2012-09-14 14:49:52

Libanon: „Der Papst wird die Grundthemen angehen“


RealAudioMP3 Die Reise von Papst Benedikt in den Orient setzt den Schlusspunkt unter die Nahost-Sondersynode, die Bischöfe aller katholischen Riten im Oktober 2010 – also nur Wochen vor Ausbruch des Arabischen Frühlings – im Vatikan durchgeführt haben. Stefan Koster ist Priester im Bistum Eichstätt – und kennt von seiner Studienzeit her viele der heutigen Bischöfe im Nahen Osten. Er hat bei der Nahost-Bischofssynode hinter den Kulissen mitgearbeitet und ist jetzt in Beirut, um zu beobachten, „wie das Dossier zu einem Ende kommt“.

„Ich glaube, wir machen im Westen einen riesengroßen Fehler, indem wir die derzeitigen geographischen Grenzen als Nationalgrenzen im westeuropäischen Sinne sehen: Das stimmt nicht! Der Nahe Osten hat eine gemeinsame Grundkultur, und viele Familien sind über die Grenzen hinweg miteinander verwandt; denselben konfessionellen Mix, den Sie hier haben, finden Sie – natürlich in jeweils anderem Verhältnis – auch in Syrien, in Jordanien oder in Ägypten. Warum der Papst dennoch gezielt in den Libanon kommt? Das liegt daran, dass der Libanon traditionell das Barometer der politischen und religiösen Situation des ganzen Nahen Ostens ist. Außerdem ist der Libanon aktuell noch ungefähr zu einem Drittel christlich, so dass hier das Terrain für Begegnungen mit Christen im Nahen Osten ist. Zumal die Christen hier im Land eigene höhere Bildungseinrichtungen haben, also Universitäten. Die Maroniten haben mindestens drei Unis, die großen Orden haben jeweils eine, darunter die Jesuiten; in Harissa haben die Melkiten ein theologisches Institut. Christen aus dem Nahen Osten mit höherer Bildung kommen also in den Libanon.“

Auf der Nahost-Bischofssynode lautete der Weisheit letzter Schluss allenthalben: Die Christen müssten enger zusammenarbeiten und nicht ihren Klientelismus und Konfessionalismus gegeneinander betreiben. Gibt es schon Anzeichen dafür, dass die Christen in dieser Hinsicht umdenken?

„Naja… Schauen Sie: Die meisten Familien sind konfessionell gemischt. Die meisten Ehen sind Mischehen zwischen katholischen und orthodoxen Christen. De facto funktioniert das so, dass die Frau in der Regel der Konfession des Mannes folgt, aber deswegen ihrer eigenen Kirche doch nicht völlig den Rücken kehrt. Es gibt also nicht nur ein Potential, sondern eine absolute Notwendigkeit! Ich denke, dass der Papst zu diesem Thema sehr viel zu sagen haben wird. Das Desiderat bleibt.“

Eine Nachfrage: Sind die meisten Ehen unter Christen hier im Libanon konfessionell gemischt, oder allgemein im ganzen Nahen Osten?

„Generell im ganzen Nahen Osten! Ich habe einen Priesterfreund, der ist Maronit. Er kommt aus einer Familie mit elf Kindern. Seine Schwester hat einen Melkiten geheiratet, eine andere einen Syrisch-Orthodoxen und wieder eine andere einen Griechisch-Orthodoxen. Das funktioniert!“

Das erinnert an die Lage in Deutschland, wo es ja auch viele konfessionsverschiedene Ehen gibt, aber eben unter Katholiken und Protestanten bzw. Reformierten. Gibt es also auch hier im Nahen Osten einen gewissen Druck der Basis auf die Hierarchien, dass mehr zusammengearbeitet werden müsste?

„Das sind zwei verschiedene Welten: Dogmatisch gesehen sind die Probleme zwischen Katholiken und Protestanten auf der einen sowie Katholiken und Orthodoxen auf der anderen Seite von ganz verschiedener Art – das müssen die Deutschen lernen. Es gibt eine bedingte Sakramentengemeinschaft zwischen Syrisch-Orthodoxen und den Katholiken, und in den Familien wird das auch so praktiziert. Dieses Modell ist aber so nicht nach Deutschland übertragbar – leider. Was natürlich ein Desiderat ist: dass natürlich auch die Hierarchien dementsprechend reagieren… besonders auf orthodoxer Seite.“

Was erwarten Sie sich vom Papstbesuch im Libanon? Sie haben ja auch die Synode miterlebt und sind jetzt eigens zum Papstbesuch angereist.

„Ich denke, der Papst kommt gar nicht primär in den Libanon – und es sind ja auch nur drei Tage. Es geht ja um den Abschluss der Synode, und er kommt eigentlich hierher auf ein Plateau, um tatsächlich dem ganzen Nahen Osten zu begegnen. Viele Bischöfe aus der ganzen Region, denen es möglich ist, werden dazu ja hierher kommen. Ich wünsche mir dringend, dass der Papst die Grundthemen anspricht – das ist innerkatholisch zunächst einmal die innerkatholische Ökumene, die er anmahnen wird und muss! Ich hoffe auch, dass er die soziale Frage allein schon innerhalb der christlichen Gemeinschaften anmahnen wird: Das Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich ist gerade hier im Libanon eklatant, wenn man das so sagen darf. Hier wie auch in anderen Weltteilen ist die Katholische Soziallehre immer noch das bestgehütete Geheimnis der Kirche – leider. Ich hoffe, dass er dieses Thema anspricht, denn der Druck, der hier auf den jungen Leuten lastet, ist nicht in erster Linie religiös, vielmehr ist das eine Frage des Überlebens, die Frage, eine Familie haben und menschenwürdig unterhalten zu können. Es ist in erster Linie eine soziale Frage! Hier liegt der wichtigste Grund, warum die Menschen hier aus dem Libanon abwandern, die Konfession spielt erst in zweiter Linie eine Rolle. Das war in Syrien bis vor kurzem, bis vor etwa acht Monaten, übrigens genauso. Und dann denke ich, dass der Papst am Samstag in Baabda das Thema der Religionsfreiheit ansprechen wird – das ist das A und O.“

Letzte Frage: Es gibt auch viele Erwartungen, der Papst werde sich zum Arabischen Frühling äußern. Der Vatikan sagt allerdings: Nein, das wird kein Rolle spielen.

„Ich denke, es ist Unsinn, das Thema überhaupt so polemisch anzugehen, und ich finde, in dieser Hinsicht sind unsere vatikanischen Experten sehr gut. Der Papst wird die Grundfragen angehen, was die Religionsfreiheit und die Menschenwürde betrifft. Ich gehe davon aus, dass er diese Themen angehen wird, wenn er beim Präsidenten ist und die muslimische Gemeinschaft sieht.“

(rv 14.09.2012 sk)








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