2012-09-15 11:39:33

„Lebt in Nahost ein neues Modell von Brüderlichkeit!“


RealAudioMP3 Papst Benedikt XVI. hat die Männer und Frauen des Libanon dazu aufgerufen, in Worten und Taten Frieden zu leben. In einer inhaltlich dichten Ansprache bezeichnete er den Libanon als Modell des Friedens für den gesamten Nahen Osten und regte einen "neuen Typus von Brüderlichkeit" an, der über alle Religionen hinweg die Größe jedes einzelnen Menschen sehe; er sprach über Wege aus der Gewalt, die Unverzichtbarkeit einer Erziehung zum Frieden und die zentrale Bedeutung der Religionsfreiheit. Die Ansprache im Präsidentenpalast von Baabda, einem Stadtteil Beiruts, richtete sich an Politiker, Diplomaten, Religionsführer und Kulturvertreter.

Gleich eingangs unterstrich der Papst neuerlich, dass sein Besuch dem gesamten Nahen Osten gelte, „allen Menschen in dieser Region der Welt, welche die Schmerzen einer nicht enden wollenden Niederkunft durchzumachen scheint“; Benedikt nannte in seiner Rede keine anderen Nationen als den Libanon selbst, doch es wurde deutlich, dass er auch das benachbarte Syrien, Israel und die Palästinensergebiete und alle anderen mehr oder weniger stabilen Länder der Region miteinschloss. Und er versah die „Wehen“ von blutiger Gewalt und Bürgerkriegen in Nahost mit einer neuen Deutung: Gott habe diese Region ausgewählt, „damit sie vor der Welt bezeugt, welche Möglichkeiten der Mensch hat, um seine Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung konkret zu leben“.

Frieden sei nur in einer geeinten Gesellschaft möglich, fuhr der Papst fort, wobei Einheit nicht Einförmigkeit bedeute. Wie wirksam der Einsatz für den Frieden ist, hängt dabei zunächst davon ab, welchen Wert wir dem menschlichen Leben beimessen. Benedikt rief grundsätzlich dazu auf:

„Verteidigen wir das Leben, wenn wir den Frieden wollen! Diese Logik schließt nicht nur den Krieg und terroristische Aktionen aus, sondern auch jeden Angriff auf das Leben des Menschen, des von Gott gewollten Geschöpfes.“

Angriffe auf das Leben und die Unversehrtheit des Menschen gebe es nicht nur in Ländern mit bewaffneten Konflikten, sondern auch überall sonst, etwa in Form von Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption, Ausbeutung, Terrorismus. Gegen das „unannehmbare Leid“, das dabei für die Betroffenen entstehe, gebe es nur ein Gegenmittel: echte Solidarität, so der Papst.

„Eine bessere Qualität des Lebens und einer ganzheitlichen Entwicklung ist nur möglich, wenn unter Achtung der Identität jeder Seite ein Teilen der Reichtümer und Kompetenzen erfolgt.“

Hier öffnete der Papst den Blick auf „den anderen“: das Teilen der Reichtümer und Kompetenzen habe nämlich seine unverzichtbare Grundlage im „Vertrauen in den anderen, wer immer es auch sei“.

„Heute müssen die kulturellen, sozialen und religiösen Unterschiede dazu führen, ein neues Modell von Brüderlichkeit zu leben, wo eben das Verbindende die gemeinsame Auffassung von der Größe des ganzen Menschen ist und das Geschenk, das er für sich selbst, für die anderen und für die Menschheit ist. Dort ist der Weg des Friedens zu finden! Dort liegt das Engagement, das von uns verlangt wird! Dort liegt die Orientierung, welche die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen auf jeder Ebene und in planetarem Maßstab leiten muss!“

Um heute den Frieden von morgen zu schaffen, so der Papst, sei die erste Aufgabe die der Pädagogik, der rechten Erziehung zum Guten. Benedikt sieht eine solche Erziehung nicht als Auswendiglernen des einen oder anderen Inhalts, sondern als Befähigung, sich richtig zu verhalten und notfalls auch gegen den Strom zu schwimmen.

„Es ist Aufgabe der Erziehung, das Reifen der Fähigkeit zu begleiten, freie und rechte Entscheidungen zu treffen, die gegenläufig zu verbreiteten Meinungen, Moden, politischen und religiösen Ideologien sein können! Der Aufbau einer Friedenskultur hat diesen Preis! Die verbale oder physische Gewalt muss überwunden werden!“

Dabei sei Gewalt immer ein Angriff auf die menschliche Würde, und zwar „sowohl des Opfers wie des Täters“, betonte der Papst. Dort, wo aber eine Friedenskultur Fuß fassen könne, entstehe:

„eine von Achtung, Ehrlichkeit und Herzlichkeit geprägte Atmosphäre, wo die Fehltritte und Beleidigungen tatsächlich zugegeben werden können, um dann gemeinsam zur Versöhnung weiterzuschreiten. Mögen die Staatsmänner und die Verantwortungsträger der Religionen darüber nachdenken!“

Benedikt rief in Erinnerung, dass das Böse nicht von sich aus in der Welt handelt, sondern den Weg über den Menschen nehme, „über den Gebrauch unserer Freiheit“. Es sei aber möglich, sich nicht vom Bösen besiegen zu lassen und es durch das Gute zu besiegen. Zu dieser „Umkehr des Herzens“ seien wir aufgerufen.

„Ohne sie [die Umkehr des Herzens] stellen sich die so sehr ersehnten menschlichen ;Befreiungen’ als Enttäuschungen heraus, denn sie bewegen sich in dem von der Enge des menschlichen Geistes, seiner Härte, seiner Intoleranz, seines Günstlingsgehabes, seiner Rachegelüste, seines Todestriebs eingeschränkten Raum. Die Umwandlung in der Tiefe des Geistes und des Herzens ist notwendig, um einen gewissen Scharfblick und eine gewisse Unparteilichkeit, den tiefen Sinn für Gerechtigkeit und für das Gemeinwohl zurückzugewinnen. Ein neuer und freierer Blick soll dazu fähig machen, menschliche Systeme, die in Sackgassen führten, zu analysieren und in Frage zu stellen.“

Diese „Umkehr des Herzens“ seit mitreißend und eröffne neue Möglichkeiten, weil sie an das Innerste der Männer und Frauen appelliere, die für den Frieden arbeiten wollen. Gleichzeitig sei die Umkehr besonders anspruchsvoll,

„wenn es darum geht, nein zur Rache zu sagen, eigene Fehler einzugestehen, Entschuldigungen anzunehmen, ohne sie zu suchen, und schließlich zu vergeben. Denn nur die gewährte und empfangene Vergebung legt die dauerhaften Grundlagen der Versöhnung und des Friedens für alle.“

An dieser Stelle ging der Papst auf sein Gastland ein; der Libanon galt seit jeher als Modell des geglückten Zusammenlebens verschiedenster Gruppen, ein Modell für die ganze Region, wie Benedikt hervorhob.

„Im Libanon bewohnen Christentum und Islam seit Jahrhunderten dieselben Orte. Es ist auch nicht selten, dass man innerhalb einer Familie beide Religionen sieht. Wenn das innerhalb einer Familie möglich ist, warum sollte das gleiche dann nicht für die Gesellschaft als Ganzes gelten? Die Besonderheit des Nahen Ostens besteht ja gerade in der jahrhundertelangen Mischung verschiedener Komponenten. Gewiss, sie haben sich leider auch bekämpft. Eine plurale Gesellschaft kann nur aufgrund des gegenseitigen Respektes, dem Wunsch, den anderen kennenzulernen und des ständigen Dialogs existieren.“

Religionsfreiheit sei da ein zentraler Punkt, fuhr der Papst fort: ein Grundrecht, von dem viele andere abhängen.

„Sich zu seiner Religion zu bekennen und sie frei zu leben, ohne sein Leben und seine Freiheit in Gefahr zu bringen, muss jedem möglich sein. Der Verlust oder die Schwächung dieser Freiheit beraubt den Menschen des heiligen Rechts auf ein ganzheitliches Leben auf geistlicher Ebene.“

Dabei hebe „die sogenannte Toleranz“ die Diskriminierungen nicht auf, im Gegenteil. Doch ohne Glauben werde der Mensch „unfähig dazu, gemäß der Gerechtigkeit zu handeln und sich für den Frieden einzusetzen“. Diese Stelle in der Papstrede wirkte wie ein indirekter Kommentar auf die Unruhen in der muslimischen Welt als Reaktion auf eine filmische Mohammed-Karikatur, die offenbar von einem koptischen Christen stammt; viele westliche Beobachter sehen in den Vorgängen den Beweis für die Gefahren und das „Störpotential“, die von den Religionen angeblich ausgehen. Der Papst setzte dem entgegen:

„Die Religionsfreiheit hat eine für den Frieden unverzichtbare gesellschaftliche und politische Dimension! Sie fördert eine Koexistenz und ein harmonisches Leben durch den gemeinsamen Einsatz im Dienst edler Anliegen und durch die Suche nach der Wahrheit, die sich nicht durch Gewalt aufdrängt... der gelebte Glaube führt stets zur Liebe. Der echte Glaube kann nicht zum Tod führen.“

Deshalb hätten die Gläubigen heute eine wesentliche Rolle, nämlich den Frieden zu bezeugen, „der von Gott kommt und der ein Geschenk an alle im persönlichen, familiären, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben ist“. Der Libanon solle diese Ideen leben, ermunterte der Papst am Ende seiner Rede; das Land sei mehr denn je dazu aufgerufen, ein Vorbild zu sein. Benedikt schloss seine Rede mit einem direkten Appell:

„Politiker, Diplomaten, Vertreter der Religionen, Männer und Frauen aus der Welt der Kultur, ich fordere euch daher auf, gelegen oder ungelegen in eurer Umgebung mutig Zeugnis davon zu geben, dass Gott den Frieden will, dass Gott uns den Frieden anvertraut.“

(rv 15.09.2012 gs)









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