„Lebt in Nahost ein neues Modell von Brüderlichkeit!“
Papst Benedikt XVI.
hat die Männer und Frauen des Libanon dazu aufgerufen, in Worten und Taten Frieden
zu leben. In einer inhaltlich dichten Ansprache bezeichnete er den Libanon als Modell
des Friedens für den gesamten Nahen Osten und regte einen "neuen Typus von Brüderlichkeit"
an, der über alle Religionen hinweg die Größe jedes einzelnen Menschen sehe; er sprach
über Wege aus der Gewalt, die Unverzichtbarkeit einer Erziehung zum Frieden und die
zentrale Bedeutung der Religionsfreiheit. Die Ansprache im Präsidentenpalast von Baabda,
einem Stadtteil Beiruts, richtete sich an Politiker, Diplomaten, Religionsführer und
Kulturvertreter.
Gleich eingangs unterstrich der Papst neuerlich, dass sein
Besuch dem gesamten Nahen Osten gelte, „allen Menschen in dieser Region der Welt,
welche die Schmerzen einer nicht enden wollenden Niederkunft durchzumachen scheint“;
Benedikt nannte in seiner Rede keine anderen Nationen als den Libanon selbst, doch
es wurde deutlich, dass er auch das benachbarte Syrien, Israel und die Palästinensergebiete
und alle anderen mehr oder weniger stabilen Länder der Region miteinschloss. Und er
versah die „Wehen“ von blutiger Gewalt und Bürgerkriegen in Nahost mit einer neuen
Deutung: Gott habe diese Region ausgewählt, „damit sie vor der Welt bezeugt, welche
Möglichkeiten der Mensch hat, um seine Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung konkret
zu leben“.
Frieden sei nur in einer geeinten Gesellschaft möglich, fuhr der
Papst fort, wobei Einheit nicht Einförmigkeit bedeute. Wie wirksam der Einsatz für
den Frieden ist, hängt dabei zunächst davon ab, welchen Wert wir dem menschlichen
Leben beimessen. Benedikt rief grundsätzlich dazu auf:
„Verteidigen wir
das Leben, wenn wir den Frieden wollen! Diese Logik schließt nicht nur den Krieg und
terroristische Aktionen aus, sondern auch jeden Angriff auf das Leben des Menschen,
des von Gott gewollten Geschöpfes.“
Angriffe auf das Leben und die Unversehrtheit
des Menschen gebe es nicht nur in Ländern mit bewaffneten Konflikten, sondern auch
überall sonst, etwa in Form von Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption, Ausbeutung, Terrorismus.
Gegen das „unannehmbare Leid“, das dabei für die Betroffenen entstehe, gebe es nur
ein Gegenmittel: echte Solidarität, so der Papst.
„Eine bessere Qualität
des Lebens und einer ganzheitlichen Entwicklung ist nur möglich, wenn unter Achtung
der Identität jeder Seite ein Teilen der Reichtümer und Kompetenzen erfolgt.“
Hier
öffnete der Papst den Blick auf „den anderen“: das Teilen der Reichtümer und Kompetenzen
habe nämlich seine unverzichtbare Grundlage im „Vertrauen in den anderen, wer immer
es auch sei“.
„Heute müssen die kulturellen, sozialen und religiösen Unterschiede
dazu führen, ein neues Modell von Brüderlichkeit zu leben, wo eben das Verbindende
die gemeinsame Auffassung von der Größe des ganzen Menschen ist und das Geschenk,
das er für sich selbst, für die anderen und für die Menschheit ist. Dort ist der Weg
des Friedens zu finden! Dort liegt das Engagement, das von uns verlangt wird! Dort
liegt die Orientierung, welche die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen
auf jeder Ebene und in planetarem Maßstab leiten muss!“
Um heute den Frieden
von morgen zu schaffen, so der Papst, sei die erste Aufgabe die der Pädagogik, der
rechten Erziehung zum Guten. Benedikt sieht eine solche Erziehung nicht als Auswendiglernen
des einen oder anderen Inhalts, sondern als Befähigung, sich richtig zu verhalten
und notfalls auch gegen den Strom zu schwimmen.
„Es ist Aufgabe der Erziehung,
das Reifen der Fähigkeit zu begleiten, freie und rechte Entscheidungen zu treffen,
die gegenläufig zu verbreiteten Meinungen, Moden, politischen und religiösen Ideologien
sein können! Der Aufbau einer Friedenskultur hat diesen Preis! Die verbale oder physische
Gewalt muss überwunden werden!“
Dabei sei Gewalt immer ein Angriff auf
die menschliche Würde, und zwar „sowohl des Opfers wie des Täters“, betonte der Papst.
Dort, wo aber eine Friedenskultur Fuß fassen könne, entstehe:
„eine von
Achtung, Ehrlichkeit und Herzlichkeit geprägte Atmosphäre, wo die Fehltritte und Beleidigungen
tatsächlich zugegeben werden können, um dann gemeinsam zur Versöhnung weiterzuschreiten.
Mögen die Staatsmänner und die Verantwortungsträger der Religionen darüber nachdenken!“
Benedikt
rief in Erinnerung, dass das Böse nicht von sich aus in der Welt handelt, sondern
den Weg über den Menschen nehme, „über den Gebrauch unserer Freiheit“. Es sei aber
möglich, sich nicht vom Bösen besiegen zu lassen und es durch das Gute zu besiegen.
Zu dieser „Umkehr des Herzens“ seien wir aufgerufen.
„Ohne sie [die Umkehr
des Herzens] stellen sich die so sehr ersehnten menschlichen ;Befreiungen’ als Enttäuschungen
heraus, denn sie bewegen sich in dem von der Enge des menschlichen Geistes, seiner
Härte, seiner Intoleranz, seines Günstlingsgehabes, seiner Rachegelüste, seines Todestriebs
eingeschränkten Raum. Die Umwandlung in der Tiefe des Geistes und des Herzens ist
notwendig, um einen gewissen Scharfblick und eine gewisse Unparteilichkeit, den tiefen
Sinn für Gerechtigkeit und für das Gemeinwohl zurückzugewinnen. Ein neuer und freierer
Blick soll dazu fähig machen, menschliche Systeme, die in Sackgassen führten, zu analysieren
und in Frage zu stellen.“
Diese „Umkehr des Herzens“ seit mitreißend und
eröffne neue Möglichkeiten, weil sie an das Innerste der Männer und Frauen appelliere,
die für den Frieden arbeiten wollen. Gleichzeitig sei die Umkehr besonders anspruchsvoll,
„wenn es darum geht, nein zur Rache zu sagen, eigene Fehler einzugestehen,
Entschuldigungen anzunehmen, ohne sie zu suchen, und schließlich zu vergeben. Denn
nur die gewährte und empfangene Vergebung legt die dauerhaften Grundlagen der Versöhnung
und des Friedens für alle.“
An dieser Stelle ging der Papst auf sein Gastland
ein; der Libanon galt seit jeher als Modell des geglückten Zusammenlebens verschiedenster
Gruppen, ein Modell für die ganze Region, wie Benedikt hervorhob.
„Im Libanon
bewohnen Christentum und Islam seit Jahrhunderten dieselben Orte. Es ist auch nicht
selten, dass man innerhalb einer Familie beide Religionen sieht. Wenn das innerhalb
einer Familie möglich ist, warum sollte das gleiche dann nicht für die Gesellschaft
als Ganzes gelten? Die Besonderheit des Nahen Ostens besteht ja gerade in der jahrhundertelangen
Mischung verschiedener Komponenten. Gewiss, sie haben sich leider auch bekämpft. Eine
plurale Gesellschaft kann nur aufgrund des gegenseitigen Respektes, dem Wunsch, den
anderen kennenzulernen und des ständigen Dialogs existieren.“
Religionsfreiheit
sei da ein zentraler Punkt, fuhr der Papst fort: ein Grundrecht, von dem viele andere
abhängen.
„Sich zu seiner Religion zu bekennen und sie frei zu leben, ohne
sein Leben und seine Freiheit in Gefahr zu bringen, muss jedem möglich sein. Der Verlust
oder die Schwächung dieser Freiheit beraubt den Menschen des heiligen Rechts auf ein
ganzheitliches Leben auf geistlicher Ebene.“
Dabei hebe „die sogenannte
Toleranz“ die Diskriminierungen nicht auf, im Gegenteil. Doch ohne Glauben werde der
Mensch „unfähig dazu, gemäß der Gerechtigkeit zu handeln und sich für den Frieden
einzusetzen“. Diese Stelle in der Papstrede wirkte wie ein indirekter Kommentar auf
die Unruhen in der muslimischen Welt als Reaktion auf eine filmische Mohammed-Karikatur,
die offenbar von einem koptischen Christen stammt; viele westliche Beobachter sehen
in den Vorgängen den Beweis für die Gefahren und das „Störpotential“, die von den
Religionen angeblich ausgehen. Der Papst setzte dem entgegen:
„Die Religionsfreiheit
hat eine für den Frieden unverzichtbare gesellschaftliche und politische Dimension!
Sie fördert eine Koexistenz und ein harmonisches Leben durch den gemeinsamen Einsatz
im Dienst edler Anliegen und durch die Suche nach der Wahrheit, die sich nicht durch
Gewalt aufdrängt... der gelebte Glaube führt stets zur Liebe. Der echte Glaube kann
nicht zum Tod führen.“
Deshalb hätten die Gläubigen heute eine wesentliche
Rolle, nämlich den Frieden zu bezeugen, „der von Gott kommt und der ein Geschenk an
alle im persönlichen, familiären, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben
ist“. Der Libanon solle diese Ideen leben, ermunterte der Papst am Ende seiner Rede;
das Land sei mehr denn je dazu aufgerufen, ein Vorbild zu sein. Benedikt schloss seine
Rede mit einem direkten Appell:
„Politiker, Diplomaten, Vertreter der Religionen,
Männer und Frauen aus der Welt der Kultur, ich fordere euch daher auf, gelegen oder
ungelegen in eurer Umgebung mutig Zeugnis davon zu geben, dass Gott den Frieden will,
dass Gott uns den Frieden anvertraut.“