Treffen mit Jugendlichen: „Ich möchte euch sagen, wie ich euren Mut bewundere."
Am Samstag Abend traf Papst Benedikt XVI. in Bkerké libanesische Jugendliche. Wir
dokumentieren die Ansprache des Papstes während des Wortgottesdienstes, vom 14. September
2012.
Der Text der Ansprache des Papstes in Bekerké:
Liebe Freunde! „Gnade
sei mit euch und Friede in Fülle durch die Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn“
(2 Petr 1,2). Der Abschnitt aus dem Brief des heiligen Petrus, den wir gehört
haben, bringt gut den großen Wunsch zum Ausdruck, den ich seit langem in meinem Herzen
trage. Danke für euren warmherzigen Empfang, danke von ganzem Herzen für eure so zahlreiche
Anwesenheit heute abend! Ich danke Seiner Seligkeit Patriarch Bechara Boutros Raï
für seine Willkommensworte, dem Erzbischof von Tripoli und Präsidenten des Rates für
das Laienapostolat im Libanon Georges Bou Jaoudé und dem Erzbischof von Sidon der
Melkiten Elle Hadda sowie den beiden Jugendlichen, die mich im Namen von euch allen
begrüßt haben. سَلامي أُعطيكُم [„Meinen Frieden gebe ich euch“] (Joh 14,27),
sagt uns Jesus Christus.
Liebe Freunde, ihr lebt heute in dem Teil der Welt,
der die Geburt Jesu und die Entstehung des Christentums gesehen hat. Das ist eine
große Ehre! Und es ist ein Aufruf zur Treue, zur Liebe zu eurer Region und vor allem
dazu, Zeugen und Boten der Freude Christi zu sein, denn der von den Aposteln weitergegebene
Glaube führt zur vollen Freiheit und zur Freude, wie uns so viele Heilige und Selige
dieses Landes gezeigt haben. Ihre Botschaft erhellt die Universalkirche. Sie kann
weiterhin euer Leben erhellen. Viele der Apostel und der Heiligen haben in unruhigen
Zeiten gelebt, und ihr Glaube war die Quelle für ihren Mut und ihr Zeugnis. Schöpft
aus ihrem Vorbild und ihrer Fürsprache die Inspiration und die Unterstützung, die
ihr braucht!
Ich weiß um eure Schwierigkeiten im täglichen Leben aufgrund der
fehlenden Stabilität und Sicherheit, wegen der Schwierigkeit, Arbeit zu finden, oder
auch wegen des Gefühls der Einsamkeit und der Ausgrenzung. In einer Welt, die ständig
in Bewegung ist, seid ihr mit zahlreichen ernsten Herausforderungen konfrontiert.
Selbst Arbeitslosigkeit und materielle Unsicherheit dürfen euch nicht dazu veranlassen,
den „bitteren Honig“ der Emigration zu kosten, die mit Entwurzelung und Trennung um
einer ungewissen Zukunft willen verbunden ist. Es geht für euch darum, an der Gestaltung
der Zukunft eures Landes teilzunehmen und eure Rolle in der Gesellschaft und in der
Kirche wahrzunehmen.
Ihr nehmt in meinem Herzen und in der ganzen Kirche einen
bevorzugten Platz ein, denn die Kirche ist immer jung! Die Kirche vertraut auf euch.
Sie zählt auf euch. Seid junge Menschen in der Kirche! Seid junge Menschen mit der
Kirche! Die Kirche braucht eure Begeisterung und eure Kreativität! Die Jugend ist
die Zeit, in der man nach großen Idealen strebt; sie ist die Phase des Lernens, wo
man sich auf einen Beruf und auf eine Zukunft vorbereitet. Das ist wichtig und erfordert
Zeit! Strebt nach dem Schönen, und habt Freude daran, das Gute zu tun! Bezeugt die
Größe und Würde eures Leibes, der „für den Herrn da ist“ (1 Kor 6,13b). Habt
die Feinfühligkeit und Aufrichtigkeit reiner Herzen! So wie der selige Johannes Paul
II. sage auch ich euch: „Habt keine Angst! Öffnet die Tore eures Geistes und eurer
Herzen für Christus!“ Die Begegnung mit ihm „gibt unserem Leben einen neuen Horizont
und damit seine entscheidende Richtung“ (Deus caritas est, 1). In ihm werdet
ihr die Kraft und den Mut finden, um auf den Wegen eures Lebens voranzuschreiten und
um die Schwierigkeiten und das Leiden zu überwinden. In ihm werdet ihr die Quelle
der Freude finden. Christus sagt euch: سَلامي أُعطيكُم [„Meinen Frieden gebe ich
euch“]. Da ist die wahre Revolution, die Christus gebracht hat, die Revolution der
Liebe.
Die derzeitigen Frustrationen dürfen euch nicht dazu verleiten, in Parallelwelten
zu flüchten wie etwa jene von Drogen jeder Art oder in die armselige Welt der Pornographie.
Was die sozialen Netzwerke betrifft, so sind sie zwar interessant, können euch aber
sehr leicht in eine Abhängigkeit und in die Verwechslung zwischen reell und virtuell
hineinziehen. Sucht und lebt bereichernde Beziehungen echter und edler Freundschaft!
Ergreift Initiativen, die eurem Leben Sinn und Grund geben im Kampf gegen die Oberflächlichkeit
und den leichtfertigen Konsum! Ihr seid auch noch einer anderen Versuchung ausgesetzt,
der Versuchung des Geldes, dieses tyrannischen Idols, das dermaßen blind macht, daß
es den Menschen und sein Herz erstickt. Die Vorbilder, die euch umgeben, sind nicht
immer die besten. Viele vergessen das Wort Christi, der sagt, daß man nicht Gott und
dem Mammon zugleich dienen kann (vgl. Lk 16,13). Sucht gute Lehrer, geistliche
Lehrer, die es verstehen, euch den Weg zur Reife zu zeigen, der Trug, Schein und Lüge
hinter sich läßt.
Seid Träger der Liebe Christi! Wie? Indem ihr euch ohne Vorbehalt
Gott, seinem Vater, zuwendet, der das Maß für das Rechte, Wahre und Gute ist. Betrachtet
das Wort Gottes! Ihr werdet das Interesse für das Evangelium und seine Aktualität
entdecken! Betet! Das Gebet und die Sakramente sind die sicheren und wirksamen Mittel,
um Christ zu sein und „in Christus verwurzelt und auf ihn gegründet am Glauben festzuhalten“
(vgl. Kol 2,7). Das bald beginnende Jahr des Glaubens wird eine Gelegenheit
sein, den Reichtum des in der Taufe empfangenen Glaubens zu entdecken. Ihr könnt seinen
Inhalt durch das Studium des Katechismus vertiefen, um zu einem lebendigen und gelebten
Glauben zu gelangen. Ihr werdet dann für die anderen zu Zeugen der Liebe Christi.
In ihm sind alle Menschen unsere Brüder. Die universale Brüderlichkeit, die er am
Kreuz begründet hat, umhüllt die Revolution der Liebe mit einem hellen und anspruchsvollen
Licht. „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).
Das ist das Vermächtnis Jesu und das Kennzeichen des Christen. Das ist die wahre Revolution
der Liebe!
Christus lädt euch daher ein, es ihm gleichzutun und den anderen
ohne Vorbehalt aufzunehmen, selbst wenn er einer anderen Kultur, Religion oder Nationalität
angehört. Ihm einen Platz zu geben, ihn zu respektieren, gut zu ihm zu sein; das macht
reicher an Menschlichkeit und stärker am Frieden des Herrn. Ich weiß, daß viele von
euch an den verschiedenen Aktivitäten teilnehmen, die von den Pfarreien, Schulen,
Bewegungen und Vereinigungen veranstaltet werden. Es ist schön, sich mit anderen und
für andere einzusetzen. Miteinander Zeiten der Freundschaft und der Freude zu erleben
macht es möglich, den Keimen der Spaltung zu widerstehen, die immer bekämpft werden
müssen. Brüderlichkeit ist eine Vorwegnahme des Himmels! Und die Berufung des Jüngers
Christi ist es, „Sauerteig“ im Teig zu sein, wie der heilige Paulus sagt: „Ein wenig
Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig“ (Gal 5,9). Seid Boten des Evangeliums
des Lebens und der Werte des Lebens. Widersteht mutig allem, was das Leben leugnet:
Abtreibung, Gewalt, Ablehnung und Verachtung des anderen, Ungerechtigkeit, Krieg.
So werdet ihr um euch herum den Frieden verbreiten. Sind es nicht die „Friedensstifter“,
die wir letztlich am meisten bewundern? Ist nicht der Friede jenes kostbare Gut, das
die ganze Menschheit sucht? Ist nicht eine Welt des Friedens das, was wir im tiefsten
für uns und für die anderen wollen? سَلامي أُعطيكُم [„Meinen Frieden gebe ich euch“]
, hat Jesus gesagt. Er hat das Böse nicht durch ein anderes Übel besiegt, sondern
dadurch, daß er es auf sich genommen und es am Kreuz durch die bis zum Ende gelebte
Liebe vernichtet hat. Wirklich die Vergebung und das Erbarmen Gottes zu entdecken
läßt uns immer zu einem neuen Leben aufbrechen. Zu vergeben fällt nicht leicht. Aber
die Vergebung Gottes gibt Kraft zur Umkehr und die Freude, seinerseits zu vergeben.
Vergebung und Versöhnung sind Wege des Friedens und eröffnen Zukunft.
Liebe
Freunde, viele von euch fragen sich gewiß mehr oder weniger bewußt: Was erwartet Gott
von mir? Was ist sein Plan für mich? Möchte ich nicht die Größe seiner Liebe durch
das Priestertum, durch das gottgeweihte Leben oder durch die Ehe verkünden? Ruft mich
Christus nicht in seine engere Nachfolge? Stellt euch vertrauensvoll diesen Fragen.
Nehmt euch Zeit, über sie nachzudenken und Licht zu erbitten. Antwortet der Einladung,
indem ihr euch jeden Tag dem anbietet, der euch ruft, seine Freunde zu sein. Strebt
danach, von Herzen und mit Großmut Christus nachzufolgen, der uns aus Liebe erlöst
und sein Leben für jeden von uns hingegeben hat. Ihr werdet eine ungeahnte Freude
und Erfüllung erfahren! Der Berufung, die Christus für mich hat, zu antworten, das
ist das Geheimnis des wahren Friedens.
Ich habe gestern das Apostolische
Schreiben Ecclesia in Medio Oriente unterzeichnet. Dieses Schreiben ist für
das ganze Volk Gottes wie auch für euch bestimmt, liebe Jugendliche. Lest es aufmerksam
und denkt darüber nach, um es in die Praxis umzusetzen! Um euch zu helfen, erinnere
ich euch an die Worte des heiligen Paulus an die Korinther: „Unser Empfehlungsschreiben
seid ihr; es ist eingeschrieben in unser Herz, und alle Menschen können es lesen und
verstehen. Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst,
geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf
Tafeln aus Stein, sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch“ (2 Kor 3,2-3).
Ihr, liebe Freunde, auch ihr könnt ein lebendiger Brief Christi sein. Dieser Brief
wird nicht auf Papier und nicht mit Bleistift geschrieben sein. Er wird das Zeugnis
eures Lebens und eures Glaubens sein. So werdet ihr mit Mut und Enthusiasmus in eurer
Umgebung begreiflich machen, daß Gott das Glück aller will ohne Unterschied und daß
die Christen seine Diener und treuen Zeugen sind.
Junge Libanesen, ihr seid
die Hoffnung und die Zukunft eures Landes. Ihr seid der Libanon, das Land der Aufnahme
und des Zusammenlebens, ausgestattet mit einem unerhörten Anpassungsvermögen. Und
in diesem Augenblick können wir die Millionen von Menschen nicht vergessen, welche
die libanesische Diaspora bilden und feste Bande mit ihrem Ursprungsland unterhalten.
Jugendliche des Libanon, seid gastfreundlich und offen, wie Christus es von euch erbittet
und wie euer Land es euch lehrt.
Nun möchte ich die muslimischen Jugendlichen
begrüßen, die heute abend bei uns sind. Ich danke euch für euer Kommen, das so bedeutsam
ist. Ihr seid zusammen mit euren christlichen Altersgenossen die Zukunft dieses wunderbaren
Landes und des gesamten Nahen Ostens. Sucht, ein Miteinander aufzubauen! Und wenn
ihr erwachsen sein werdet, lebt einträchtig weiter in Einheit mit den Christen. Die
Schönheit des Libanon besteht nämlich in dieser wunderbaren Symbiose. Der gesamte
Nahe Osten muß mit Blick auf euch einsehen, daß Muslime und Christen, Islam und Christentum
ohne Haß und in der Achtung des Glaubens eines jeden zusammenleben können, um gemeinsam
eine freie und menschliche Gesellschaft aufzubauen.
Ich habe ebenso erfahren,
daß unter uns auch junge Menschen sind, die aus Syrien kommen. Ich möchte euch sagen,
wie ich euren Mut bewundere. Sagt es bei euch, in euren Familien und unter euren Freunden
weiter, daß der Papst euch nicht vergißt. Sagt in eurer Umgebung, daß der Papst an
euren Leiden und eurer Trauer Anteil nimmt. In seinen Gebeten und in seiner Sorge
vergißt er Syrien nicht. Er vergißt die leidenden Menschen im Nahen Osten nicht. Es
ist Zeit, daß Muslime und Christen sich vereinen, um der Gewalt und den Kriegen ein
Ende zu setzen.
Zum Schluß wollen wir uns an Maria, die Mutter des Herrn, Unsere
Liebe Frau vom Libanon, wenden. Von der Anhöhe des Hügels von Harissa aus beschützt
und begleitet sie euch. Sie wacht wie eine Mutter über alle Libanesen und über die
vielen Pilger, die aus allen Richtungen kommen, um ihr ihre Freuden und Leiden anzuvertrauen!
Heute abend vertrauen wir der Jungfrau Maria und dem seligen Johannes Paul II., der
vor mir hier war, auch euer Leben und das Leben aller Jugendlichen im Libanon und
in den Ländern der Region an, besonders jene, die unter Gewalt oder Einsamkeit leiden,
und jene, die Trost brauchen. Gott segne euch alle! Und nun beten wir alle gemeinsam:
السّلامُ عَلَيكِ يا مَرْيَم... [„Gegrüßet seist du, Maria …“].