Die Reise von Papst
Benedikt in den Orient setzt den Schlusspunkt unter die Nahost-Sondersynode, die Bischöfe
aller katholischen Riten im Oktober 2010 – also nur Wochen vor Ausbruch des Arabischen
Frühlings – im Vatikan durchgeführt haben. Stefan Koster ist Priester im Bistum Eichstätt
– und kennt von seiner Studienzeit her viele der heutigen Bischöfe im Nahen Osten.
Er hat bei der Nahost-Bischofssynode hinter den Kulissen mitgearbeitet und ist jetzt
in Beirut, um zu beobachten, „wie das Dossier zu einem Ende kommt“.
„Ich
glaube, wir machen im Westen einen riesengroßen Fehler, indem wir die derzeitigen
geographischen Grenzen als Nationalgrenzen im westeuropäischen Sinne sehen: Das stimmt
nicht! Der Nahe Osten hat eine gemeinsame Grundkultur, und viele Familien sind über
die Grenzen hinweg miteinander verwandt; denselben konfessionellen Mix, den Sie hier
haben, finden Sie – natürlich in jeweils anderem Verhältnis – auch in Syrien, in Jordanien
oder in Ägypten. Warum der Papst dennoch gezielt in den Libanon kommt? Das liegt daran,
dass der Libanon traditionell das Barometer der politischen und religiösen Situation
des ganzen Nahen Ostens ist. Außerdem ist der Libanon aktuell noch ungefähr zu einem
Drittel christlich, so dass hier das Terrain für Begegnungen mit Christen im Nahen
Osten ist. Zumal die Christen hier im Land eigene höhere Bildungseinrichtungen haben,
also Universitäten. Die Maroniten haben mindestens drei Unis, die großen Orden haben
jeweils eine, darunter die Jesuiten; in Harissa haben die Melkiten ein theologisches
Institut. Christen aus dem Nahen Osten mit höherer Bildung kommen also in den Libanon.“
Auf
der Nahost-Bischofssynode lautete der Weisheit letzter Schluss allenthalben: Die Christen
müssten enger zusammenarbeiten und nicht ihren Klientelismus und Konfessionalismus
gegeneinander betreiben. Gibt es schon Anzeichen dafür, dass die Christen in dieser
Hinsicht umdenken?
„Naja… Schauen Sie: Die meisten Familien sind konfessionell
gemischt. Die meisten Ehen sind Mischehen zwischen katholischen und orthodoxen Christen.
De facto funktioniert das so, dass die Frau in der Regel der Konfession des Mannes
folgt, aber deswegen ihrer eigenen Kirche doch nicht völlig den Rücken kehrt. Es gibt
also nicht nur ein Potential, sondern eine absolute Notwendigkeit! Ich denke, dass
der Papst zu diesem Thema sehr viel zu sagen haben wird. Das Desiderat bleibt.“
Eine
Nachfrage: Sind die meisten Ehen unter Christen hier im Libanon konfessionell gemischt,
oder allgemein im ganzen Nahen Osten?
„Generell im ganzen Nahen Osten! Ich
habe einen Priesterfreund, der ist Maronit. Er kommt aus einer Familie mit elf Kindern.
Seine Schwester hat einen Melkiten geheiratet, eine andere einen Syrisch-Orthodoxen
und wieder eine andere einen Griechisch-Orthodoxen. Das funktioniert!“
Das
erinnert an die Lage in Deutschland, wo es ja auch viele konfessionsverschiedene Ehen
gibt, aber eben unter Katholiken und Protestanten bzw. Reformierten. Gibt es also
auch hier im Nahen Osten einen gewissen Druck der Basis auf die Hierarchien, dass
mehr zusammengearbeitet werden müsste?
„Das sind zwei verschiedene Welten:
Dogmatisch gesehen sind die Probleme zwischen Katholiken und Protestanten auf der
einen sowie Katholiken und Orthodoxen auf der anderen Seite von ganz verschiedener
Art – das müssen die Deutschen lernen. Es gibt eine bedingte Sakramentengemeinschaft
zwischen Syrisch-Orthodoxen und den Katholiken, und in den Familien wird das auch
so praktiziert. Dieses Modell ist aber so nicht nach Deutschland übertragbar – leider.
Was natürlich ein Desiderat ist: dass natürlich auch die Hierarchien dementsprechend
reagieren… besonders auf orthodoxer Seite.“
Was erwarten Sie sich vom Papstbesuch
im Libanon? Sie haben ja auch die Synode miterlebt und sind jetzt eigens zum Papstbesuch
angereist.
„Ich denke, der Papst kommt gar nicht primär in den Libanon –
und es sind ja auch nur drei Tage. Es geht ja um den Abschluss der Synode, und er
kommt eigentlich hierher auf ein Plateau, um tatsächlich dem ganzen Nahen Osten zu
begegnen. Viele Bischöfe aus der ganzen Region, denen es möglich ist, werden dazu
ja hierher kommen. Ich wünsche mir dringend, dass der Papst die Grundthemen anspricht
– das ist innerkatholisch zunächst einmal die innerkatholische Ökumene, die er anmahnen
wird und muss! Ich hoffe auch, dass er die soziale Frage allein schon innerhalb der
christlichen Gemeinschaften anmahnen wird: Das Auseinanderklaffen zwischen Arm und
Reich ist gerade hier im Libanon eklatant, wenn man das so sagen darf. Hier wie auch
in anderen Weltteilen ist die Katholische Soziallehre immer noch das bestgehütete
Geheimnis der Kirche – leider. Ich hoffe, dass er dieses Thema anspricht, denn der
Druck, der hier auf den jungen Leuten lastet, ist nicht in erster Linie religiös,
vielmehr ist das eine Frage des Überlebens, die Frage, eine Familie haben und menschenwürdig
unterhalten zu können. Es ist in erster Linie eine soziale Frage! Hier liegt der wichtigste
Grund, warum die Menschen hier aus dem Libanon abwandern, die Konfession spielt erst
in zweiter Linie eine Rolle. Das war in Syrien bis vor kurzem, bis vor etwa acht Monaten,
übrigens genauso. Und dann denke ich, dass der Papst am Samstag in Baabda das Thema
der Religionsfreiheit ansprechen wird – das ist das A und O.“
Letzte Frage:
Es gibt auch viele Erwartungen, der Papst werde sich zum Arabischen Frühling äußern.
Der Vatikan sagt allerdings: Nein, das wird kein Rolle spielen.
„Ich denke,
es ist Unsinn, das Thema überhaupt so polemisch anzugehen, und ich finde, in dieser
Hinsicht sind unsere vatikanischen Experten sehr gut. Der Papst wird die Grundfragen
angehen, was die Religionsfreiheit und die Menschenwürde betrifft. Ich gehe davon
aus, dass er diese Themen angehen wird, wenn er beim Präsidenten ist und die muslimische
Gemeinschaft sieht.“