Joachim Gauck beim Papst: Begegnung zweier Theologen
Er habe heute „etwas
sehr Bewegendes erlebt“: Das sagte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck an diesem
Donnerstag nach seinem Antrittsbesuch im Vatikan. Der frühere evangelische Pastor
und DDR-Widerständler, der seit März Staatsoberhaupt ist, sprach mit Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone und Benedikt XVI.; vor seiner Audienz beim Papst hatte Gauck den
Petersdom besucht, wo er u.a. am Grab von Papst Johannes Paul II. betete und am Ort
des Petrusgrabes verweilte.
„Das war sozusagen die geistliche Einstimmung
auf eine Begegnung, die natürlich auch geistlichen, aber vor allem auch politischen
Inhalt hatte. Es war ein sehr offenes und freundschaftliches Gespräch, in herzlichem
Einverständnis. Dieses Einverständnis bezog sich vor allem auf unseren gemeinsamen
Willen, die Idee von Europa nicht aufzugeben, gerade angesichts der Krise an ihr festzuhalten
und alles zu tun, um bei den Menschen ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der europäischen
Idee wach zu halten.“
Papst Benedikt habe sich auf die Begegnung mit Präsident
Gauck gefreut, wie Papst-Sekretär Georg Gänswein Journalisten berichtete. Gauck selbst
sagte zum Papst beim ersten Händedruck, er komme zu ihm als Bundespräsident und Landsmann,
aber natürlich auch als Christ.
Unterhaltung zweier Christenmenschen „Wenn
sich zwei Christenmenschen unterhalten, dann sprechen sie natürlich nicht nur über
die Welt, sondern auch über Gott. Ich wollte mit ihm nicht über die Differenzen sprechen,
die die Protestanten und Katholiken miteinander auch haben, sondern über das, was
uns verbindet. Wir haben aus unterschiedlichen Herkünften heraus in uns ein tiefes
Wissen miteinander teilen können, dass die Welt etwas verliert, wenn sie Gott verliert.
Und dass wir, jeder auf seine Weise, das auch zu erkennen geben, das ist ja klar:
Er muss es und will es qua Amt, und ich werde es auch in meinen Möglichkeiten tun,
weil ich es so gelebt habe.“
Schon am Vorabend seiner Papstaudienz war
Gauck von Journalisten in Rom bei einem Hintergrundgespräch zu seinem Erstaunen vor
allem mit theologischen Fragen konfrontiert worden. Der Präsident, der nach dem Mauerfall
zu Beginn der neunziger Jahre aus dem Pastorenamt ausschied, um in die Politik zu
wechseln, zeigte sich sehr gespannt auf die Audienz beim Oberhaupt der katholischen
Kirche. Er wolle mit seinem Rombesuch auch zeigen, dass der Bundespräsident zwar evangelisch
sei, aber doch den Katholiken zugewandt. In seinem Statement nach der Audienz erzählte
Gauck:
„Ich habe mich mit ihm auch ausgetauscht über die Rolle von Laienbewegungen
in der katholischen Kirche, über dieses lebendige und fruchtbare Glaubensleben außerhalb
der Ebene von Kirchenleitung und Bischöfen. Er erinnerte sich an seine Zeit an der
Basis. Für mich als Protestanten ist dieses Prinzip der Mitwirkung der Vielen so wichtig
gewesen, dass ich es in diesem Gespräch unterbringen wollte.“
Der
Name Wittenberg fiel nicht – der Name Habermas schon Eigentlich hatte der
Bundespräsident den Papst auch auf das Reformationsgedenken ansprechen wollen, das
die evangelische Kirche in Deutschland 2017 feiern wird. Aus Gaucks Sicht wäre es
schade, wenn die katholische Kirche nicht in das Gedenken an die Reformation vor 500
Jahren mit einbezogen wäre. Doch dazu sei er in dem etwa 30-minütigen Gespräch nicht
mehr gekommen – „nicht aus Furcht“, wie er erklärte:
„Wenn man sich austauscht
über theologische und Glaubensthemen, dann gehen die Konkreta manchmal ein bisschen
weg. Also, der Name Wittenberg ist nicht gefallen, der Name Habermas schon. Manchmal
kommt in einem Gespräch auch etwas Überraschendes zustande. Insofern können Sie daraus
entnehmen, dass es sehr lebendig war!“
Der heutige Papst hatte als Kardinal
2004 öffentlich mit dem Philosophen Jürgen Habermas über das Thema „Vernunft und Religion“
diskutiert. Zuvor hatte er sich 2001 in seiner weithin beachteten „Friedenspreisrede“
für einen intensiveren Dialog zwischen Religion, Wissenschaft und Gesellschaft ausgesprochen.
Lebkuchen
für den Papst Als Geschenk brachte Präsident Gauck dem Papst seine Autobiographie,
einen Spazierstock sowie Nürnberger Lebkuchen mit: In Nürnberg arbeitet Gaucks Lebensgefährtin,
die Journalistin Daniela Schadt, die ihn bei seinem Besuch im Vatikan allerdings nicht
begleitete. Benedikt revanchierte sich mit einem historischen Stich der Dombauhütte
von St. Peter und mit seinem neuesten Jesusbuch. Im politischen Teil der Aussprache
mit dem Papst, so Gauck, sei es vor allem um Europa gegangen.
„Natürlich
hat er mich auch gefragt, wie Deutschland sich versteht in dieser Zeit der Debatten
um richtige Lösungswege. Ich habe darauf hinweisen dürfen, dass die Bundesregierung
wie alle Regierungen zuvor dem europäischen Gedanken treu geblieben ist! Es gebe keinerlei
Zweifel daran, dass das auch in Zukunft so sein wird.“
Eigentlich habe
er gedacht, im Papst einen „stärker von der Bürde des Amtes gezeichneten“ Menschen
vorzufinden, berichtete der Bundespräsident. Aber „so habe ich das nicht erlebt“:
„Ich
habe einen hellwachen Heiligen Vater erlebt, der sich auch auf meinen Besuch vorbereitet
hatte, der einiges aus meinem Leben, einiges von meinen Lebenserfahrungen, zur Kenntnis
genommen hatte; insofern ist mir auch eine Erwartung begegnet, in der Art: Ich möchte
hören, was Sie mitzubringen haben. Ich habe eine konzise, nicht-triumphalistische
Haltung des römisch-katholischen Kirchenoberhauptes erlebt, die angenehm war, die
für mich als Protestant nicht Grenzen betonte – von Grenzen habe ich eigentlich nichts
gemerkt, sondern diese menschliche und persönliche Direktheit war einfach dominierend.“
Hoffnungspotentiale
aus dem Glauben Für den früheren Bürgerrechtler Gauck war auch das Verweilen
am Grab von Johannes Paul II. bewegend: Ihm imponiert die Hartnäckigkeit, mit der
sich die polnische Kirche in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts
gegen das kommunistische Regime stellte.
„Wissen Sie, wenn man am Grab von
Johannes Paul steht und mein Alter hat und aus dem Osten kommt, dann erinnert man
sich auch an die Kraft, die der Glaube in den unterdrückten Menschen dort erzeugt
hat, an ihre – sagen wir mal – größeren Hoffnungspotentiale. Es ist ja nicht so, dass
die Glaubenden immer automatisch die besseren Menschen sind, aber vielleicht haben
sie größere Hoffnungspotentiale in dieser Zeit der Unterdrückung entwickelt.“
Das
sei Papst Benedikt „durchaus bewusst“ gewesen, so Präsident Gauck:
„Und
das konnte ich ihm auch bestätigen. Dafür gibt es Beispiele, die man sehen und anfassen
kann: Menschen, die im Grunde in einer glaubensfeindlichen Umwelt aus den Quellen
des Glaubens geschöpft haben und dann diese Hoffnungspotentiale für eine Umgestaltung
der Gesellschaft noch entwickeln konnten. Das haben wir durchaus besprochen.“
Als
letzten deutschen Präsidenten bislang hatte Benedikt XVI. vor drei Jahren Horst Köhler
im Vatikan empfangen. Im September 2011 hieß der damalige Bundespräsident Christian
Wulff den Papst auf Staatsbesuch in Berlin willkommen.
Das vatikanische
Staatssekretariat veröffentlichte nach Gaucks Termin bei Kardinal Bertone ein kurzes
Statement. Darin werden „die sehr freundschaftlichen bilateralen Beziehungen hervorgehoben“.
Bei dem Treffen Gaucks mit dem Papst und mit Bertone sei u.a. „über die christliche
Sicht des Menschen wie auch über die Herausforderungen gesprochen worden, die sich
in der globalisierten und säkularisierten Gesellschaft gegenwärtig stellen“. Der Meinungsaustausch
habe sich besonders auf die derzeitige Wirtschaftskrise bezogen, „insbesondere in
bezug auf ihre Auswirkungen in Europa sowie über den Beitrag, den die katholische
Kirche hier leisten kann“.