2012-12-16 09:22:18

„Menschen in der Zeit“: Kardinal Georges Marie Cottier zum 90. Geburtstag


RealAudioMP3 Der Schweizer Kardinal und langjährige „Theologe des Päpstlichen Hauses“; Georges Cottier, feierte in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag. Der aus Genf stammende Dominikaner unterrichtete zunächst an der Universität Fribourg moderne Philosophie und war in den Jahren 1990 – 2005 theologischer Berater von Johannes Paul II. Für seine Verdienste wurde Georges Cottier 2003 zum Kardinal ernannt. Gemäß den Vorschriften des Kirchenrechts ließ er sich zuvor zum Bischof weihen. Die Weihe nahm damals Kardinal Christoph Schönborn vor.

Herr Kardinal – in diesen Tagen erinnert sich die Katholische Welt in besonderer Weise an das II. Vatikanische Konzil. Genau 50 Jahre sind seit seiner Eröffnung im Jahre 1962 vergangen. Sie waren als direkter Zeuge dabei. Kann man sagen, dass dies das wichtigste kirchliche Ereignis der neueren Kirchengeschichte darstellt?

„Mit Sicherheit! Es war das tiefgreifendste kirchliche Ereignis unserer Zeit.“

Es gibt in der Kirche immer noch Widerstände gegenüber den Bestimmungen des II. Vatikanischen Konzils. Warum?

„Nach jedem Konzil hat es immer eine Opposition gegeben. Aus verschiedenen Gründen. Aus politischen, aus gesellschaftlichen Gründen, aus Gründen des Unverständnisses, des einseitigen Nützlichkeitsdenkens.“

Zwei weitere wichtige Ereignisse in der heutigen Kirche stellen die ‚Neuevangelisierung` und das ‚Jahr des Glaubens’ dar: was muss man sich darunter genau vorstellen?

„Ich denke der Ausdruck ‚aggiornamento` von Papst Johannes enthält bereits diese beiden Begriffe. Und auch Papst Paul VI. hat eine Jahr des Glaubens ins Leben gerufen.“

Sie sind in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden: was zählen Sie zu den bedeutsamsten Ereignissen in Ihrem Leben?

„Davon gibt es viele: erstens in meiner Jugend, nach dem Weltkrieg, die Hoffnung auf eine friedliche Welt. Diese Hoffnung hat ja Früchte getragen. Nämlich Europa – diese große Errungenschaft für den Frieden auf der ganzen Welt. Dann, heute erleben wir die Globalisierung der Menschheit. Wir befinden uns jetzt wirklich in der Universal-Geschichte.“

Würden Sie die Päpste, den Sie persönlich begegnet sind, in kurzen Worten charakterisieren?

„Sie sind alle sehr verschieden. Papst Paul VI. habe ich selten persönlich getroffen. Aber seine Werke kenne ich sehr gut. Für mich ist er ein ganz großer Papst. Dann habe ich mit Johannes Paul II. zusammen gearbeitet. Mich beeindruckte bei ihm vor allem seine Liebe für das Leben, sein Umgang mit den Menschen, seine große pastorale Intuition für die heutige Zeit und schließlich seine große Verbindung zur Gottesmutter. Und auch wie er seine Krankheit angenommen und getragen hat: er hatte keine Scheu, seine körperliche Schwäche auch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das war vielleicht der größte Ausdruck seiner moralischen Stärke. Und dann Papst Benedikt: die Klarheit seiner Gedanken, seine Güte und Milde. Er ist ein ganz bescheidener und ein ganz guter Mensch.“

Sie waren lange Zeit Haustheologe des Papstes. Würden Sie uns dieses hohe Vertrauensamt, das in der Regel dem Dominikanerorden anvertraut wird, kurz beschreiben?

„Ich hatte mit meinen Mitarbeitern jene Texte gegenzulesen , die der Papst öffentlich vortragen oder unterschreiben musste. Und ich musste ihre theologische Richtigkeit überprüfen und eventuell in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat Korrekturen anbringen. Das waren wichtige Texte, wie zum Beispiel die Enzykliken ‚veritatis splendor`, ‚fides et ratio` und ‚evangelium vitae` und die Enzyklika zur Ökumene ‚ut unum sint. Der schönste Text, der mir je untergekommen war, war der Text des Katechismus der katholischen Kirche.“

Sie gehören dem Dominikaner-Orden an: welches erachten Sie als die wichtigsten ‚Zeichen der Zeit` für die Menschen von heute?

„Erstens der Respekt gegenüber allen Menschen. Zweitens, die Solidarität gegenüber den armen Menschen, Johannes Paul II. hat wunderbare Worte darüber gefunden. Drittens: die Mission der Kirche. In der Welt sind die Christen in der Minderheit, wir müssen die Mission wieder neu entdecken. Auch das ist Neuevangelisierung.“

Man spricht viel vom Ethos des christlichen Europa. Ist Europa noch christlich?

„Viele Leute haben die Kirche verlassen, aber sie haben ihre Verbindung mit dem Christentum nicht ganz aufgegeben. Allzu lange haben wir geglaubt, der Glaube sei für immer eine sichere Angelegenheit. Das stimmt überhaupt nicht. Am Beginn des Christseins steht die Predigt, dann der Glaubensakt und dann die Katechese. Das muss wieder so praktisiert werden. Die Kirche muss immer wieder von vorne anfangen. Da capo, was keine schlechte Sache ist.“

Der Zweck der Kirche ist das Heil der Welt: kann dieses hehre Ziel jemals erreicht werden?

„Das Geheimnis der Kirche in der Welt besteht darin: Die Kirche muss Christus verkünden, sie muss vor allem von und aus dem Christus leben. Die Gnade Christi ist – auch wenn wir es nicht wissen oder sehen – auch außerhalb der sichtbaren grenzen der Kirche gegenwärtig. Die Gnade Christi kennt die Wege, um alle Menschen zu erreichen. Es gibt keine andere Rettung, als die, die uns Jesus Christus gebracht hat. Aber nicht alles, vielleicht sogar das Wenigste davon, ist sichtbar.“

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der evangelischen Armut und der Kirche – im Zeichen der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft?

„Ich denke, wichtig ist, dass wir alle ärmer werden müssen. Vor allem die Kirche muss arm sein.“

Der moderne Agnostizismus hängt sehr mit dem erscheinen der Säkularisierung zusammen. Was kann, was muss die Kirche tun, um diesem Zeit-Phänomen wirksam entgegen zu treten?

„Wir befinden uns im Jahr des Glaubens. Das war eine große Intuition Papst Benedikts XVI. dieses Jahr einzuberufen. Die Säkularisierung ist die Folge des praktizierten Materialismus. Die Menschen haben keine Zeit mehr, über Gott nachzudenken. Unsere Welt ist eine traurige Welt. Und die Menschen sind nicht glücklich. Deshalb beruft sich der Heilige Vater immer wieder und eindringlich auf die Freude, Christ zu sein.
Unter „Aufklärung“ versteht man die Vorherrschaft der Vernunft sowie die Ablehnung des Übernatürlichen, der Gnade und der Wunder. In sich aber ist Aufklärung ein schöner Begriff: bedeutet er doch „Beleuchtung“. Und die wahre Aufklärung ist ... das Evangelium. Heute ist an die Stelle der Aufklärung das Wort Zweifel getreten. Zweifel an allen Dingen.“

Wie ist Ihre Meinung über den neu eingerichteten, von Papst Benedikt XVI. gewünschten, sogenannten „Vorhof der Völker“, in dem der Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden gefördert werden soll?

„Ich habe lange Zeit dem Sekretariat für den Dialog mit den Nichtchristen angehört. Der Begriff ‚Vorhof der Völker’ geht alle Christen an. In unserer pluralistischen Welt müssen wir alle den Sinn und den Wert des Dialogs erkennen: nämlich unseren Zeitgenossen die Schönheit des Christseins weiter zu geben. Aber auch auf die Einwände einzugehen. Wie Papst Paul sagt: der Dialog mit den Nichtglaubenden ist eine Pflicht für die katholische Kirche. Wir dürfen uns nicht einschließen, sondern wir müssen uns der Welt öffnen. Wir dürfen dabei nicht ängstlich sein, denn Christus ist die wahre ‚Aufklärung’“.

Nur wenigen Theologen ist es möglich, das Wesen des Christentums in wenigen Worten zusammen zu fassen. Einer dieser Theologen heißt Kardinal Georges Cottier....

„Ich denke, das ist Jesus Christus.....(lacht ein wenig) das sagt alles, nicht? Wenn Sie wollen, kann man auch sagen: das Geheimnis Jesus Christus. das ist unsere Botschaft.“

Letzte Frage: Herr Kardinal, Sie haben das hohe Alter von 90 Jahren erreicht: was ist die Zeit, was ist die Ewigkeit?

„Ich kann auf eine lange Zeit der Vergangenheit zurückblicken, aber auch die Gegenwart wahrnehmen und auch in die Zukunft blicken. Denn die Zukunft ist für mich die Vorbereitung zur Ewigkeit. Die Ewigkeit ist ein Augenblick ohne Grenzen. Die Zeit der Vergangenheit fällt in das Nichts – die Zeit der Zukunft ist noch nicht angekommen, die Zeit der Gegenwart ist für uns das zerbrechlichste, was wir kennen. Gott hat keine Grenzen, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft. Wir werden dies alles erst richtig verstehen und erkennen, wenn wir dort angekommen sind.“

(rv 16.12.2012 ap)








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