Libanon: „Anschlag steht inmitten des Tauziehens um die Wahlen 2013“
Immer noch unklar
ist, wer hinter dem tödlichen Anschlag auf den libanesischen Polizeigeheimdienstchef
Wissam Al Hassan steht. Al Hassan hatte vor zweieinhalb Monaten den ehemaligen Minister
Michel Samaha verhaftet. Dieser steht im Verdacht, im Auftrag des syrischen Regimes
Sprengstoffanschläge im Libanon geplant zu haben. Viele Menschen im Libanon sehen
hinter der Bluttat deshalb pro-syrische Kräfte am Werk. Der designierte Kardinal und
Patriarch der Maroniten von Antiochien, Béchara Boutros Raï, warnt im Interview mit
Radio Vatikan dagegen vor schnellen Schuldzuweisungen. Der sunnitische Premier Najib
Mikati musste nach dem schockierenden Anschlag seinen Rücktritt anbieten. Dazu Patriarch
Rai:
„Der Präsident hat eine Beratung abgehalten, um herauszufinden, ob
es nötig ist, die Regierung zu stürzen oder nicht: Aktuell ist der Premierminister
Sunnit und einige fürchten, er könnte Beziehungen nach Syrien haben oder zu sunnitischen
Kreisen. Aber: Es ist überhaupt noch nicht gesagt, ob wirklich Syrer hinter dem Attentat
auf Al Hassan stecken. Wir können das nicht einfach so behaupten. Und wer auch immer
es war, es scheint dass sich die Situation wieder beruhigt.“
Der 47-jährige
Polizeigeheimdienstchef Al Hassan, der der libanesischen Opposition nahestand, wurde
von vielen Bürgern als Garant der Sicherheit im Libanon wahrgenommen, berichtet der
Islamwissenschaftler und gebürtige Libanese Ralph Ghadban, der in Berlin lebt. Für
die Mehrheit der libanesischen Bevölkerung stecke hinter dem Attentat die schiitische
Hezbollah, die im Libanon einen politischen und einen paramilitärischen Arm hat. Sie
habe inzwischen selbst offen zugegeben, mit dem syrischen Machthaber al Assad zu kooperieren,
so Ghadban.
„Das Volk, da gibt es diesmal wirklich Konsens auf der ganzen
Linie, zeigt auf Hezbollah, und die Verbündeten der Hezbollah zeigen dieses Mal keinen
Versuch, Hezbollah zu verteidigen. Das ist auffällig. Die Sache ist einfach zu offensichtlich!
Die Bevölkerung will die Situation im Land ändern, sie wollen internationalen Schutz
und verlangen den Rücktritt der Regierung, sie wollen eine neutrale Regierung, die
in der Lage ist, die nächsten Wahlen im März 2013 vorzubereiten.“
Diese
Wahlen seien entscheidend, weil die Hezbollah und ihre Verbündeten jetzt schon wüssten,
dass sie Neuwahlen verlieren würden, meint Ghadban. Eine Destabilisierung des Landes
– etwa durch Anschläge und Ausschreitungen – käme ihnen entgegen, weil dann Neuwahlen
nicht möglich wären, urteilt Ghadban, der früher selbst in der Oppositionsbewegung
im Libanon aktiv war. Beweise für diese Zusammenhänge hat die libanesische Regierung
freilich noch nicht auf den Tisch gelegt. Weder Patriarch Rai noch der Beobachter
Ghadban halten es allerdings für möglich, dass sich die aktuell angespannte Lage im
Libanon zu längerfristigen gewalttätigen Unruhen auswachsen könnte.