2012-10-17 15:13:06

Ägypten: Abwarten, aber nicht zu lange


RealAudioMP3 Ägypten kommt nach dem Wahlsieg des Muslimbruders Mohammed Mursi nicht zur Ruhe. Am vergangenen Freitag kam es erneut zu Ausschreitungen auf dem zentralen Tahrirplatz in Kairo. Gegner des Präsidenten werfen ihm vor, nach knapp 100 Tagen im Amt keines seiner Wahlversprechen eingelöst zu haben und auch die neue Verfassung, deren genauer Text momentan noch diskutiert wird, erregt die Gemüter. Pater Samir Khalil Samir ist Berater des Vatikans in Islamfragen und selbst Ägypter:

„Die Situation in Ägypten ist schwierig. Wir haben jetzt eine Regierung mit der Muslimbruderschaft. Das bedeutet einen harten Kurs denen gegenüber, die keine strengen Muslime sind. Man hat bereits gesehen, dass beispielsweise einige fundamentalistische Salafiten Kirchen zerstört und verbrannt haben, gegen Christen hetzen und so weiter. [Präsident] Mursi versucht in dieser Situation, einen Mittelweg zu finden. Er hat beispielsweise vor einigen Tagen zwei christliche Jungen von neun und zehn Jahren aus der Haft befreit [die Jungen waren mit dem Vorwurf der Blasphemie entgegen der auch von Ägypten unterzeichneten Kinderschutzkonvention festgenommen worden, A.d.R.]. Ich meine, Mursi versucht, zu zeigen, dass die Muslimbruderschaft keine fanatische Bewegung ist, sondern einen moderaten Islam vertritt. Ob das nun eine politische Lösung ist oder er ehrlich moderat ist, das wird die Zeit zeigen. Momentan haben die Christen allerdings Angst. Die Muslimbrüder sind strenge Muslime, und schon mit moderaten Muslimen ist es schwierig, alle Rechte einzufordern.“

Man müsse, bevor man ein endgültiges Urteil über die Regierung Mursis geben könne, also noch eine Zeitlang abwarten. Wichtig sei vor allem, was für Projekte Mursi und die Muslimbruderschaft nun in den nächsten Wochen anstoßen werden:

„Sie behaupten, alle Probleme sind durch den Islam gelöst. Ich möchte sehen, wie es diplomatisch funktioniert, mit Israel, mit der ganzen Welt. Bis jetzt ist es gut gegangen. Wesentlich wird auch die Wirtschaftsentwicklung sein. 40 Prozent unserer Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Was machen sie mit der Bildung? Wird diese stärker islamisiert werden, oder einfach neutral sein? Was werden sie in allen anderen Gebieten unternehmen? Es geht nicht um Ideologie. Ich bin nicht gegen oder für die Muslimbruderschaft. Ich sage, ich bin gegen radikale und kompromisslose Fanatiker. Wir müssen abwarten, aber auch nicht zu lange. Wenn es keine Entwicklung gibt, war das eine falsche Wahl.“

Pater Samir räumt aber ein, dass es im Hinblick auf die viel diskutierte Verfassung noch großen Klärungsbedarf gebe. In der aktuell vorgestellten Version gebe es Rückschritte bei den Rechten der Frauen, aber auch anderer Minderheiten zu beobachten. Die Diskussion um die Rechte einzelner Minderheiten führe aber, so der Pater, am eigentlichen Ziel vorbei:

„Es sollte in einer Verfassung die Begriffe Frau und Mann überhaupt nicht geben. Man darf nicht sagen, ,Frauen dürfen, Männer dürfen´. Nein. Es geht um Bürger. Und das ist genau das, was wir als Christen verlangen, Wir wollen auch keine Gesetze, die sagen, die Christen haben diese Rechte, die Muslime jene. Wir wollen nur von Bürgern sprechen. Die Christen sehen sich als echte Bürger Ägyptens, als Urägypter. Die Muslime sind unsere Brüder, aber es geht nicht um Religion. Es geht um Bürgerschaft. Es gibt nur Ägypter, oder Nicht-Ägypter. Das ist es, was wir verlangen. Solange diese Regierung nicht mit diesen Begriffen arbeitet, müssen wir dagegen protestieren. Wenn sie aber damit einverstanden ist, dass man von Bürgern spricht, dann können wir zusammen, Hand in Hand, ein neues Ägypten aufbauen. Und das ist unsere Hoffnung für alle Christen. Sie haben keine andere Hoffnung. Sie wollen mitarbeiten. Aber nur, wenn wir vollständig als Bürger angesehen werden, genauso wie die Muslime, Frauen, oder andere Gruppen. Das ist alles, was wir wünschen.“

(rv 17.10.2012 cs)







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