Kard. Turkson: „Armut ist nicht nur von Geld abhängig”
Als Vorsitzender des
Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden bereist Kurienkardinal Peter Turkson
die Welt, um sich aus erster Hand zu informieren, wie es im Kampf gegen Armut, Hunger
und Krankheiten steht. Seine Aufgabe ist es, die Menschen zu unterstützen und ihnen
die Tradition der Kirche zu Frieden und Menschenrechten nahezubringen – in der Hoffnung,
so Strukturen der Ungleichheit und Unterdrückung zu ändern.
Zum Thementag der
europäischen öffentlich-rechtlichen Medienanstalten „Why Poverty?“ – „Warum gibt es
Armut?“ hat Radio Vatikan Kardinal Turkson getroffen. Wir haben mit ihm über seine
Kindheit in Ghana, unsere veränderte Vorstellung von Armut und den Beitrag der Kirche
im Kampf um Entwicklung und Menschenwürde für alle Menschen gesprochen.
Kardinal
Peter Turkson, zu den Millennium-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen gehört
auch die Halbierung der Armut bis 2015. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten dazu
ein?
„Haben wir dieses Ziel schon erreicht? Nein, noch nicht. Es gibt
Armut und das bedeutet zum Beispiel mit einem Dollar pro Tag über die Runden zu kommen.
Aber direkt nach der Ankündigung, dieses ehrenwerte Ziel bis 2015 zu erreichen, gab
es auch weiterführende Gedanken zu diesem Thema – etwa eine Neudefinition dessen,
was Armut ist... Mittlerweile entwickelt sich die Ansicht weg von der Annahme, dass
Ein-Dollar-pro-Tag alleine Armut definiert. Es geht jetzt auch um den Zugang zu Bildung,
Gesundheitsvorsorge und zu einem annehmbaren Lebensstandard... Auch wer am Tag mehr
als einen Dollar verdient, hat möglicherweise keinen Zugang zu all diesen Dingen.”
Welchen
Beitrag kann denn die katholische Soziallehre dazu leisten?
„Sie kann
die Grundbedeutung von menschlicher Würde verdeutlichen, die zu verschiedenen Arten
der Menschenrechte führt, das Recht auf einen annehmbaren Lebensstandard und Gesundheitsversorgung.
Sie kann auf faire Löhne hinweisen und nicht zuletzt geht es uns auch um das Recht
auf Energie und sauberes Wasser. Deshalb bin ich grundsätzlich froh darüber, dass
wir das Konzept ausweiten. Gesundes Leben ist nicht nur abhängig von dem, was wir
in unserem Geldbeutel haben… Außerdem gibt es jetzt auch Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln.
Ich habe erst kürzlich mit einem Bischof gesprochen, der über mangelnden Internetzugang
in seinem Teil des Kongo klagte. ”
Wie war das denn bei Ihnen persönlich?
Wie sah Ihre Kindheit in Ghana aus?
„Wir waren zu zehnt, unsere Eltern
hatten selbst keine Schule besucht. Mein Vater war Bergzimmermann in einer Bergbau-Firma,
meine Mutter handelte auf dem Markt mit Gemüse. Wir hatten kein Auto, oder Fahrrad
oder irgendetwas – sicher war nur, dass es drei Mahlzeiten am Tag gab, unsere Schulgebühren
bezahlt werden konnten und einmal im Jahr, da gab es neue Kleider – an Weihnachten.
Das machte unser Leben lebenswert. Nun hat jeder von uns einen guten Beruf gefunden.
Deshalb weiß ich die Erweiterung des Armutskonzepts um die Dinge, die unser Leben
lebenswert machen, sehr zu schätzen.“
Welche Ziele sollten wir uns denn
nach dem Jahr 2015 setzen, nach den Millenium-Entwicklungszielen?
„Da
werden noch einige ‘Überhänge’ von den Millenium-Entwicklungszielen sein, die noch
nicht wirklich erreicht wurden. Sauberes Wasser zum Beispiel, wird sicherlich weiter
auf der Agenda stehen. Oder der Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Bildung für alle
– das werden sicher Dinge sein, an denen wir noch weiter arbeiten müssen. Für die
Kirche geht es außerdem darum, zu erkennen, dass wir über etwas verfügen, was ein
Motor für die menschliche Entwicklung sein kann: und zwar ist das die Soziallehre
der Kirche. Es ist uns ein großes Anliegen, dass uns die Inhalte davon vertraut werden.
In manchen Fällen ist es vielleicht ein vernachlässigtes Wissen – Ausbildungshäuser
zum Beispiel wissen darüber oft nur sehr wenig. In der Vergangenheit lag der Schwerpunkt
oft auf spirituellen Beziehungen. Das Zweite Vatikanum hat das geändert: Es hat uns
dazu gebracht, uns als Familie zu erkennen und den Sinn der Kirche auch in sozialem
Einsatz zu sehen.”
Kann das aber nicht manchmal auch zu Spannungen zwischen
Glauben und Handeln führen?
„Das sollte es nicht. Es gibt wohl keinen,
der verneint, dass wir alle soziale Wesen sind… Wir müssen erkennen, was es bedeutet,
in einer Gesellschaft zu leben, welche Beziehungen wir haben, und welche Folgen das
hat. Die einfachste Definition der Kirchlichen Soziallehre lautet: ‘Wer bin ich, mit
meinem christlichen Glauben? Wir sind eingeladen, die Liebe Gottes zu bezeugen – wie
engagiere ich mich in der Gesellschaft, im politischen und wirtschaftlichen Leben
dafür?’ Wir müssen dabei aber begreifen, dass der Glaube und die Nächstenliebe,
die wir einbringen, nicht von allen geteilt werden. Ich spreche hier aber lieber von
unterschiedlichen Ansichten, als von Konflikten… Seit dem Zweiten Vatikanum versucht
die Kirche herauszufinden, wie wir mit anderen Christen zusammen arbeiten können,
mit Menschen anderem Glaubens und mit der Gesellschaft. Wir bei uns haben uns vorgenommen,
die Soziallehre der Kirche bekannter zu machen.“