Adventsbetrachtung von Bischof Gmür: Christus nimmt uns ernst!
Der Bischof von Basel,
Felix Gmür, hält die Adventsbetrachtung 2012 bei Radio Vatikan. In seinem dritten
Beitrag geht er auf die Ankunft Christi ein. Es gehe darum, dass der Gläubige diese
Zeit des Wartens zum Handeln benütze. Denn Christus nehme uns ernst, „weil wir freie
und für das, was wir tun und lassen, verantwortliche Menschen sind“, sagt Bischof
Gmür.
(rv 15.12.2012 mg)
Lesen und hören Sie hier die gesamte Meditation
von Felix Gmür, Bischof von Basel
Advent heißt Ankunft. Wir Christen erwarten
die Ankunft des Herrn bzw. erinnern uns daran. In einem ersten Sinn erinnern wir uns
an die Erwartung des Volkes Israel, das den Erlöser erwartete. In einem zweiten Sinn
bezeichnet der Advent dann unsere eigene Erwartung auf Weihnachten hin und das Kommen
des Erlösers. Und drittens erwarten wir die Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeiten.
Alle drei Arten des beziehen sich auf den Messias. Im Glaubensbekenntnis der Kirche
bekennen wir: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. In
der Heiligen Messe wenden wir uns direkt an den Herrn und halten fest, dass wir seinen
Tod verkünden und seine Auferstehung preisen: „bis du kommst in Herrlichkeit“. Und
im sogenannten Embolismus nach dem Vaterunser betet der Priester um Hilfe, „damit
wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten“.
Das
Lukasevangelium schildert die Wiederkunft Christi so:
„Es werden Zeichen
sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt
und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst
vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des
Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht
und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Wenn das beginnt, dann richtet euch
auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“ (Lk 21,35-33)
Dieser
Bibeltext über die Wiederkunft ist schwierig. Er gehört zur Gattung der Apokalypse.
Er klärt uns nicht über zukünftige Ereignisse auf, sondern will uns offenbaren, was
der Sinn der Geschichte ist. Es geht nicht um die Erzählung vom Ende der Welt, sondern
vielmehr um einen Anfang: „Wenn all das beginnt“, sagt das Evangelium. Wenn Christus
wiederkommt, wird der alte Mensch wirklich ein neuer Mensch sein.
Was wird
neu? Lukas schildert das Chaos der Welt, die Unordnung der Dinge, die Ratlosigkeit
der Völker, die Angst der Menschen. Obwohl Christus bereits gekommen ist, als Kind
in der Krippe, als Wundertäter und Prediger, als endgültiger Versöhner durch seinen
Tod am Kreuz, als von Gott beglaubigter Friedensstifter in seiner Auferstehung: Immer
noch gibt es Unordnung und Unrecht, Zank und Hass, Krieg und Tod. Wo geht die Geschichte
hin?
Im Advent lernen wir, die Geschichte im Lichte Christi zu sehen. Dazu
gehört aber der ganze Christus. Das Kind in der Krippe, der Wunderheiler und Wanderprediger
ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist Christus, der geschunden wird am Kreuz,
der stirbt für Mensch und Welt, der schließlich aufersteht. Die erste Ankunft an Weihnacht
ist die eine Seite der Medaille; die andere Seite ist die Wiederkunft Christi bei
der endgültigen Auferstehung. Im Advent lernen wir, die Geschichte im Lichte der Auferstehung
zu deuten, und uns selbst in diese Geschichte, so klein und unbedeutend unser Leben
auch sein mag, einzubringen.
Wie tun wir das? Es heißt: Wenn all das beginnt,
dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter. Immer dann, wenn wir Unfrieden sehen,
Hass bemerken, immer dann, wenn wir Böses wahrnehmen, wenn Menschen zu Feinden degradiert
werden, immer dann, wenn der Mensch in seiner einzigartigen, von Gott geschenkten
Würde verletzt wird, dann: Richtet euch auf!
Der gläubige Mensch handelt jetzt
und verschiebt notwendiges Handeln nicht. Denn er weiß: Am Ende richtet die Geschichte.
Am Ende meines Lebens kann ich nichts mehr tun, nichts mehr ändern, nichts mehr wollen,
nichts mehr gutmachen, was mich oder andere bedrückt. Dann hält Christus mir den Spiegel
vor und sagt zu mir: So bist du! Ein antikes Sprichwort schärft den Menschen ein:
Was immer du tust, tue es mit Bedacht, und bedenke das Ende! Am Ende lässt sich die
Geschichte nicht mehr ändern.
Christus nimmt uns ernst, weil wir freie und
für das, was wir tun und lassen, verantwortliche Menschen sind. Deshalb fordert er
uns gerade in der Adventszeit auf, den großen Horizont zu sehen, in dem wir uns bewegen.
Er fordert uns auf, vom Ganzen her zu denken, zu handeln, zu lieben. Und nicht zuletzt,
keineswegs!, zu hoffen. Denn dann, wenn wir uns aufrichten und in seiner Nachfolge
leben, dann ist die Erlösung nahe. Sie beginnt jetzt!