2012-11-20 11:57:18

Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Band III. Eine Übersicht


RealAudioMP3 „Jesus von Nazareth – Prolog. Die Kindheitsgeschichten.“ So heißt der neue Band der Trilogie über Jesus, den Benedikt XVI. an diesem Dienstag vorgelegt hat. Mit diesem Band – er ist mit ca. 170 Seiten der kürzeste der drei Bände – ist das Werk „Jesus von Nazareth“ vollendet, eines der großen Projekte dieses Pontifikats ist abgeschlossen. „Endlich“ – so heißt schon, im Vorwort, das erste Wort des Papstes zu diesem Thema.

Das Buch ist, wie Benedikt im Vorwort vom 15. August dieses Jahres – dem Fest Mariä Himmelfahrt – betont, „eine Art kleiner Eingangshalle zu den beiden Bänden über Gestalt und Botschaft Jesu von Nazareth, die vorausgegangen sind“. Von der aufmerksamen Exegese der Kindheitsgeschichten Jesu im Matthäus- und Lukas-Evangelium ausgehend, sinniert der Papst immer wieder: „Ist das Gesagte wahr? Geht es mich an? Und wenn ja, wie?“ Er will die „Gegenwart des Vergangenen“ freilegen, für ihn ist das „unweigerlich ein Teil der Auslegung selbst“. „Der Ernst der historischen Suche wird“ seiner Überzeugung nach „damit nicht eingeschränkt, sondern erhöht.“

Ein sehr spiritueller Dialog des 85-Jährigen mit den biblischen Texten ist daraus geworden: ein „Gespräch im Ineinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, das darum weiß, wie „jede Auslegung hinter der Größe des biblischen Textes zurückbleibt“. Aber „ich hoffe, dass das kleine Buch trotz seiner Grenzen vielen Menschen auf ihrem Weg zu Jesus und mit Jesus helfen kann“.

„Die Kindheitsgeschichten sind gedeutete Geschichte“
Benedikt XVI. geht zunächst von der Frage aus, die Pilatus nach Darstellung des Johannes-Evangeliums an Jesus stellt: „Woher bist du?“ Die Verstörung, die die Gestalt Jesu für die Zeitgenossen bedeutete, sieht der Papst in dieser Frage eingefangen. Er analysiert die Stammbäume Jesu, die Matthäus und Lukas entwickeln, und schwenkt dann zum berühmten Prolog des Johannes-Evangeliums „Im Anfang war das Wort.“ „Der Mensch Jesus ist das Zelten des Wortes, des ewigen göttlichen Logos in dieser Welt“, so Benedikt: „Jesus ist sozusagen das Zelt der Begegnung – ganz real das, wofür das Zelt und der spätere Tempel nur als Zeichen stehen konnten. Jesu Ursprung, sein „Woher“, ist der „Anfang“ selbst – der Urgrund, aus dem alles kommt... Er kommt von Gott.“ Der in Jesus „zu uns gekommene Anfang eröffnet ... eine neue Weise des Menschseins.“

Im zweiten des insgesamt auf vier Kapitel angelegten Werks verfolgt der Theologe auf dem Stuhl Petri dann die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers und der Geburt Jesu in ihrer parallelen Struktur bei Lukas. Dabei wird schnell deutlich, dass er diese Traditionen nicht als völlig aus der Luft gegriffen ansieht, sondern als Familientraditionen, die wohl auf Maria selbst zurückgehen könnten. „Natürlich wird die moderne „kritische“ Exegese solche Zusammenhänge als einfältig insinuieren. Aber warum sollte es nicht eine solche Überlieferung gegeben haben, die im engsten Kreis festgehalten und dabei theologisch geformt worden ist?“ Nach Auffassung von Benedikt XVI. wollten Lukas und auch Matthäus „in ihrer je eigenen Art nicht „Geschichten“ erzählen, sondern Geschichte schreiben, wirkliche, geschehene Geschichte, freilich gedeutete und vom Wort Gottes her verstandene Geschichte.“ Ein so genannter historischer Jesus ist nicht unabhängig vom Blick des Glaubens auf ihn zu rekonstruieren – diese Überzeugung Benedikts wird auch hier deutlich. „Die Kindheitsgeschichten sind gedeutete und von der Deutung her geschriebene, konzentrierte Geschichte.“ Lukas setze einiges daran, mit seiner historischen Einordnung Jesu ernst genommen zu werden, und „er stand immerhin noch näher an den Quellen und an den Ereignissen, als wir es trotz aller historischen Gelehrsamkeit für uns beanspruchen können“.

Prophetische oder Psalmenworte des Alten Testaments, die die Evangelisten auf Jesus beziehen, erscheinen dem Papst immer wieder als „wartende Worte“, die erst in Christus ihren vollen Sinn erkennen lassen – „wie ein merkwürdig geformtes Schlüsselloch, in das der Schlüssel Christus genau hineinpasst“, so zitiert er einmal den Exegeten Marius Reiser. Die Flucht Jesu nach Ägypten und seine Heimkehr ins Gelobte Land erscheint ihm als „endgültiger Exodus“: Jesus „kommt nach Hause und führt nach Hause“, führt „aus der Entfremdung in die Heimat, ins Eigentliche und Eigene.“ Benedikt tritt wie schon in seinen vorigen Büchern ausdrücklich ins Gespräch mit der modernen Exegese ein, außer Reiser etwa mit Rudolf Kilian, Peter Stuhlmacher, Alfons Deissler, Rudolf Pesch oder Stefan Schreiber. Im Literaturverzeichnis listet er Werke der Theologen-Kardinäle Gianfranco Ravasi und Christoph Schönborn auf; an einer Stelle zitiert er zustimmend den Kommentar Klaus Bergers zum Neuen Testament, der letztes Jahr erschienen ist.

Jungfrauengeburt? „Ohne Einschränkung: Ja“
Das Grußwort des Engels Gabriel an Maria übersetzt Benedikt wörtlich mit „Freude dich“: Hier hört er den „Akkord angeschlagen, der dann weiterklingt durch die ganze Zeit der Kirche hindurch“. Etwas blass bleibt in seiner Darstellung vielleicht die Gestalt Mariens, der Mutter Jesu – auch wenn er natürlich ausführlich über ihr Ja dem Engel gegenüber nachdenkt. Aber ihre Frage „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne“ vermag sich der Papst schlechthin nicht zu erklären, selbst eine Verstehenshilfe des großen Augustinus weist er hier überraschend deutlich zurück („Diese Rekonstruktion fällt völlig aus der Welt des Judentums zur Zeit Jesu heraus“). Umso mehr sticht die Aufmerksamkeit ins Auge, die Joseph Ratzinger – denn auch dieser Autorenname steht auf dem Titelblatt, zusammen mit dem Papstnamen – seinem Namenspatron zukommen läßt, dem heiligen Joseph. Er sieht ihn eingereiht „in die großen Gestalten des Alten Bundes, angefangen bei Abraham“. Dass Joseph in der Matthäus-Schilderung von der Huldigung der Sterndeuter an Jesus nicht an der Seite Mariens auftaucht, fällt dem Papst sofort auf, und er sucht gleich nach einer Erklärung.

Deutlich und ausführlich begründend hält Benedikt XVI. an der geschichtlichen Wahrheit der Jungfrauengeburt fest. Sie sei kein antiker Mythos, weil „die Einzigkeit des einen Gottes und der unendliche Unterschied zwischen Gott und Kreatur voll gewahrt“ blieben. „Es gibt keine Vermischung, keinen Halbgott. Gottes schöpferisches Wort allein wirkt Neues.“ Immerhin lässt der Papst mit einem Seitenblick auf die berühmte vierte Ekloge Vergils (die er rührenderweise nach einer Ausgabe von 1953 zitiert) gelten, dass die Vorstellung einer Jungfrauengeburt und eines damit verbundenen neuen Zeitalters in der augusteischen Epoche irgendwie in der Luft lag. Ob es also wahr sei, dass Jesus nach Aussage des Credo „von der Jungfrau Maria“ geboren worden sei? „Die Antwort darauf lautet ohne Einschränkung: Ja.“ Im Anschluss an Karl Barth hält der Papst fest, dass Gott nur zweimal „unmittelbar in die materielle Welt eingreift“, nämlich bei der Jungfrauengeburt und bei der Auferstehung. „Diese beiden Punkte sind ein Skandal für den menschlichen Geist. Gott darf in Ideen und Gedanken wirken, im Geistigen – aber nicht an der Materie. Das stört. Da gehört er nicht hin. Aber gerade darum geht es: dass Gott Gott ist und sich nicht nur in Ideen bewegt. Insofern geht es bei beiden Punkten um das Gottsein Gottes selbst.“ Wenn Gott „nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er eben nicht Gott.“ Aber, so Benedikt: „Er hat diese Macht“.

Mehrmals sinniert Benedikt XVI. über den Namen Jesus, zu deutsch „Gott rettet“: In diesem Namen ist „das Tetragramm, der geheimnisvolle Name vom Horeb, verborgen enthalten und ausgeweitet... Der gleichsam unvollständig gebliebene Name vom Sinai wird zu Ende gesprochen. Der Gott, der ist, ist der gegenwärtige und rettende Gott. Die im brennenden Dornbusch begonnene Namensoffenbarung Gottes wird in Jesus vollendet.“ Und zwar in einem präzisen historischen Moment, als Wirklichkeit: „Jesus ist nicht im Irgendwann des Mythos geboren und aufgetreten. Er gehört einer genau datierbaren Zeit und einem genau bezeichneten geographischen Raum zu: Das Universale und das Konkrete berühren einander. In ihm ist der Logos, der schöpferische Sinn aller dinge, in die Welt hereingetreten.“

„Erlösung ist nicht Wellness“
Immer wieder einmal zeigt der Papst auf die Fäden, die die biblischen Texte mit dem Heute verbinden. Dabei scheut er aber vor plumper Aktualisierung zurück; in diesem dünnen Bändchen findet sich noch weniger plakativ Einsetzbares als in den beiden Vorgängern. „Manchmal in der Geschichte“ zögen „die Mächtigen dieser Welt“ das Reich Gottes „an sich“, schreibt er einmal. „Aber gerade dann ist es bedroht: Sie wollen ihre Macht mit der Macht Jesu verknüpfen, und gerade so entstellen sie sein Reich, bedrohen sie es.“ Beispiele dafür aus der Geschichte nennt der Papst aber nicht. Genauso behutsam führt er aus, dass Jesu Priorität nicht das Hinwegnehmen von Leid und Unfreiheit ist, sondern die Vergebung der Sünden. „Der Mensch ist ein Wesen in Beziehungen. Und wenn die erste, die grundlegende Beziehung des Menschen gestört ist – die Beziehung zu Gott –, dann kann nichts Weiteres mehr wirklich in Ordnung sein. Um diese Priorität geht es in Jesu Botschaft und Wirken“. Und als er das Eilen der Hirten nach Bethlehem schildert, fragt er: „Welche Christen eilen heute, wenn es um die Dinge Gottes geht?“ Mehr nicht. Nur an einer Stelle, nämlich als er die Worte des greisen Simeon an Maria reflektiert, wird er scharf und fast polemisch: „Der Widerspruch des Menschen gegen Gott durchzieht die ganze Geschichte... Hier wird nicht von Vergangenheit gesprochen. Wir alle wissen, wie sehr heute Christus Zeichen eines Widerspruchs ist, der im Letzten Gott selbst gilt... Gott steht mit seiner Wahrheit der vielfältigen Lüge des Menschen, seiner Eigensucht und seinem Hochmut entgegen. Gott ist Liebe. Aber die Liebe kann auch gehasst werden, wo sie das Heraustreten über sich selbst hinaus fordert. Sie ist nicht romantisches Wohlgefühl. Erlösung ist nicht Wellness, ein Baden im Selbstgenuss...“ Das ist „Deus Caritas est“ mit einer bitteren Spitze.

An der Geburt Jesu in Bethlehem arbeitet Benedikt XVI. vor allem die Armut und Unscheinbarkeit heraus, in der Gott in die Welt kommt. Hier zeige sich die „Umkehrung der Werte, die in der Gestalt Jesu Christi, seiner Botschaft liegt“. Von Geburt an gehöre er „nicht dem Bereich dessen zu, was weltlich wichtig und mächtig ist. Aber gerade dieser Unwichtige und Ohnmächtige erweist sich als der wahrhaft Mächtige, als der, auf den letztlich alles ankommt... In der Armseligkeit der Geburt Jesu zeichnet sich das Große ab, in dem sich geheimnisvoll die Rettung der Menschen vollzieht.“ Ausführlich beschäftigt sich der Papst mit der Geschichte der Magier aus dem Osten; er weist auf das Ambivalente am Wort „Magier“ hin und deutet sie dann als einen „Anfang“: „Sie stehen für den Aufbruch der Menschheit auf christus hin... Sie stehen nicht nur für die Menschen, die zu Christus gefunden haben. Sie stehen für die innere Erwartung des menschlichen Geistes, für die Bewegung der Religionen und der menschlichen Vernunft auf Christus zu.“ Aber die Suche nach der Wahrheit, so heißt es dann mahnend, könne auch „abdriften, so dass sie den Menschen nicht mehr in Bewegung bringt über sich hinaus, sondern ihn verleitet, sich zu fixieren in Systemen“. Was er damit meint, wird an den Schriftgelehrten deutlich, die den Weisen in Jerusalem den Weg nach Bethlehem weisen, aber selbst nicht dorthin aufbrechen: „Soll man vielleicht darin das Bild einer Theologie erblicken, die sich im akademischen Disput erschöpft?“

Immer wieder findet der Autor nach eingehenderen Analysen des biblischen Textes zu einfachen, eingängigen Sentenzen: „Dies ist wahrhaft Grund zur Freude: Es gibt die Wahrheit, es gibt das Gute, es gibt die Schönheit. Sie ist da – in Gott –, unzerstörbar.“ Hier haben wir den typischen Ratzinger-Benedikt-Ton. Der neue Jesusband wird in diesen Tagen und Wochen in zwanzig Sprachen – darunter auch Katalanisch – und siebzig Ländern veröffentlicht. In Deutschland erscheint er am Mittwoch.

(rv 20.11.2012 sk)







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