Ägypten kommt nach
dem Wahlsieg des Muslimbruders Mohammed Mursi nicht zur Ruhe. Am vergangenen Freitag
kam es erneut zu Ausschreitungen auf dem zentralen Tahrirplatz in Kairo. Gegner des
Präsidenten werfen ihm vor, nach knapp 100 Tagen im Amt keines seiner Wahlversprechen
eingelöst zu haben und auch die neue Verfassung, deren genauer Text momentan noch
diskutiert wird, erregt die Gemüter. Pater Samir Khalil Samir ist Berater des Vatikans
in Islamfragen und selbst Ägypter:
„Die Situation in Ägypten ist schwierig.
Wir haben jetzt eine Regierung mit der Muslimbruderschaft. Das bedeutet einen harten
Kurs denen gegenüber, die keine strengen Muslime sind. Man hat bereits gesehen, dass
beispielsweise einige fundamentalistische Salafiten Kirchen zerstört und verbrannt
haben, gegen Christen hetzen und so weiter. [Präsident] Mursi versucht in dieser Situation,
einen Mittelweg zu finden. Er hat beispielsweise vor einigen Tagen zwei christliche
Jungen von neun und zehn Jahren aus der Haft befreit [die Jungen waren mit dem Vorwurf
der Blasphemie entgegen der auch von Ägypten unterzeichneten Kinderschutzkonvention
festgenommen worden, A.d.R.]. Ich meine, Mursi versucht, zu zeigen, dass die Muslimbruderschaft
keine fanatische Bewegung ist, sondern einen moderaten Islam vertritt. Ob das nun
eine politische Lösung ist oder er ehrlich moderat ist, das wird die Zeit zeigen.
Momentan haben die Christen allerdings Angst. Die Muslimbrüder sind strenge Muslime,
und schon mit moderaten Muslimen ist es schwierig, alle Rechte einzufordern.“
Man
müsse, bevor man ein endgültiges Urteil über die Regierung Mursis geben könne, also
noch eine Zeitlang abwarten. Wichtig sei vor allem, was für Projekte Mursi und die
Muslimbruderschaft nun in den nächsten Wochen anstoßen werden:
„Sie behaupten,
alle Probleme sind durch den Islam gelöst. Ich möchte sehen, wie es diplomatisch funktioniert,
mit Israel, mit der ganzen Welt. Bis jetzt ist es gut gegangen. Wesentlich wird auch
die Wirtschaftsentwicklung sein. 40 Prozent unserer Bevölkerung lebt unterhalb der
Armutsgrenze. Was machen sie mit der Bildung? Wird diese stärker islamisiert werden,
oder einfach neutral sein? Was werden sie in allen anderen Gebieten unternehmen? Es
geht nicht um Ideologie. Ich bin nicht gegen oder für die Muslimbruderschaft. Ich
sage, ich bin gegen radikale und kompromisslose Fanatiker. Wir müssen abwarten, aber
auch nicht zu lange. Wenn es keine Entwicklung gibt, war das eine falsche Wahl.“
Pater
Samir räumt aber ein, dass es im Hinblick auf die viel diskutierte Verfassung noch
großen Klärungsbedarf gebe. In der aktuell vorgestellten Version gebe es Rückschritte
bei den Rechten der Frauen, aber auch anderer Minderheiten zu beobachten. Die Diskussion
um die Rechte einzelner Minderheiten führe aber, so der Pater, am eigentlichen Ziel
vorbei:
„Es sollte in einer Verfassung die Begriffe Frau und Mann überhaupt
nicht geben. Man darf nicht sagen, ,Frauen dürfen, Männer dürfen´. Nein. Es geht um
Bürger. Und das ist genau das, was wir als Christen verlangen, Wir wollen auch keine
Gesetze, die sagen, die Christen haben diese Rechte, die Muslime jene. Wir wollen
nur von Bürgern sprechen. Die Christen sehen sich als echte Bürger Ägyptens, als Urägypter.
Die Muslime sind unsere Brüder, aber es geht nicht um Religion. Es geht um Bürgerschaft.
Es gibt nur Ägypter, oder Nicht-Ägypter. Das ist es, was wir verlangen. Solange diese
Regierung nicht mit diesen Begriffen arbeitet, müssen wir dagegen protestieren. Wenn
sie aber damit einverstanden ist, dass man von Bürgern spricht, dann können wir zusammen,
Hand in Hand, ein neues Ägypten aufbauen. Und das ist unsere Hoffnung für alle Christen.
Sie haben keine andere Hoffnung. Sie wollen mitarbeiten. Aber nur, wenn wir vollständig
als Bürger angesehen werden, genauso wie die Muslime, Frauen, oder andere Gruppen.
Das ist alles, was wir wünschen.“