Hildegard von Bingen - eine menschenfreundliche Theologie
Benedikt XVI. hat
die heilige Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin erhoben. Die Bezeichnung „Kirchenlehrer“
- doctor ecclesiae - verleiht die katholische Kirche an Heilige, die sich durch Rechtgläubigkeit
in der Lehre, Heiligkeit des Lebens und eine herausragende Lehre auszeichnen. Notwendig
ist zudem eine Proklamation durch den Papst. Wir haben die Hildegard von Bingen-Biografin
Barbara Beuys gefragt, ob sie – sozusagen jenseits dieser offiziellen Bedingungen
für die Erhebung zur Kirchenlehrerin – auch besondere Affinitäten des deutschen Papstes
zur Äbtissin vom Disibodenberg ausmachen kann. Der Theologieprofessor Joseph Ratzinger
hatte sich in der Vergangenheit intensiv mit den Werken und dem Wirken von Hildegard
von Bingen beschäftigt. Beuys antwortete uns, sie könne natürlich „nicht in das Herz
von Benedikt hineinschauen“. Aber:
„Ich kann mir vorstellen, was ihn als
Theologe dort interessiert, sicher auch berührt, ist der Gott der Liebe, den sie immer
wieder predigt. Das ist ja auch der Kern der Bücher, die er geschrieben hat, und von
dem Gottesbild, das er beschreibt. Außerdem ist ja seit langer Zeit einAnliegen des
Theologen Ratzinger die Verbindung von Glaube und Vernunft, die er jetzt auch immer
wieder predigt.“
Unter den insgesamt 33 Kirchenlehrern in der Katholischen
Kirche gibt es bislang nur drei Frauen: die italienische Mystikerin Katharina von
Siena (1347-1380), die spanische Karmelitin Teresa von Avila (1515-1582), und die
französische Karmelitin Thérèse von Lisieux (1873-1897). Beuys sieht drei Bereiche,
durch die sich die Theologie der nun proklamierten Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen
auszeichnet:
„Einmal ist es eine menschenfreundliche Theologie,
das heißt Gott, der bis dahin vor allem als ein strenger Richter gesehen wird, ist
nun der Erlöser und der liebende Gott. Ich zitiere aus ihrem Buch Scivias: ,Denn die
Barmherzigkeit Gottes beugt sich in liebevollem Mitleiden zu den Menschen.’ Das hat
eine wirklich revolutionäre Konsequenz gehabt (…). Das Zweite ist eine Theologie der
Menschenwürde. Ich zitiere sie wieder: ,Gott hat seinen Geschöpfen, den Menschen,
eine bewundernswerte und hohe Würde verliehen. Und das dritte ist: Diese Würde bezieht
sich bei ihr immer und ganz ausschließlich sowohl auf die Männer als auch auf die
Frauen. Auch das ist etwas Besonderes in dieser Zeit.“
Mit der Erhebung
der Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin würdigt der Papst insbesondere den Beitrag
von Frauen zur Theologie. Das hat er selbst unterstrichen. Das Beispiel Hildegard
zeige, „dass auch die Theologie einen besonderen Beitrag von den Frauen erhalten kann“,
sagte Benedikt XVI. im September 2010 in einer Katechese über Hildegard: „Denn sie
sind in der Lage, mit der ihnen eigenen Intelligenz und Sensibilität über Gott und
Glaubensgeheimnisse zu sprechen. Ich ermutige daher alle Frauen, die diesen Dienst
ausüben, ihn mit zutiefst kirchlichem Bewusstsein durchzuführen (…).“ Auch Beuys umschreibt
die Hoffnung, dass das Beispiel von Hildegard von Bingen Anregung für die „weibliche“
Theologie sein könne:
„…dass vielleicht dadurch, dass sie jetzt zur Kirchenlehrerin
erhoben wird, der Anspruch, den die Kirche an sich selber stellt, in dem Sinne sichtbar
wird, dass es eventuell doch in Zukunft Veränderung geben wird und dass Frauen als
gewichtige Theologinnen in der Kirche die Rolle spielen könnten und einnehmen könnten,
die Hildegard von Bingen vor 800 Jahren eingenommen hat und die bisher, leider, immer
noch frei ist.“
Benedikt XVI. wird Hildegard von Bingen am 7. Oktober
zusammen mit dem im deutschen Sprachraum eher unbekannten Juan de Ávila zur Kirchenlehrerin
erheben. Die Messe markiert zugleich den Beginn der Bischofssynode zur Neuevangelisierung
im Vatikan. Im 50. Jubiläumsjahr zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils finden
in dieser Woche in Rom zudem zwei wichtige internationale Konferenzen statt: eine
Tagung des päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften und eine internationale
Theologinnenkonferenz.
Sendereihe von Radio Vatikan zu Hildegard von
Bingen Das Werk und Wirken der Hildegard von Bingen stellt Radio Vatikan
in einer Sendereihe vor, die im November bei uns im Programm läuft. Darin kommen neben
den Äußerungen des Papstes über Hildegard von Bingen zahlreiche Experten zu Wort,
die sich mit der Theologie, dem Leben und den zahlreichen interdisziplinären Beiträgen
der Benediktinerin beschäftigt haben.