Frankreich: Streit um Äußerungen von Kardinal Barbarin
Der Erzbischof von
Lyon hat mit Äußerungen zu einem Gesetzesprojekt von Präsident Francois Hollande eine
Debatte in Frankreich ausgelöst. In einem Radiointerview hatte Kardinal Philippe Barbarin
am Wochenende gesagt, die Legalisierung einer Ehe zwischen zwei Partnern desselben
Geschlechts würde einen „Bruch in der Gesellschaft“ bedeuten.
„Wenn man so
etwas erlaubt, dann hat das eine Reihe von Folgen, die man kaum aufzählen kann“, so
der Kardinal wörtlich: „Die werden dann zum Beispiel Paare zu dritt oder zu viert
erlauben wollen. Und dann fällt vielleicht eines Tages das Inzest-Verbot.“ Deutliche
Worte, die kurz nach einem Treffen des Kardinals mit dem neuen Innenminister Manuel
Valls fielen. Noch nie seit Amtsantritt der neuen sozialistischen Regierung hat sich
in Frankreich ein Kirchenführer so offen gegen ein Projekt von Präsident Hollande
in Stellung gebracht.
Die Reaktion in sozialen Netzwerken und Zeitungen: eine
heftige Diskussion. Viele werfen dem Kardinal von Lyon Homophobie vor. „Das ist ausgesprochen
schockierend“, sagte der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoé, ein Sozialist und
erklärter Homosexueller. „Es wundert mich, dass Barbarin so etwas sagt, denn ich habe
ihn immer für einen weisen Menschen gehalten. Ich weiß nicht, was ihn da geritten
hat; was er gesagt hat, ist wirklich häßlich.“ Er sei gern dazu bereit, im Pariser
Rathaus an der Seine Partner desselben Geschlechts offiziell miteinander zu verheiraten.
„Ich verstehe nicht, warum es der Kirche schaden sollte, wenn jemand darauf
hinweist: Eine Öffnung der Ehe für alle möglichen Partner könnte auch z.B. die Einführung
der Polygamie bedeuten.“ Das meint der Pariser Kardinal André Vingt-Trois, Vorsitzender
der Französischen Bischofskonferenz. „Das ist doch eine vernünftige Erklärung.“ Kardinal
Barbarin selbst wies in einem Statement darauf hin, er habe durchaus Respekt vor Homosexuellen,
und das Wort „Polygamie“, das ihm jetzt alle vorhielten, sei doch wörtlich in dem
Interview gar nicht gefallen. Einer von wenigen, die Barbarin beispringen, ist Joël
Mergui vom Zentralrat der Juden in Frankreich: Auch das Judentum sei gegen eine gleichgeschlechtliche
Ehe, und er frage sich auch, „in welche Richtung eine Gesellschaft geht, in der das
traditionelle Familienbild verändert wird“.
„Ich schlage eine Debatte in der
ganzen Gesellschaft vor, wie vor zwei Jahren zum Thema Bioethik“, sagte der Kardinal
von Lyon jetzt in einem Fernsehgespräch. „Die Themen liegen ähnlich, wie bei der Bioethik
ist auch in Sachen Familie und Ehe jeder in irgendeiner Form betroffen. Allerdings
ist das das erste Mal, dass die Dinge sich in einer großen Demokratie des Westens
in so eine Richtung bewegen.“ Ob er ein Referendum über gleichgeschlechtliche Ehen
fordert, so wie das am Samstag der Bischof von Fréjus-Toulon, Dominique Rey, tat?
„Es gibt viele, die sich ein Referendum wünschen“, antwortet der Kardinal, „und der
Präsident hat ja selbst das Abhalten von Volksabstimmungen angekündigt. Das ist eine
politische Wahl, meine Rolle ist das nicht – aber wenn Christen sich jetzt für ein
Referendum einsetzen, dann finde ich das eine gute Aktion!“
Innenminister Valls
erklärt, die Regierung halte an ihrem Gesetzesvorhaben fest, Präsident Hollande habe
in dieser Sache „sein Wort gegeben“. Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem, die
aus Lyon kommt, nannte die Berichterstattung über Barbarin „zu einem großen Teil verzerrt“.
Doch eine „Öffnung der Ehe heute“ sei „eine Frage der rechtlichen Gleichheit“, dahinter
stecke keineswegs „der Wille, die Familie zu zerstören“.