Der Ende August in
Berlin auf offener Straße überfallene Rabbi Daniel Alter zeigt sich besorgt über das
wachsende Klima von Antisemitismus in Deutschland. Im Interview mit dem Kölner Domradio
erklärte er, er sei zwar erfreut über die zahlreichen Solidaritätsbekundungen, die
er nach dem Überfall, von dem auch seine sechsjährige Tochter betroffen war, erhalten
hätte. Dennoch, so der Rabbi, würde er es seinen Glaubensbrüdern nur bedingt raten,
sich auf der Straße mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung Kippa zu zeigen:
„Ich sehe keinen Sinn darin, die eigene Gesundheit und das eigene Leben
in Gefahr zu bringen, um Zeichen zu setzen. Es gibt in Berlin Stadtviertel, in denen
es nicht empfehlenswert ist, sich als Jude öffentlich zu erkennen zu geben. Man kann
hier ruhig das umstrittene Wort der No-Go-Area benutzen. Für Einzelpersonen ist es
einfach nicht empfehlenswert, sich in gewissen Gebieten Berlins und Deutschlands als
Jude identifizieren zu lassen.“
Er selbst hätte das Erlebnis zwar auch
dank der überwältigenden Solidaritätswelle recht gut verarbeitet, seine kleine Tochter
leide aber immer noch unter den Folgen der Gewalttat. Die Täter hatten ihn auf offener
Straße angepöbelt und verletzt und das Mädchen mit dem Tod bedroht. Er selbst hätte
für sich aus dem Erlebnis Lehren gezogen:
„Zunächst hat es mich emotional
sehr mitgenommen. Nachdem ich aber angefangen habe, es rational zu verarbeiten, habe
ich für mich persönlich Konsequenz gezogen: Dinge, die ich in den vergangenen zwei
Jahren vernachlässigt habe, werde ich wieder intensivieren. Und ich werde mich wieder
verstärkt für den interreligiösen Dialog und gegen Antisemitismus engagieren.
Das
Klima in Deutschland sei gerade in letzter Zeit wieder rauer geworden, was insbesondere
angesichts des Gedenktages an die Reichspogromnacht am 9. November besorgniserregend
sei:
„Wir sind einem großen Maß an Antisemitismus konfrontiert. Wenn ich
die Zahlen der Bundestagsdebatte vor einigen Tagen richtig im Kopf habe, kann man
davon ausgehen, dass 20 Prozent der Gesamtbevölkerung latenten Antisemitismus in sich
tragen, und dass es weitere 15 Prozent innerhalb der Bevölkerung gibt, die mehr oder
weniger Antisemitismus mehr oder weniger offen ausleben und zum Ausdruck bringen.
Das ist eine extrem große Belastung. Und es ist einfach schmerzhaft, ein sehr großes
Problem für alle Menschen, die sich in Deutschland als Juden identifizieren.“