2012-12-04 12:46:27

Caritas International fordert schnelles Handeln in Mali


RealAudioMP3 Nach Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) entwickelt sich der westafrikanische Staat Mali zu einem Sammelbecken für Terroristen. Auch Dschihadisten aus Deutschland und Europa sollen unterwegs nach Mali sein, schreibt die „Financial Times Deutschland“. Doch nicht nur diese Nachricht gibt Anlass zur Sorge - Caritas International berichtet von Menschenrechtsverletzungen und einer verheerenden humanitären Lage - vor allem im Norden Malis. Die Internationale Gemeinschaft müsse dringend handeln.

Der Mali-Experte von Caritas International, Hannes Stegemann, war vom 8. bis zum 20. November in Mali. Er reiste von der Hauptstadt Bamako über Ségou und San bis zur Frontstadt Mopti. Radio Vatikan hat mit ihm über den Konflikt in Mali gesprochen.

Zuerst wollten wir wissen, was aktuell das dringendste Problem für die Menschen vor Ort ist:

„Mit Sicherheit die Besetzung des gesamten Nordens Malis - also knapp über die Hälfte des gesamten Territoriums - durch islamistische Milizen, durch Tuareg-Rebellen. Die Bevölkerung empfindet das als das größte aktuelle Problem. Das Klima war etwas bedrückend und die Leute hoffen, dass das Problem der Besetzung Nordmalis und die Frage eines drohenden Krieges möglichst schnell gelöst wird und nicht noch Monate weiter verschleppt wird.“

Man hört ja auch immer wieder von Menschenrechtsverletzungen in Mali, haben Sie davon etwas mitbekommen oder Berichte gehört?

„Berichte darüber habe ich gehört, aber selber mitbekommen habe ich davon nichts - aus Sicherheitsgründen konnte ich weder nach Timbuktu, Gao oder Kidal im Norden fahren. Wir haben immer noch lokale Partnerorganisationen, die in Gao, Timbuktu und Kidal präsent sind. Sie müssen sehr vorsichtig sein, aber sie informieren uns über das, was im Norden passiert. Die Menschenrechtslage dort ist erschreckend. Insbesondere Frauen leiden unter der absoluten Verschleierungspflicht, Zwangsverheiratung...Also die Anwendung der so genannten islamischen Rechtssprechung, der Scharia in ihrer extremsten Form – wie sie übrigens auch vom hohen Islamrat in Bamako aufs Schärfste verurteilt wird. Man kann nicht sagen, dass die Verbrechen, die dort geschehen nun tatsächlich auch im Namen des Islams toleriert werden.“

Was sollte denn ihrer Meinung nach geschehen, damit sich die Situation in Mali bessert?

„Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Caritas International als humanitäres Hilfswerk kümmert sich im Land selbst in erster Linie um die intern Vertriebenen, die aus dem Norden in den Süden gezogen sind, um sich vor den Übergriffen zu schützen. Das sind insgesamt etwa 200.000 Menschen. Wir versuchen für die Daheimgebliebenen, in erster Linie in Gao, eine minimale Unterstützung zu gewähren, insbesondere für Straßenkinder. Da haben wir eine Art tägliche Suppenküche organisiert. Das sind geringe humanitäre Maßnahmen, die man leisten kann. Auf einem ganz anderen Blatt steht natürlich die politische Lösung für die Problematik, beziehungsweise überhaupt eine Lösung. Denn es geht irgendwann auch darum, dass man nicht nur die massive Verletzung von Menschenrechten anklagt, und bedauert, sondern eben auch diese Menschenrechte schützt. Wie das genau geschehen kann, darüber debattiert die internationale Gemeinschaft ja aktuell sehr viel – und ich glaube, das ist auch eine internationale Aufgabe. Das Land Mali wäre alleine mit dem Problem völlig überfordert.“

In dem Zusammenhang wird ja auch über einen UNO-Militäreinsatz nachgedacht – was halten Sie davon?

„Im Augenblick haben wir im gesamten Norden Malis ein Gebiet von etwa 1000 Kilometer mal 1000 Kilometer Größe, in dem ein totales Vakuum herrscht: Der malische Staat ist dort nicht mehr präsent, es gibt keine Administration, es gibt keine Polizei, es gibt keine Armee, es gibt keine Sicherheitsstruktur. Die Hälfte der Bevölkerung ist weggelaufen. Dieser Zustand kann oder sollte nicht mehr lange so andauern. Welche Maßnahmen dann zu ergreifen sind, das muss die internationale Gemeinschaft jetzt möglichst bald beschließen – ob man wirklich einen massiven Militäreinsatz braucht, kann man auch in Frage stellen. Aber man braucht auf jeden Fall wieder eine staatliche Präsenz – auch wenn es eine internationale Präsenz ist. Man muss Straftaten verfolgen können, man muss polizeilichen Schutz gewähren können und das möglichst schnell.“

Möglichst schnell muss etwas passieren sagen Sie - am 7. Dezember (diesen Freitag) soll es dazu ein Treffen in Rom mit Romano Prodi geben, dem UNO-Sondergesandten für die Sahelzone. Was erwarten Sie sich davon?

„Wenn ich mir die jüngsten Äußerungen von Romano Prodi noch mal durch den Kopf gehen lasse, erwarte ich nicht sehr viel. Ich fürchte weitere Verzögerungen, die zu Lasten der Bevölkerung im Norden Malis gehen – und nicht nur zu Lasten der Bevölkerung im Norden Malis, sondern auch im angrenzenden Niger, die auch sehr beunruhigt sind über die Verzögerungsstrategie der Vereinten Nationen. Man kann nicht einerseits sagen, es muss ein Militäreinsatz geplant werden und dann wie Romano Prodi sagen, aber dafür sind wir bestenfalls im September 2013 bereit. Entweder man braucht keinen Militäreinsatz und findet andere Möglichkeiten – über Verhandlungen, es gibt ja auch andere Wege – aber wenn man glaubt, dass die Sicherheitslage und die humanitäre Situation der verbliebenen Bevölkerung so dramatisch ist, dass schnell ein Polizei- oder Militäreinsatz durchgeführt werden muss, dann kann man den nicht für September 2013 ankündigen – das ist viel zu spät.“

Was glauben Sie denn, was passiert, wenn es jetzt noch lange dauert, bis etwas geschieht – seien es Verhandlungen, sei es ein militärischer Eingriff?

„Wir dürfen hier nicht vergessen, dass ein Großteil der so genannten El Kaida-Zellen im Norden Malis algerischer Herkunft sind, Salafisten sind, die in den 90er Jahren in Algerien schon tätig waren. Nach dem Sturz von Ghaddafi sind etwa 2000 bewaffnete Tuareg aus Libyen zurück gekommen, um im Januar in Mali ihren unabhängigen Tuareg-Staat auszurufen. Das heißt, der arabische Frühling, der NATO-Angriff auf Ghaddafi, auf Lybien – all das hat zur Destabilisierung des Nordens von Mali beigetragen. Insofern ist es eben ein internationaler Konflikt, der international möglichst zügig gelöst werden muss.“

(rv/financial times deutschland 04.12.12 sta)







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