Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Band III. Eine Übersicht
„Jesus von Nazareth
– Prolog. Die Kindheitsgeschichten.“ So heißt der neue Band der Trilogie über Jesus,
den Benedikt XVI. an diesem Dienstag vorgelegt hat. Mit diesem Band – er ist mit ca.
170 Seiten der kürzeste der drei Bände – ist das Werk „Jesus von Nazareth“ vollendet,
eines der großen Projekte dieses Pontifikats ist abgeschlossen. „Endlich“ – so heißt
schon, im Vorwort, das erste Wort des Papstes zu diesem Thema.
Das Buch ist,
wie Benedikt im Vorwort vom 15. August dieses Jahres – dem Fest Mariä Himmelfahrt
– betont, „eine Art kleiner Eingangshalle zu den beiden Bänden über Gestalt und Botschaft
Jesu von Nazareth, die vorausgegangen sind“. Von der aufmerksamen Exegese der Kindheitsgeschichten
Jesu im Matthäus- und Lukas-Evangelium ausgehend, sinniert der Papst immer wieder:
„Ist das Gesagte wahr? Geht es mich an? Und wenn ja, wie?“ Er will die „Gegenwart
des Vergangenen“ freilegen, für ihn ist das „unweigerlich ein Teil der Auslegung selbst“.
„Der Ernst der historischen Suche wird“ seiner Überzeugung nach „damit nicht eingeschränkt,
sondern erhöht.“
Ein sehr spiritueller Dialog des 85-Jährigen mit den biblischen
Texten ist daraus geworden: ein „Gespräch im Ineinander von Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft“, das darum weiß, wie „jede Auslegung hinter der Größe des biblischen
Textes zurückbleibt“. Aber „ich hoffe, dass das kleine Buch trotz seiner Grenzen vielen
Menschen auf ihrem Weg zu Jesus und mit Jesus helfen kann“.
„Die Kindheitsgeschichten
sind gedeutete Geschichte“ Benedikt XVI. geht zunächst von der Frage aus,
die Pilatus nach Darstellung des Johannes-Evangeliums an Jesus stellt: „Woher bist
du?“ Die Verstörung, die die Gestalt Jesu für die Zeitgenossen bedeutete, sieht der
Papst in dieser Frage eingefangen. Er analysiert die Stammbäume Jesu, die Matthäus
und Lukas entwickeln, und schwenkt dann zum berühmten Prolog des Johannes-Evangeliums
„Im Anfang war das Wort.“ „Der Mensch Jesus ist das Zelten des Wortes, des ewigen
göttlichen Logos in dieser Welt“, so Benedikt: „Jesus ist sozusagen das Zelt der Begegnung
– ganz real das, wofür das Zelt und der spätere Tempel nur als Zeichen stehen konnten.
Jesu Ursprung, sein „Woher“, ist der „Anfang“ selbst – der Urgrund, aus dem alles
kommt... Er kommt von Gott.“ Der in Jesus „zu uns gekommene Anfang eröffnet ... eine
neue Weise des Menschseins.“
Im zweiten des insgesamt auf vier Kapitel angelegten
Werks verfolgt der Theologe auf dem Stuhl Petri dann die Ankündigung der Geburt Johannes
des Täufers und der Geburt Jesu in ihrer parallelen Struktur bei Lukas. Dabei wird
schnell deutlich, dass er diese Traditionen nicht als völlig aus der Luft gegriffen
ansieht, sondern als Familientraditionen, die wohl auf Maria selbst zurückgehen könnten.
„Natürlich wird die moderne „kritische“ Exegese solche Zusammenhänge als einfältig
insinuieren. Aber warum sollte es nicht eine solche Überlieferung gegeben haben, die
im engsten Kreis festgehalten und dabei theologisch geformt worden ist?“ Nach Auffassung
von Benedikt XVI. wollten Lukas und auch Matthäus „in ihrer je eigenen Art nicht „Geschichten“
erzählen, sondern Geschichte schreiben, wirkliche, geschehene Geschichte, freilich
gedeutete und vom Wort Gottes her verstandene Geschichte.“ Ein so genannter historischer
Jesus ist nicht unabhängig vom Blick des Glaubens auf ihn zu rekonstruieren – diese
Überzeugung Benedikts wird auch hier deutlich. „Die Kindheitsgeschichten sind gedeutete
und von der Deutung her geschriebene, konzentrierte Geschichte.“ Lukas setze einiges
daran, mit seiner historischen Einordnung Jesu ernst genommen zu werden, und „er stand
immerhin noch näher an den Quellen und an den Ereignissen, als wir es trotz aller
historischen Gelehrsamkeit für uns beanspruchen können“.
Prophetische oder
Psalmenworte des Alten Testaments, die die Evangelisten auf Jesus beziehen, erscheinen
dem Papst immer wieder als „wartende Worte“, die erst in Christus ihren vollen Sinn
erkennen lassen – „wie ein merkwürdig geformtes Schlüsselloch, in das der Schlüssel
Christus genau hineinpasst“, so zitiert er einmal den Exegeten Marius Reiser. Die
Flucht Jesu nach Ägypten und seine Heimkehr ins Gelobte Land erscheint ihm als „endgültiger
Exodus“: Jesus „kommt nach Hause und führt nach Hause“, führt „aus der Entfremdung
in die Heimat, ins Eigentliche und Eigene.“ Benedikt tritt wie schon in seinen vorigen
Büchern ausdrücklich ins Gespräch mit der modernen Exegese ein, außer Reiser etwa
mit Rudolf Kilian, Peter Stuhlmacher, Alfons Deissler, Rudolf Pesch oder Stefan Schreiber.
Im Literaturverzeichnis listet er Werke der Theologen-Kardinäle Gianfranco Ravasi
und Christoph Schönborn auf; an einer Stelle zitiert er zustimmend den Kommentar Klaus
Bergers zum Neuen Testament, der letztes Jahr erschienen ist.
Jungfrauengeburt?
„Ohne Einschränkung: Ja“ Das Grußwort des Engels Gabriel an Maria übersetzt
Benedikt wörtlich mit „Freude dich“: Hier hört er den „Akkord angeschlagen, der dann
weiterklingt durch die ganze Zeit der Kirche hindurch“. Etwas blass bleibt in seiner
Darstellung vielleicht die Gestalt Mariens, der Mutter Jesu – auch wenn er natürlich
ausführlich über ihr Ja dem Engel gegenüber nachdenkt. Aber ihre Frage „Wie soll das
geschehen, da ich keinen Mann erkenne“ vermag sich der Papst schlechthin nicht zu
erklären, selbst eine Verstehenshilfe des großen Augustinus weist er hier überraschend
deutlich zurück („Diese Rekonstruktion fällt völlig aus der Welt des Judentums zur
Zeit Jesu heraus“). Umso mehr sticht die Aufmerksamkeit ins Auge, die Joseph Ratzinger
– denn auch dieser Autorenname steht auf dem Titelblatt, zusammen mit dem Papstnamen
– seinem Namenspatron zukommen läßt, dem heiligen Joseph. Er sieht ihn eingereiht
„in die großen Gestalten des Alten Bundes, angefangen bei Abraham“. Dass Joseph in
der Matthäus-Schilderung von der Huldigung der Sterndeuter an Jesus nicht an der Seite
Mariens auftaucht, fällt dem Papst sofort auf, und er sucht gleich nach einer Erklärung.
Deutlich und ausführlich begründend hält Benedikt XVI. an der geschichtlichen
Wahrheit der Jungfrauengeburt fest. Sie sei kein antiker Mythos, weil „die Einzigkeit
des einen Gottes und der unendliche Unterschied zwischen Gott und Kreatur voll gewahrt“
blieben. „Es gibt keine Vermischung, keinen Halbgott. Gottes schöpferisches Wort allein
wirkt Neues.“ Immerhin lässt der Papst mit einem Seitenblick auf die berühmte vierte
Ekloge Vergils (die er rührenderweise nach einer Ausgabe von 1953 zitiert) gelten,
dass die Vorstellung einer Jungfrauengeburt und eines damit verbundenen neuen Zeitalters
in der augusteischen Epoche irgendwie in der Luft lag. Ob es also wahr sei, dass Jesus
nach Aussage des Credo „von der Jungfrau Maria“ geboren worden sei? „Die Antwort darauf
lautet ohne Einschränkung: Ja.“ Im Anschluss an Karl Barth hält der Papst fest, dass
Gott nur zweimal „unmittelbar in die materielle Welt eingreift“, nämlich bei der Jungfrauengeburt
und bei der Auferstehung. „Diese beiden Punkte sind ein Skandal für den menschlichen
Geist. Gott darf in Ideen und Gedanken wirken, im Geistigen – aber nicht an der Materie.
Das stört. Da gehört er nicht hin. Aber gerade darum geht es: dass Gott Gott ist und
sich nicht nur in Ideen bewegt. Insofern geht es bei beiden Punkten um das Gottsein
Gottes selbst.“ Wenn Gott „nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er eben
nicht Gott.“ Aber, so Benedikt: „Er hat diese Macht“.
Mehrmals sinniert Benedikt
XVI. über den Namen Jesus, zu deutsch „Gott rettet“: In diesem Namen ist „das Tetragramm,
der geheimnisvolle Name vom Horeb, verborgen enthalten und ausgeweitet... Der gleichsam
unvollständig gebliebene Name vom Sinai wird zu Ende gesprochen. Der Gott, der ist,
ist der gegenwärtige und rettende Gott. Die im brennenden Dornbusch begonnene Namensoffenbarung
Gottes wird in Jesus vollendet.“ Und zwar in einem präzisen historischen Moment, als
Wirklichkeit: „Jesus ist nicht im Irgendwann des Mythos geboren und aufgetreten. Er
gehört einer genau datierbaren Zeit und einem genau bezeichneten geographischen Raum
zu: Das Universale und das Konkrete berühren einander. In ihm ist der Logos, der schöpferische
Sinn aller dinge, in die Welt hereingetreten.“
„Erlösung ist nicht Wellness“ Immer
wieder einmal zeigt der Papst auf die Fäden, die die biblischen Texte mit dem Heute
verbinden. Dabei scheut er aber vor plumper Aktualisierung zurück; in diesem dünnen
Bändchen findet sich noch weniger plakativ Einsetzbares als in den beiden Vorgängern.
„Manchmal in der Geschichte“ zögen „die Mächtigen dieser Welt“ das Reich Gottes „an
sich“, schreibt er einmal. „Aber gerade dann ist es bedroht: Sie wollen ihre Macht
mit der Macht Jesu verknüpfen, und gerade so entstellen sie sein Reich, bedrohen sie
es.“ Beispiele dafür aus der Geschichte nennt der Papst aber nicht. Genauso behutsam
führt er aus, dass Jesu Priorität nicht das Hinwegnehmen von Leid und Unfreiheit ist,
sondern die Vergebung der Sünden. „Der Mensch ist ein Wesen in Beziehungen. Und wenn
die erste, die grundlegende Beziehung des Menschen gestört ist – die Beziehung zu
Gott –, dann kann nichts Weiteres mehr wirklich in Ordnung sein. Um diese Priorität
geht es in Jesu Botschaft und Wirken“. Und als er das Eilen der Hirten nach Bethlehem
schildert, fragt er: „Welche Christen eilen heute, wenn es um die Dinge Gottes geht?“
Mehr nicht. Nur an einer Stelle, nämlich als er die Worte des greisen Simeon an Maria
reflektiert, wird er scharf und fast polemisch: „Der Widerspruch des Menschen gegen
Gott durchzieht die ganze Geschichte... Hier wird nicht von Vergangenheit gesprochen.
Wir alle wissen, wie sehr heute Christus Zeichen eines Widerspruchs ist, der im Letzten
Gott selbst gilt... Gott steht mit seiner Wahrheit der vielfältigen Lüge des Menschen,
seiner Eigensucht und seinem Hochmut entgegen. Gott ist Liebe. Aber die Liebe kann
auch gehasst werden, wo sie das Heraustreten über sich selbst hinaus fordert. Sie
ist nicht romantisches Wohlgefühl. Erlösung ist nicht Wellness, ein Baden im Selbstgenuss...“
Das ist „Deus Caritas est“ mit einer bitteren Spitze.
An der Geburt Jesu in
Bethlehem arbeitet Benedikt XVI. vor allem die Armut und Unscheinbarkeit heraus, in
der Gott in die Welt kommt. Hier zeige sich die „Umkehrung der Werte, die in der Gestalt
Jesu Christi, seiner Botschaft liegt“. Von Geburt an gehöre er „nicht dem Bereich
dessen zu, was weltlich wichtig und mächtig ist. Aber gerade dieser Unwichtige und
Ohnmächtige erweist sich als der wahrhaft Mächtige, als der, auf den letztlich alles
ankommt... In der Armseligkeit der Geburt Jesu zeichnet sich das Große ab, in dem
sich geheimnisvoll die Rettung der Menschen vollzieht.“ Ausführlich beschäftigt sich
der Papst mit der Geschichte der Magier aus dem Osten; er weist auf das Ambivalente
am Wort „Magier“ hin und deutet sie dann als einen „Anfang“: „Sie stehen für den Aufbruch
der Menschheit auf christus hin... Sie stehen nicht nur für die Menschen, die zu Christus
gefunden haben. Sie stehen für die innere Erwartung des menschlichen Geistes, für
die Bewegung der Religionen und der menschlichen Vernunft auf Christus zu.“ Aber die
Suche nach der Wahrheit, so heißt es dann mahnend, könne auch „abdriften, so dass
sie den Menschen nicht mehr in Bewegung bringt über sich hinaus, sondern ihn verleitet,
sich zu fixieren in Systemen“. Was er damit meint, wird an den Schriftgelehrten deutlich,
die den Weisen in Jerusalem den Weg nach Bethlehem weisen, aber selbst nicht dorthin
aufbrechen: „Soll man vielleicht darin das Bild einer Theologie erblicken, die sich
im akademischen Disput erschöpft?“
Immer wieder findet der Autor nach eingehenderen
Analysen des biblischen Textes zu einfachen, eingängigen Sentenzen: „Dies ist wahrhaft
Grund zur Freude: Es gibt die Wahrheit, es gibt das Gute, es gibt die Schönheit. Sie
ist da – in Gott –, unzerstörbar.“ Hier haben wir den typischen Ratzinger-Benedikt-Ton.
Der neue Jesusband wird in diesen Tagen und Wochen in zwanzig Sprachen – darunter
auch Katalanisch – und siebzig Ländern veröffentlicht. In Deutschland erscheint er
am Mittwoch.