Aktenzeichen: Erinnerung an Albino Lucani – zum hundersten Geburtstag Johannes
Paul I.
Der Sommer des Jahres
1978 war für die katholische Kirche nicht irgendein Sommer. Denn am 6. August starb
nach 15 Jahren Pontifikat Papst Paul VI. Nach einem sehr kurzen Konklave – zwei Tage
und vier Wahlgänge – wurde der Patriarch von Venedig, Albino Luciani, zum Papst gewählt
und gab sich zum ersten Mal in der Kirchengeschichte einen Doppelnamen: Johannes Paul
I. Wir werden heute von ihm selbst hören, warum er das getan hat.
‚Papst des
Lächelns’ wurde er genannt. 1987 im Oktober wäre er 66 Jahre alt geworden, aber diesen
Geburtstag konnte er nicht mehr feiern, denn sein Pontifikat dauerte nur 33 Tage.
Schon
in dem Augenblick, als Albino Luciani erstmals die mittlere Loggia der Petersbasilika
betrat, hatte er die Herzen der Gläubigen und der Welt erobert. Dass seine Gesten
aber ebenso seine Worte nicht nur äußerer Ausdruck waren, sondern sein ganzes Innerste
offenlegten zeigen seine wenigen aber inhaltsreichen Ansprachen. Es lohnt sich, seine
erste Ansprache an die hunderttausend Gläubigen, sie sich am Petersplatz versammelt
hatten, nochmals genau anzuhören: Eine Rede, wie sie kein Papst je zuvor gehalten
hatte. Indem er das majestätische ‚Wir’ fallen ließ, durchbrach er ein Jahrhunderte
altes Tabu, hob die Entfernung zwischen einem Papst und den Gläubigen auf und indem
er sich eine Haarsträhne über der Stirn zurecht strich, begrub er den Gebrauch der
Pästlichen Krone, der Tiara. Wer an den wenigen Generalaudienzen Johannes Paul I.
teilgenommen, sie am Radio mitverfolgt oder die Ansprachen in der Zeitung nachgelesen
hatte, erkannte sogleich, welch hochgebildeter Katechet und Seelenhirte der Kirche
geschenkt worden war. Hören wir also hinein in die berühmte und berührende erste Rede,
die Papa Luciani mit zitternder und bewegter Stimme an die in Rom versammelten Menschen
und an die ganze Welt richtete und anschließend seinen ersten Segen als Bischof von
Rom erteilte:
„Gestern morgen bin ich in die Sixstina gegangen, um in aller
Ruhe meine Stimme abzugeben. Nie hätte ich mir vorgestellt, was dann passieren sollte.
Als die Sache für mich gefährlich wurde, flüsterten mir meine Nachbarn Worte der Ermutigung
zu. Der eine sagte: Nur Mut, wem der Herr eine Last auflegt, dem hilft er auch sie
zu tragen. Und der andere sagte: Nur keine Angst, in der ganzen Welt beten so viele
Leute für den neuen Papst. Als es dann so weit war, habe ich ja gesagt. Dann ging
es um den Namen, denn die fragen einen auch welchen Namen man annehmen wolle, und
ich hatte darüber wenig nachgedacht. Mir kam die folgende Überlegung: Papst Johannes
hat mir mit seinen eigenen Händen die Bischofsweihe erteilt, hier in St. Peter. Dann
wurde ich unverdienter Weise in Venedig sein Nachfolger auf dem Stuhl des Heiligen
Markus, in Venedig, das noch immer voll ist von Erinnernungen an Papst Johannes. Die
Gondolieri erinnern sich seiner, die Schwestern, alle. Dann Papst Paul: er hat mich
nicht nur zum Kardinal erhoben, sondern er ließ mich – ein paar Monate vorher, auf
dem Laufsteg am Markusplatz – vor 20.000 Menschen erröten: er nahm seine Stola und
legte sie mir auf die Schultern. Noch nie bin ich so rot geworden! Andererseits hat
dieser Papst in den 15 Jahren seines Pontifikats, nicht nur mir, sondern der ganzen
Welt gezeigt, wie man liebt, wie man dient, wie man arbeitet und leidet für die Kirche
Christi. Deshalb habe ich mir gesagt: Ich nenne mich Johannes Paul. Verstehen wir
uns richtig: Ich besitze nicht die Herzensbildung von Papst Johannes, auch fehlt mir
die Gelehrsamkeit und die Kultur von Papst Paul, aber ich bin nunmal an ihre Stelle
getreten und will versuchen,der Kirche zu dienen. Ich hoffe, ihr alle helft mir mit
eurem Gebet.“
Diese Rede, verehrte Hörerinnen und Hörer, ist Humiltas –
ist Demut pur. Sie ist das Markenzeichen Johannes Paul I., das er der Welt hinterlassen
hat. Das plötzliche Ableben dieses Papstes blieb vielen Menschen unverständlich. Schon
bald tauchten absurde Mordtheorien auf, an denen der Vatikan nicht ganz unschuldig
war. Kleine Unwahrheiten, in denen sich die Menschen um ihn herum aus einer falsch
verstandenen Etikette verstrickten, ermunterten Skandalautoren dazu, abenteuerliche
Kolportagen gewinnbringend auf dem Buchmarkt zu werfen. Wahr und bewiesen ist, dass
Albino Luciani an Herzversagen gestorben ist. Er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt
geworden. Sein Seligsprechungsprozess ist im Gange.