Vorhof der Völker in Assisi: „Mit Ethik gegen die Krise“
Unter dem Eindruck
der Krise in Italien steht die aktuelle Ausgabe des Vorhofs der Völker, zu dem im
umbrischen Städtchen Assisi noch bis zu diesem Samstagnachmittag Vertreter aus Kirche,
Politik, Kultur und Gesellschaft zusammenkommen. Kardinal Gianfranco Ravasi, Präsident
des Päpstlichen Kulturrates, hat die „mobile Gesprächsplattform“ für Gläubige und
Nicht-Glaubende mit initiiert; die aktuelle Ausgabe trägt den Titel „Gott, der Unbekannte“.
Prominenter Gast am Freitag, dem ersten Tag der Veranstaltung, war der italienische
Staatspräsident Giorgio Napolitano. Die Krise brauche auch spirituelle Antworten und
ethisch orientierte Lösungen, erinnerte Kardinal Ravasi im Kontext des Treffens in
der Stadt des heiligen Franziskus gegenüber Radio Vatikan:
„Das Volk
hat wichtige Fragen, die manchmal sogar das Überleben betreffen, und diese müssen
nicht nur vom politischen, sondern auch vom kulturellen und religiösen Gesichtspunkt
aus angegangen werden. Auch die verschiedenen Zelte hier zeigen deutlich auf, dass
wir mit diesem Treffen einen wahrhaften Samen in der italienischen Gesellschaft einpflanzen
wollen.“
Fragen der Werte, der „Durst nach Gerechtigkeit“ und eine
Untersuchung der „Komplexität der aktuellen ökonomischen Systeme“ seien Aspekte, denen
man hier mehr Aufmerksamkeit schenken müsse, so Kardinal Ravasi, der sich am Freitag
über genau diese Fragen mit Staatspräsident Napolitano austauschte. Er habe schon
mehrfach Gelegenheit gehabt, mit dem Politiker über Recht und Moral, Wahrheit und
die Rolle der Religion in der Gesellschaft zu sprechen, so Kardinal Ravasi.
Napolitano
fand in seiner Beitrag zum vatikanischen Dialogforum in Assisi deutliche Worte für
die aktuelle Lage Italiens; er sprach von einem „moralischen Verfall“:
„Die
italienische Gesellschaft lebt in diesem Moment eine Phase tiefer Unsicherheit und
Unruhe, in der vielleicht die Idee des ,Gemeinwohls‘ und des ,Interesses der Allgemeinheit‘
neu definiert und stärker verfestigt werden sollte.“
Diese Unsicherheit
werde zwar von der Wirtschaftskrise hervorgerufen. Sie werde aber durch Unzulänglichkeiten
der Politik, den Werteverfall und eine Kultur der Illegalität verschärft, fuhr Napolitano
fort. Dies rufe wiederum eine Ablehnung der Politik im Land hervor. Der Staatspräsident
forderte hier einen erneuerten „außerordentlichen Schulterschluss und eine enge Zusammenarbeit“
zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen, wie dies zur Zeit der verfassungsgebenden
Versammlung in Italien – einer Zeit, die als moralisch „hochwertig“ im historischen
Gedächtnis Italiens erinnert wird – der Fall gewesen sei. Napolitano:
„Wir
brauchen in allen Feldern eine Öffnung, gegenseitiges Zuhören und Verständnis, Dialog,
Annäherung und Einheit in der Vielfalt. Wir brauchen also den Geist Assisis.“
Ziel
des Vorhofes der Völker sei es, Gott in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft
spürbar zu machen, führte Kardinal Ravasi im Interview mit Radio Vatikan weiter aus.
Er ging dabei auf den Titel des Treffens in Assisi ein - „Gott, dieser Unbekannte“:
„Die
Zielrichtung ist vielleicht die, einen umfassenden Horizont zu schaffen, in dem auch
ein unbekannter Gott oder ein fremder Gott Platz hat. Wir wollen erreichen, dass Gott
in all diesen verschiedenen Bereichen – die hier durch den interkulturellen und interreligiösen
Dialog für den Frieden und durch die jungen Leute zwischen Glaube und Nihilismus repräsentiert
sind – dass Gott in diesen Feldern spürbar wird. Als eine Anwesenheit mit Bedeutung,
mit Bedeutung möglicherweise auch für Nicht-Glaubende.“
Internationale
Stationen des Vorhofs der Völker waren unter anderem Stockholm, Paris und Bukarest
und Tirana.