2012-11-12 14:45:06

D: Der Protest der Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor


RealAudioMP3 Bereits seit Ende Oktober hat sich eine Gruppe Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor in Berlin versammelt, um gegen die aktuellen Regelungen für Flüchtlinge in Deutschland zu protestieren. Mit dem Protestmarsch einer kleinen Gruppe von Würzburg aus und einem mehrtägigen Hungerstreik gerade vor einem der Wahrzeichen Deutschlands haben sie jedenfalls große Aufmerksamkeit erregt. Unsere Kollegin Christine Seuß hat mit Heiko Habbe gesprochen, er arbeitetet für die deutsche Abteilung des Jesuitenflüchtlingsdienstes und kennt sich mit der schwierigen Situation von Asylbewerbern in Deutschland bestens aus.

Herr Habbe, Sie sind Flüchtlingsanwalt beim Jesuitenflüchtlingsdienst, ich würde gerne von Ihnen wissen, was für Forderungen stellen denn konkret die Flüchtlinge, die jetzt seit einigen Tagen bei teils niedrigsten Temperaturen vor dem Brandenburger Tor ausharren?

„Die Hauptforderungen gehen dahin, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland geändert wird, also das System der Sammelunterkünfte aufgehoben wird, dass das Arbeitsverbot aufgehoben wird, aber auch die so genannte Residenzpflicht, mit der die Betroffenen verpflichtet werden, sich nur innerhalb eines Landkreises, einer Stadt oder eines Bundeslandes aufzuhalten. Wenn sie ihren Bezirk ohne Erlaubnis verlassen, dann machen sie sich unter Umständen strafbar.“

Was haben denn diese Residenzpflicht und das aktuelle Asylbewerbergesetz, das ja aus dem Jahr 1992 stammt, allgemein für Auswirkungen?

„Insgesamt bedeutet das schon eine sehr weitgehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit, wenn ich also in Schleswig Holstein wohne und Verwandte beispielsweise in Bayern wohne, kann ich die nicht einfach besuchen, sondern muss erst um eine Erlaubnis anfragen. Ob diese Erlaubnis erteilt wird, ist stark abhängig von der einzelnen Ausländerbehörde, und wenn die das nicht macht und ich reise dennoch und werde dabei erwischt, dann kann es sein, dass man mir ein Bußgeld auferlegt. Das ist eine Regelung, die unserer Ansicht nach nicht zeitgemäß ist, und die in einzelnen Bundesländern auch schon gelockert worden ist. Wir treten als Jesuitenflüchtlingsdienst auch deutlich für die Abschaffung ein.“

Was für eine Rolle spielt denn dabei die umstrittene Asylbewerberleistung, die ja vom Verfassungsgericht auch für verfassungswidrig erklärt worden ist?

„Was die Asylbewerberleistung angeht, also die spezielle Sozialhilfe für Flüchtlinge, die einem eigenen System unterliegt, hat das Verfassungsgericht im Sommer dieses Jahres entschieden, dass das Niveau dieser Leistung verfassungswidrig niedrig ist und damit ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht gesichert werden kann; insofern sind hier schon erste Anpassungen erfolgt. Wogegen sich die Protestierenden vor dem Brandenburger Tor aber auch richten, ist der Zwang, in vielen Ländern in einer Sammelunterkunft zu wohnen. Diese Sammelunterkünfte sind in schlechtem Zustand, das Leben dort ist sehr belastend gerade auch für Menschen, die psychisch angeschlagen sind. Hinzu kommt, dass einzelne Bundesländer immer noch Sachleistungen an die Flüchtlinge gewähren, das heißt, sie haben nicht die Freiheit, sich selbst die Sachen zu kaufen, die sie vielleicht gerne essen möchten sondern sie bekommen Essenspakete und müssen dann damit ihren Alltag fristen.“

Wie kommt es denn, dass ein Asylgesetz so lange unverändert besteht und dann erst solche Aktionen das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Situation dieser Menschen im Land richten - was läuft denn da falsch?

„Ich denke, dass diese Protestform eines 600-Kilometer-Marsches durch Deutschland und in besonderer Weise die Form des Hungerstreiks zeigen, wie verzweifelt die Leute in ihrer Situation sind. Das ist eine Erfahrung, die wir in unserer Arbeit auch oft machen, dass gerade Menschen, deren Asylverfahren sich lange hinzieht und auch nicht abgeschoben werden können, dass die mit den Jahren auch immer stärker an ihrer Lebenssituation verzweifeln, weil ja die deutschen Gesetze doch sehr rigide sind und diesen Personenkreis im Grunde am Rande der Gesellschaft zur Ausweglosigkeit verurteilen. Das gilt insbesondere auch für das Arbeitsverbot, das für diese Gruppe oft dauerhaft gilt. Man macht sie künstlich zu Leistungsbeziehern, zwingt sie in die Sozialkassen und wirft ihnen dann oft noch vor, dass sie von Sozialleistungen leben statt die Potentiale dieser Menschen zu nutzen und ihnen eine Chance zu geben, sich über Schulbesuch, Sprache oder über das Erlernen eines Berufes in dieser Gesellschaft zu integrieren.“

Eines haben die Flüchtlinge jedenfalls bereits erreicht: sie sollen, nach den kürzlich stattgefundenen Gesprächen mit der der Integrationsbeauftragten des Bundes Maria Böhmer, und der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat nun in wenigen Tagen auch vom Bundestag empfangen werden. Wer weiß, vielleicht eine gute Gelegenheit für den deutschen Gesetzgeber, ein 20 Jahre altes Gesetz einer gründlichen Revision zu unterziehen.

(rv 12.11.20112 cs)







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