Beirut ist traditionell
die Presse-Hauptstadt des Nahen Ostens: Was die Leitartikler hier schreiben, findet
von Tunis bis Riad Beachtung. An diesem Freitag bringen alle großen libanesischen
Zeitungen auf ihrer Titelseite große Artikel über den Papstbesuch. Allerdings muss
sich der Pilger aus Rom beim „Daily Star“ und beim „L`Orient le Jour“ den Platz auf
Seite eins mit den Anti-US-Unruhen in einigen Städten des Orients teilen.
„Papst
wird ein Ende der Gewalt in Syrien fordern“, titelt der „Daily Star“, und er
beruft sich auf Ankündigungen des maronitischen Patriarchen Béchara Rai auf einer
Pressekonferenz in Bkerke bei Beirut. Dass Benedikt im Libanon vor allem das Schlussdokument
einer Nahost-Sondersynode vorstellen will, wird in dem Artikel gar nicht erst erwähnt;
stattdessen liegt die Betonung darauf, dass die Reise „eine religiöse Versöhnung im
Nahen Osten fördern“ soll. Der Patriarch wird mit den Worten zitiert: „Krieg geht
nicht vom Islam oder vom Christentum aus, sondern von Staaten, Unruhestiftern oder
Söldnern. Islam und Christentum sollten sich zusammentun, um die Grundlagen für einen
wirklichen Arabischen Frühling zu legen.“ Alle Völker in der Region hätten „ein Recht
darauf, Reformen zu fordern“, und die katholische Kirche stehe darin auf ihrer Seite.
Doch wer Demokratie wolle, der müsse wissen, „dass sie nicht durch Gewalt herbeigeführt
werden kann“.
„Christen aller Glaubensrichtungen hoffen, dass der Papstbesuch
den Frieden fördert“, lautet die Überschrift eines Artikels im Innenteil. Er berichtet
von einer allgemein freundlichen Grundstimmung bei Menschen aller verschiedenen Konfessionen
und Religionen im Land dem hohen Gast gegenüber; die Reise sei eine „gute Chance für
mehr Einheit“. Allerdings seien die Sicherheitsmaßnahmen enorm: Das Blatt zeigt eine
Karte der Papstroute, rot markiert sind Straßen, die zu bestimmten Zeiten gesperrt
werden sollen. Ein namentlich nicht gezeichneter Kommentar im Innenteil des „Daily
Star“ mahnt mit Blick auf die Reise Benedikts: „Der Papstbesuch hat schon vor seinem
Beginn gezeigt, dass er das Zeug dazu hat, die verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuführen…
Aber bloße Freude über den Besuch ist nicht genug: Alle Verantwortlichen müssen sich
wirklich dafür engagieren, die Botschaften des Papstes umzusetzen, vor allem was religiösen
Pluralismus und Toleranz betrifft, und man sollte auch alles tun, um zu verhindern,
dass irgendjemand die Reise für seine eigenen Zwecke ausbeutet… Die Region müsste
von neuem ein Beispiel der religiösen Koexistenz sein für den Rest der Welt.“
Über
die „Sorgen eines Hirten“ räsonniert ein Kommentator auf der Seite eins von „L`Orient
le Jour“: Seit dem letzten Papstbesuch vor fünfzehn Jahren (damals durch Johannes
Paul II.) sei „viel Wasser unter den Brücken des Libanon und seiner Nachbarländer
heruntergeflossen, und nicht immer Weihwasser“. Johannes Pauls Besuch habe damals
vor allem dem Libanon an sich gegolten, das sei diesmal anders, Benedikt komme für
den ganzen Orient. Aber er lanciere seine Botschaft „mit Bedacht vom Libanon aus,
diesem einzigen Staat der Region, der einen christlichen Präsidenten hat“: Benedikt
werde seine Sorge darüber äußern, dass die Christen „aus dem Irak mittlerweile so
gut wie verschwunden“ seien und dass sie auch in Ländern wie Ägypten, Syrien oder
Libyen derzeit unter massiven Schwierigkeiten litten. Selbst im Libanon seien die
Christen derzeit „geradezu verzweifelt zerstritten in Sachen Innenpolitik und über
die Haltung, die dem syrischen Konflikt gegenüber einzunehmen wäre“. „Natürlich verwahrt
sich der Heilige Vater gegen die Darstellung, er unternehme eine Reise mit politischem
Charakter, aber er wird in seinen öffentlichen Stellungnahmen nicht ein so wichtiges
und für die Zukunft der Christen im Orient so entscheidendes Thema wie Syrien ignorieren
können. Der Papst wird ein Ende der Waffenlieferungen an die Streitparteien fordern…,
aber es wäre ein frommer Wunsch zu glauben, der Papst könnte eine Art Lösung für den
syrischen Konflikt liefern.“
Auch die große französischsprachige Zeitung des
Libanon berichtet ausführlich von den „maximalen Sicherheitsmaßnahmen“ („Alle Ordnungskräfte
mobilisiert“) und über die Pressekonferenz des maronitischen Patriarchen. Ein Artikel
berichtet in erstaunlicher Ausführlichkeit, dass Patriarch Rai eine Delegation von
Abgeordneten einer christlichen Parteienallianz unter Führung des früheren Premiers
Fouad Siniora empfangen habe, deutlich wird dabei, dass der Kirchenmann von den Medien
durchaus als wichtiger Faktor in der libanesischen Innenpolitik angesehen wird. Ein
Hintergrundartikel von Scarlett Haddad (der Familienname ist christlich) sieht die
innenpolitische Einmütigkeit im Empfangen des Papstes als „eine scheinbare Einheit“.
Dass selbst im notorisch unruhigen Tripoli im Norden des Libanon alle Kämpfe ruhten
sei geradezu „die Kirsche oben auf dem Kuchen“. In Wirklichkeit sei in Libanons Innenpolitik
keineswegs ein „Papst-Wunder“ passiert. „Solange der Ausgang der syrischen Krise noch
unklar ist, haben sich der Westen, die arabischen Staaten und sogar Iran eben darüber
verständigt, den Status quo im Libanon beizubehalten. Irgendwann wird schon der Moment
für eine dieser Parteien kommen, die libanesische Karte zu zücken, aber im Moment
wollen sie keine allgemeine Destabilisierung des Landes. Und der Papstbesuch ist gewissermaßen
der konkrete Ausdruck dieser Haltung. Sleiman, Mikati und Dschumblat (also der christliche
Präsident, der schiitische Ministerpräsident und der Drusenführer, Anm.d.Red.) haben
das verstanden, und auch die Hisbollah will im Moment keine Destabilisierung.“
Ein
anderer Kommentar im Innenteil der Zeitung weist darauf hin, dass mit dem Papstbesuch
praktisch ein Petrusnachfolger die anderen Petrusnachfolger besucht: Schließlich seien
ja auch die fünf Patriarchen von Antiochien Nachfolger des Apostelfürsten, der vor
seinem Wirken in Rom in Antiochien war. „Es wird Zeit, dass die Christen des Orients
alles dafür tun, die verlorene Einheit der antiken Kirche von Antiochien wiederherzustellen…
Ein Anfang dafür wäre ein gemeinsames Feiern des Osterfestes durch alle christlichen
Riten. Die verschiedenen Lehrämter machen sich gar nicht klar, was für ein dringender
Wunsch das bei vielen einfachen Leuten ist.“
Libanesische Zeitungen in arabischer
Sprache betonen eher den interreligiösen Charakter des Papstbesuchs. „Das Kommen des
Papstes ist ein Aufruf zur Einheit unter den Christen, aber auch zum Dialog mit den
Nichtchristen. Und das ist der Libanon.“ Mit diesen Worten zitiert „Al Nahar“
den französischen Kurienkardinal Tauran. Im Libanon gingen Muslime, Christen und Drusen
„alle in dieselben Schulen, sie haben dieselben Bücher und dieselben Lehrer. Es sind
die Schulen, die den Libanon gemacht haben. Das ist einzigartig in diesem Teil der
Welt und muss bewahrt werden.“ Der Kardinal erwähnt nicht, dass gerade die katholischen
Gruppen, allen voran die Maroniten, im Schul- und Bildungssektor besonders stark und
engagiert sind.
„Der ganze Libanon freut sich auf den Papst“, titelt „Al
Mustakbal“, um dann auf nicht weniger als vier Seiten die politischen und religiösen
Dimensionen von Benedikts Reise auszuleuchten. Der Papst bringe „eine neue Hoffnung
für die arabische Welt“, urteilt das Blatt. „Al Safir“ formuliert auf dem Titel
„Der Libanon freut sich auf den Papst, sieht aber gleichzeitig voller Sorge nach Syrien
hinüber“. Die Zeitung betont vor allem, dass auch die schiitische Hisbollah (die von
einigen westlichen Staaten als Terrorgruppe eingestuft wird, aber in Libanons Innenpolitik
Gewicht hat) den Papst ehrlich willkommen heiße. Ein Hintergrundartikel erklärt das
diplomatische System des Heiligen Stuhls. Die armenischsprachige Tageszeitung „Aztag“
titelt „Papst bringt Frieden für die Region“ und greift den Appell mehrerer Politiker
auf, alles dafür zu tun, dass der Besuch „auf die bestmögliche Art und Weise verlaufe“.