in seiner Weihnachtsbotschaft erneut zum Ende des Blutvergießens
und zum Dialog der Konfliktparteien auf. Humanitäre Hilfen erleichtern und keine internationale
Militäraktion in Syrien – in diese Richtung denkt auch der Leiter des päpstlichen
„Entwicklungshilfeministeriums“ Cor Unum. Kardinal Robert Sarah sagte in einem (schriftlich
geführten) Interview mit Radio Vatikan:
„Die Friedensappelle und die Aufrufe
zur Versöhnung, die der Papst an die Kriegsparteien richtete und an die Internationale
Gemeinschaft, damit sie effizienter tätig wird, sind ausreichend klar gewesen. Der
Krieg und die Zerstörung menschlichen Lebens und der Infrastrukturen sind keine Lösung
für die sozial-politischen Probleme. Lösungen sind nur durch Dialog und den Willen
zum gemeinsamen Aufbau einer Nation in Liebe und Solidarität möglich. Die Kirche hofft,
dass sich Militäraktionen wie die im Irak, in Libyen, in Elfenbeinküste nicht wiederholen.
,Nie wieder Krieg‘, rief Paul VI. im Jahr 1965 in New York. Der Ruf Benedikt XVI.
ist heute derselbe.“
Kardinal Sarah hat im November Flüchtlingscamps auf
der Bekaa-Ebene im Libanon besucht. Offizielle Zahlen sprächen von 500.000 syrischen
Flüchtlingen in den anliegenden Ländern. Hinzu kämen zwei Millionen Evakuierte im
Land. Bei seinem Besuch in den Flüchtlingslagern sei die Lage der Vertriebenen schon
„extrem ernst“ gewesen, so der Kardinal:
„Ihre Lebensbedingungen waren
extrem prekär, sie waren ohne Wasser, Elektrizität, Gesundheitsversorgung, die Hygiene-Bedingungen
waren desaströs. Nichts desto trotz hat mich die große Würde dieser Frauen und Männer
beeindruckt, dieser Flüchtlinge in einem fremden Land, die eine gefährliche Reise
von hunderten, teilweise tausend Kilometern hinter sich hatten. Nach meinem Besuch
hat sich ihre Lage weiter verschlechtert. Der Winter hat begonnen, mit seinen unvermeidbaren
Konsequenzen, und der Konflikt wird immer schärfer, mit seinem ganzen Ausmaß an Gewalt,
Leid und Tod.“
Er selbst sei in ständigem Kontakt mit den Kirchen des Nahen
Ostens und mit den verschiedenen lokalen katholischen Hilfsorganisationen, die sich
um die Flüchtlinge innerhalb und außerhalb des Landes kümmern, so der Kardinal.
„Sie
haben uns alarmierende Informationen gegeben über neue Kampffronten und über die materiellen,
psychologischen, spirituellen, hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen, unter
denen inzwischen ein großer Teil der Bevölkerung leben muss. Sie erzählen von Missbräuchen
jeder Art, die die Bevölkerung erleiden - die die Menschen doppelt leiden lässt.“
Seit Beginn des Konfliktes in Syrien habe die Kirche humanitäre und spirituelle
Hilfe geleistet, berichtet Sarah. Er würdigt den selbstlosen Einsatz der im Land operierender
Ortskirchen und Hilfsnetzwerke. Dabei gehe es um „eine Hilfe, die allen offensteht“,
unabhängig von strategischen und politischen Entscheidungen. Das sei nicht selbstverständlich,
lässt er durchblicken:
„Jeder Krieg unterscheidet sich von anderen und
hat seine Geschichte und spezifischen Dynamiken. Auch die lokalen und internationalen
Handelnden haben ihre eigenen Interessen… In diesem Sinn ist auch Syrien ein Sonderfall,
sehr komplex, dessen Ursachen und Besonderheiten verstanden und analysiert werden
müssen. Die Aktionen, die zum Frieden führen sollen, müssen mit der größten Vorsicht
und Aufmerksamkeit durchgeführt werden.“
Auch deshalb, weil die Lage im
sozial und religiös vielfältigen Syrien durch den Krieg unübersichtlicher wird: Die
Linien des Konfliktes sind verwischt, immer wieder geraten auch Christen zwischen
die Fronten. Der internationale Sondergesandte Lakhdar Brahimi hat derweil die Einsetzung
einer Übergangsregierung in Syrien gefordert. Das Land brauche einen „echten“ Wandel,
sagte Brahimi am Donnerstag in der Hauptstadt Damaskus. Er plädierte für eine Übergangsregierung
mit umfassenden Machtbefugnissen, die das Land bis zu Neuwahlen führen solle.
Christen
geraten zwischen die Fronten Die Linien im syrischen Bürgerkrieg sind verwischt,
immer wieder geraten auch Christen zwischen die Fronten. So kamen erst in diesen Tagen
zwei christliche Kleinstädte in der Provinz Hama - Mahrada and Sqailbiyeh - ins Visier
der Konfliktparteien. Die „Ansar“-Brigadisten aus Hama unter dem Kommando eines gewissen
Rashid Abul Fidaa stellten den Bewohnern ein Ultimatum: Entweder müssten sie selbst
dafür sorgen, dass die Regierungssoldaten aus den beiden Kleinstädten „verschwinden“
oder Mahrada und Sqailbiyeh würden von den „Ansaris“ angegriffen. Die internationale
„Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ (OIC) verurteilte die Drohungen des „Ansar“-Kommandanten
gegen die Bewohner jedoch scharf.
Bereits am 13. Dezember hatte die Nachrichtenagentur
Fides von einer ähnlichen Entwicklung im Wadi an-Nasara berichtet. In diesem „Tal
der Christen“ leben rund 150.000, zumeist griechisch-orthodoxe Christen, in 40 Kleinstädten
und Dörfern. In den vergangenen Monaten haben außerdem zehntausende Binnenflüchtlinge
aus Homs und anderen Städten dort Zuflucht gesucht. Seit Wochen ist das Tal Zielscheibe
islamistischer Milizen, die sich in der Kreuzritterburg „Crac des Chevaliers“ eingenistet
haben. Sie schießen von dem Hügel, auf dem sich die Burg befindet, auf die Dörfer
im Tal und die Straßensperren der syrischen Armee.