Adventspredigt im Vatikan: Der „Geist des Konzils“
In den kirchlichen Bewegungen lebt der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils weiter,
sie markieren einen neuen Frühling des Christentums. Das hat der Prediger des Heiligen
Stuhles bei seiner zweiten Adventspredigt im Vatikan betont. Traditionell ist bei
diesen Predigten immer auch der Papst anwesend. Bei seiner ersten Predigt in der vergangenen
Woche hatte Pater Raniero Cantalamessa über das Jahr des Glaubens gesprochen, an diesem
Freitagmorgen stand ein Rückblick auf das Zweite Vatikanische Konzil und dessen Früchte
im Mittelpunkt.
Wo ist die Vision des Konzils aus den Dokumenten heraus ins
Leben übergegangen? Wo ist sie „Fleisch und Blut“ geworden? Wo wird christliches Leben
„nach dem Gesetz des Heiligen Geistes“ gelebt, in Freude und Überzeugung, aus freier
Wahl und nicht aus Zwang? Wo wird das Wort Gottes in höchsten Ehren gehalten, wo zeigen
sich die Charismen, wo macht man sich am meisten Gedanken über die Neuevangelisierung
und die Einheit der Christen? Cantalamessas Antwort auf all diese Fragen: in den kirchlichen
Bewegungen, die sowohl Laien als auch Bischöfe, Priester und Ordensmänner und –frauen
zu ihren Mitgliedern zählen. Sie alle zusammen seien „das Volk Gottes“, von dem im
Konzilsdokument „Lumen Gentium“ die Rede sei:
„Johannes Paul II. sah in
diesen Bewegungen und Pfarrgemeinden einen echten Frühling der Kirche. Auch Benedikt
XVI. hat sich bei verschiedenen Gelegenheiten ähnlich geäußert. In der Chrisam-Messe
am Gründonnerstag 2012 sagte der Papst: ,Wer auf die Geschichte der Nachkonzilszeit
hinschaut, der kann die Dynamik der wahren Erneuerung erkennen, die in lebendigen
Bewegungen oft unerwartete Gestalten angenommen hat und die unerschöpfliche Lebendigkeit
der heiligen Kirche, die Anwesenheit und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes geradezu
greifbar werden lässt‘“.
Cantalamessa plädierte in seiner Predigt für eine
tiefere Deutung der Früchte des Konzils im Leben der Kirche. Die wichtigsten Folgen
des Geschehens seien „vielleicht an ganz anderer Stelle zu suchen als dort, wohin
wir unserer Blicke gerichtet haben“, so der Geistliche:
„Wir hatten unsere
Augen auf die Veränderung der Strukturen und Institutionen gerichtet, auf die neue
Verteilung der Machtverhältnisse, auf die in der Liturgie zu verwendende Sprache,
und haben dabei gar nicht gemerkt, wie unbedeutend all diese Veränderungen im Vergleich
zu dem sind, was der Heilige Geist da vorbereitete. Wir haben geglaubt, die alten
Tonkrüge mit unseren eigenen Händen zerschlagen zu können, während Gott uns seine
eigene Art vorführte, alte Tonkrüge zu erneuern: sie mit jungem Wein zu füllen.“
Im
Blick auf das Wesen der Kirche habe das Konzil „eine Rückbesinnung auf ihre Anfänge,
auf die Quellen der Bibel und der Patristik“ herbeiführen wollen, so Cantalamessa
weiter. Vor diesem Hintergrund sei das Konzil als „Erneuerung in der Kontinuität“
zu deuten, wie es Kardinal Newman und die Päpste getan hätten. Denn trotz der Brüche,
die durch bestimmte historische Entscheidungen entstanden seien – Cantalamessa nannte
hier als Beispiele die Modernekritik von Pius IX. und das Drama des Holocaust – seien
die Grundsätze und Wahrheiten des christlichen Glaubens nie in Frage gestellt gewesen.
Der Glaube daran müsse zugleich die Grundlage jeder Anwendung der Dekrete des Zweiten
Vatikanums sein, erinnerte Cantalamessa: „Die ,Umsetzung‘ des Konzils darf
also nicht durch eine wörtliche und fast automatische Einhaltung seiner Entschlüsse
stattfinden, sondern ,in seinem Geiste‘, worunter wir den Heiligen Geist und nicht
irgendeinen vage definierten und subjektiv formbaren ,Konzilgeist‘ verstehen müssen.
Johannes Paul II. schrieb schon 1981: ,Das ganze Erneuerungswerk der Kirche, das das
II. Vatikanische Konzil so providentiell vorgelegt und eingeleitet hat - eine Erneuerung,
die ‚Aktualisierung‘ und zugleich Festigung dessen sein muss, was für die Sendung
der Kirche von bleibender und konstitutiver Natur ist -, kann nur im Heiligen Geist
verwirklicht werden, das heißt mit dem Beistand seines Lichtes und seiner Kraft‘“.