Kongo: Staatliche Anarchie auf Kosten vor allem der Frauen
An diesem Sonntag
wird der Internationale Tag zur Beendigung von Gewalt an Frauen begangen. In vielen
Teilen der Welt sind diese nach wie vor schutzlos der Übermacht der meist männlichen
Angreifer ausgeliefert und leiden im täglichen Leben Qualen. Umso schlimmer, wenn
die staatlichen Autoritäten ihrer Rolle nicht nachkommen können und den Tätern faktisch
Straffreiheit garantiert ist. Im Kongo, in der nordöstlichen Region Nord-Kivu, herrscht
derzeit eine solche Situation der Anarchie. Marodierende und schwer bewaffnete Rebellengruppen
ziehen ungehindert durch die Gegend, bereichern sich an Mineralien, terrorisieren
die Zivilbevölkerung und finden in den Soldaten, die schlecht ausgerüstet und teilweise
seit Monaten nicht bezahlt werden, keine ernsthafte Bedrohung. Wolfgang Tyderle ist
Nothilfekoordinator des überkonfessionellen Hilfswerkes Care-International. Er war
selbst bis vor zwei Wochen im Krisengebiet und berichtet im Radio-Vatikan-Interview
von den Schrecken, die insbesondere Frauen erleiden müssen:
„Frauen und
junge Mädchen werden von den Soldaten als Geiseln genommen, als Druckmittel benutzt,
vergewaltigt. Dadurch, dass sie immer wieder vor der Gewalt fliehen müssen, verlieren
sie auch ihre Lebensgrundlage, sind also in jeder Form betroffen. Da die Frauen und
Mädchen in der Regel auch das ökonomische Rückgrat der Region sind, also die Arbeit
auf den Feldern leisten und für die Familien sorgen, leiden sie am meisten.“
In
weiten Teilen Afrikas besteht nach wie vor die Tradition, dass die Arbeit von Frauen
erledigt wird. Andererseits sind aber auch die Männer teilweise gezwungenermaßen in
die bewaffneten Konflikte eingezogen worden oder haben Angst, gezielt ermordet zu
werden, wenn sie für ihre Frauen zum Feuerholzholen in den Wald gehen. Es sei, so
Tyderle, eine unglaublich schwierige Aufgabe, in dieser Verflechtung von Tradition
und Angst einen Bewusstseinswandel zu schaffen. Care führt dazu in der Region eine
Reihe von Aktivitäten durch:
„Das fängt bei der klassischen Nothilfeversorgung
mit Notbehausung, Nahrung und Wasser an - aber durch alle Projekte zieht sich die
Frage, wie können wir den Frauen helfen. Da ist zum einen natürlich der Rat an Frauen,
die betroffen sind oder waren, also vergewaltigt oder verschleppt wurden und aus der
Situation lebend heraus gekommen sind. Diesen Frauen Hilfe anzubieten, psychosozial
mit ihnen zu arbeiten und ihnen Anlaufstellen zu bieten, an denen sie sich austauschen
und Verhaltensweisen lernen können, wie derartige Situationen vielleicht verhindern
werden können oder wie man vorsichtiger sein kann: das sind unsere Aufgaben.“
Das
andere Spektrum der Aktivitäten betreffe den Versuch, kulturelle Veränderungen durchzuführen.
Die Männer sollen mit ins Boot geholt werden, um beispielsweise die gefährlicheren
Arbeiten selbst zu übernehmen. Aber der Prozess ist langwierig und wird durch die
widrigen Umstände noch erschwert, so Tyderle:
„Wir führen alle möglichen
Aktivitäten durch, um zu überlegen, wie man diese Gewalttaten zumindest in Teilen
verhindern kann. Es ist natürlich sehr schwer, dem zu entfliehen, wenn schwerbewaffnete
Gruppen unkontrolliert durch die Gegend ziehen. Man muss das jedenfalls in enger Zusammenarbeit
mit Mitarbeitern aus der Gegend machen, die die Sprache sprechen und den lokalen Kontext
kennen. Sie müssen wissen, was man ansprechen kann und was nicht – das ist also ein
sehr langfristiges Projekt.“
Einer der Auslöser für die aktuelle Krise
im Nord-Kivu war es, dass der Milizionär Bosco Ntaganda, einer der Hauptverantwortlichen
für die Gewalttaten, im April verhaftet werden sollte. Mit Kämpfern verschanzte er
sich in den Bergen und terrorisiert nun die umliegende Region, ohne dass die Armee
ihn bislang stoppen konnte. Doch die internationale Gemeinschaft habe hier eine präzise
Aufgabe:
„Man muss signalisieren, dass das beobachtet wird und keiner damit
rechnen kann, straffrei davon zu kommen, wenn bekannt wird, was er für Vergehen begangen
hat. Der Blick von außen auf die Lage und das Bewusstsein, dass das Ganze nicht im
Versteckten passiert, sind dabei unabdingbar. Dafür ist auch die Öffentlichkeit sehr
wichtig.“