2012-09-14 17:51:19

Was steht im Papstschreiben zum Nahen Osten?


RealAudioMP3 Die Apostolische Exhortation „Ecclesia in Medio Oriente“, die Papst Benedikt XVI. an diesem Freitag in der St.-Pauls-Basilika von Harissa unterzeichnet hat, soll mehr als nur eine allegorisch zu verstehende Aufforderung zu Wahrhaftigkeit, Glaubensstärke und Einheit sein. Das unterstrich er in seiner Rede, die er im Vorfeld der Unterzeichnung vor den anwesenden religiösen Würdenträgern hielt. Vielmehr stellt das Dokument einen Appell an die Menschen im gesamten Nahen Osten dar, in Frieden miteinander zu leben, ihre Wurzeln nicht zu vergessen und der Zukunft mit Hoffnung und Dynamismus entgegen zu sehen. Das Dokument, in dem Papst Benedikt die 44 Thesen der Synodenväter aufgreift und ausformuliert, ist in drei Teile aufgeteilt, eine Einleitung und Schlussgedanken runden das mit Spannung erwartete Dokument ab.

Deutlich wird bereits in der Einleitung, dass Papst Benedikt mit großer Energie das Ziel verfolgt, die Einheit unter den Christen des Nahen Ostens zu stärken. Diese Einheit müsse in der Verschiedenheit der geographischen, religiösen, kulturellen und soziopolitischen Begebenheiten gefunden werden. Gleichzeitig drückt Benedikt XVI. seine Hoffnung aus, die Riten der Ostkirchen mögen als Schatz für die gesamte Kirche Christi weiter treu bewahrt werden. Neben der Einheit der christlichen Gemeinschaften müsse aber auch der interreligiöse Dialog mit Juden und Muslimen weiter vorangetrieben werden.

Erster Teil - Der Kontext

Dem Papst ist die schwierige Situation der Christen im Nahen Osten, heute vielleicht mehr noch als vor zwei Jahren bei Abschluss der Nahostsynode im Vatikan, sehr präsent. Die Anwesenheit der Christen im Nahen Osten, so erinnert Benedikt, sei nicht zufällig, sondern historisch bedingt; die Christen hätten maßgeblich zur kulturellen Entwicklung der Region beigetragen. Deutlich spricht sich der Papst gegen jede Art von Intoleranz, Diskriminierung, Ausgrenzung oder Verfolgung im Namen der Religion aus. Dabei erinnert er in eindringlichen Worten an die Toten und Opfer der menschlichen Blindheit, an die Angst und die Unterdrückung: „Es scheint, als gäbe es keine Bremse für die Verbrechen Kains”. Kurz und nicht im Detail ausformuliert, erwähnt Papst Benedikt, dass die Haltung des Heiligen Stuhl in den Fragen der Konflikte in der Region des Heiligen Landes weithin bekannt seien.

Er lädt weiterhin zur Einheit der Christen ein, warnt aber vor einem falschen Verständnis dieser Einheit: es gehe nicht um eine Vermischung, vielmehr müssten die seit jeher bestehenden traditionellen Gemeinschaften und diejenigen jüngeren Datums einander gegenseitig mit Respekt und Anerkennung begegnen. Besonderes Gewicht legt Benedikt XVI. auch in diesem Dokument auf die Frage der Religionsfreiheit: Die Katholiken, wie alle anderen Glaubensgemeinschaften, hätten das Recht und die Pflicht, am öffentlichen Leben konstruktiv teilzunehmen. Sie dürften wegen ihres Glaubens nicht als Bürger zweiter Klasse angesehen werden. Die Religionsfreiheit sei eines der höchsten Güter des Menschen, und sie müsse die Möglichkeit beinhalten, seinem eigenen Glauben Ausdruck zu verleihen, ohne dafür um sein Leben fürchten zu müssen.

Ebenso direkt spricht der Papst zwei Themen an, die verstärkt ins Bewusstsein gerückt sind: die Laizität und den Fundamentalismus. Die Laizität führe in ihrer Extremform zum Säkularismus, der die Religionsfreiheit angreift und dem Staat das Monopol in Glaubensfragen überlässt. Dieser Gefahr müsse man sich bewusst sein und die gesunde Laizität in gegenseitigem Respekt von Staat und Religion fördern.

An der Basis des religiösen Fundamentalismus ortet der Papst die wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten, „die Begabung einiger zur Manipulation“ sowie ein mangelhaftes Verständnis der Religion. Wie Benedikt XVI. einräumte, suche der Fundamentalismus „alle religiösen Gemeinschaften heim“. Aus politischen Gründen versuche der Fundamentalismus - manchmal mit Gewalt – die Macht über das Gewissen der einzelnen und über die Religion zu gewinnen. Der Papst wörtlich: „Ich appelliere an alle jüdischen, christlichen und muslimischen Religionsführer der Region, danach zu streben, durch ihr Beispiel und ihre Lehre alles zu tun, um diese Bedrohung zu bannen, die unterschiedslos und tödlich die Gläubigen aller Religionen ergreift."

Auch das Thema des christlichen Exodus aus der Region spart Benedikt XVI. nicht aus. Der Papst erinnert daran, dass der Nahe Osten ohne Christen nicht mehr derselbe wäre. Er fordert Politiker und geistliche Autoritäten dazu auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Region nicht der Menschen zu berauben, die sie über Jahrhunderte mit aufgebaut haben.

Kategorien der Kirche

Im zweiten Teil wendet sich der Papst an die verschiedenen Kategorien, die die Kirche in ihrer Vielfalt darstellen: Patriarchen, Bischöfe, Priester, Seminaristen und Ordensleute, aber auch Laien, Familien und Jugendliche. Der Papst lädt alle Glieder der Kirchen im Nahen Osten ein, entsprechend der je eigenen Berufung die Gemeinschaft in Demut und durch das Gebet neu zu beleben, damit sich die Einheit verwirkliche, um die Jesus gebetet hat.

Die Bischöfe und Patriarchen mahnt er zur Einheit mit dem Bischof von Rom, aber auch zur mutigen Verkündigung des Evangeliums, zur korrekten Verwaltung des Kircheneigentums und zu einem Leben, das von der Hinwendung auf das Wort Gottes zeuge. Auf die Priester bezogen, würdigt der Papst den Zölibat, aber auch den Dienst der verheirateten Priester als traditionelle Komponente der Ostkirchen.

Den Laien komme eine wichtige Rolle dabei zu, die Sache Christi zu vertreten, indem sie für Religionsfreiheit und Menschenwürde einstünden. Der Familie ist ein eigener Absatz gewidmet: es handelt sich, erinnert Benedikt, um eine göttliche Institution, die auf dem unlösbaren Bund der Ehe gegründet sei. Die Familie müsse, vielleicht auch entgegen einem gewissen Zeitgeist, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurück kehren und Keimzelle der Gesellschaft, des religiösen Bewusstseins und deren Werte sein.

Frauen, so fordert Benedikt, dürften dem Mann gesellschaftlich nicht untergeordnet werden; dazu gehöre auch eine juristische Gleichstellung mit dem Mann in Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten. Die Jugendlichen ermuntert Benedikt dazu, sich mutig zu Christus zu bekennen und gleichzeitig Juden und Muslimen mit Respekt zu begegnen, und er ermahnt sie, den Verlockungen des Konsumismus und der oberflächlichen modernen Kommunikationsmittel nicht zu erliegen. Alle Menschen seien aufgerufen, das Leben und die Rechte der jungen Menschen vom Augenblick der Empfängnis an zu respektieren und zu schützen.

Spirituelles Leben

Der dritte Teil der Exhortation widmet sich den doktrinalen Aspekten: Lobend hebt der Papst hervor, wie die Exegesetraditionen des Nahen Ostens (Alexandrien, Antiochien,u.a.) ihren Beitrag zur dogmatischen Formulierung des Ostergeheimnisses im 4. und 5. Jahrhundert geleistet hätten. Der Papst empfiehlt eine wahrhafte biblische Pastoral, um Vorurteilen oder falschen Ideen entgegenzutreten. Die Liturgie, auch in ihren neuen Formen, sei dabei unabdingbar, sie müsse aber stets auf dem Wort Gottes gegründet sein. Die Taufe sei Grundstein der Gemeinschaft und Solidarität, auch die Sakramente der Vergebung und Versöhnung, mit denen Friedensinitiativen auch inmitten der Verfolgung möglich sei, werden hervorgehoben.

Die Bedeutung der Evangelisierung als ursprüngliche Mission der Kirche könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, erinnert der Papst weiter. Auch die Katholiken im Nahen Osten seien aufgerufen, ihren missionarischen Geist zu erneuern, insbesondere im multikulturellen und pluri-religiösen Kontext, in dem sie lebten. Das Jahr des Glaubens, so hofft der Papst, könne dabei einen wichtigen Anstoß geben. Aber auch die Nächstenliebe sei nach dem Beispiel Christi unabdingbar für die Identität der Kirche. Den Mitarbeitern, die ihre Aufgaben im Dienst des Nächsten in verschiedenen Tätigkeitsfeldern teilweise auch unter Gefahr verrichten, spricht Papst Benedikt seinen besonderen Dank aus. Sie seien der Beweis dafür, dass es im Nahen Osten möglich sei, in gegenseitigem Respekt und in enger Zusammenarbeit zu leben.

Einige konkrete Vorschläge für die Arbeit im Nahen Osten beschließen den dritten Teil des Dokumentes: Der Papst regt eine gemeinsame Übersetzung des Vater Unser in die lokalen Sprachen der Region an oder die Idee eines Bibeljahres, das von einer jährlichen Bibelwoche gefolgt sein könnte, zudem die Weiterentwicklung der neuen Kommunikationswege. Ebenso schlägt Benedikt XVI. eine ökumenische Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen, mit denen sie in theologischem Dialog sei, vor. Und der Papst mahnt an, dass alle Gläubigen ohne Einschränkung Zugang zu den Heiligen Stätten erhalten sollen.

Das Dokument endet mit dem Aufruf des Papstes an alle Politiker und religiösen Autoritäten, den Frieden zu schaffen und zu erhalten. Dabei sei Friede keinesfalls nur die Abwesenheit von Gewalt. Vielmehr müssten die Ursachen für die Leiden der Menschen im Nahen Osten abgeschafft werden. Die Katholiken sind insbesondere dazu aufgerufen, weiterhin mutig ihren Glauben zu bezeigen, auch wenn dies nicht immer einfach sei – aber sicherlich mitreißend.

(rv 15.09.2012 cs)








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