Wir dürfen uns nicht abfinden mit der Gewalt und der Verzweiflung so vieler Menschen
im Nahen Osten! - Diesen eindringlichen Friedensappell hat der Papst wenige Tage vor
seiner Reise in den Libanon ausgesandt. Am Sonntag sagte Benedikt XVI. beim Angelus-Gebet:
„Das Engagement für einen Dialog und für die Versöhnung muss für alle beteiligten
Parteien an erster Stelle stehen, und es muss von der internationalen Gemeinschaft
unterstützt werden, die sich immer mehr über die Bedeutung eines stabilen und dauerhaften
Friedens in der gesamten Region für die ganze Welt im Klaren ist. Meine apostolische
Reise in den Libanon und im weiteren Sinn in den Nahen Osten findet im Zeichen des
Friedens statt und greift die Worte Jesu auf: Ich gebe euch meinen Frieden.“
Dass
eine Stärkung der christlichen Gemeinschaft im Nahen Osten angesichts des Syrien-Konfliktes
umso dringlicher geworden ist, betonte jetzt auch Vatikansprecher Pater Federico Lombardi.
Besonders in diesen Bereichen, die bereits Thema bei der Nahostsynode 2010 im Vatikan
waren, gibt es laut Lombardi noch viel zu tun:
„Das Zusammenleben zwischen
den verschiedenen konfessionellen und religiösen Gruppierungen, der Dialog mit dem
Islam und dem Judentum, der Antrieb der Christen zur Migration, Religionsfreiheit
und Demokratie.“
Einheit nicht nur der verschiedenen Religionen im Nahen
Osten, sondern auch der Christen untereinander – diese Notwendigkeit hatte auch Papst
Johannes Paul II. 1997 bei seiner Reise in den Libanon betont. Die christlichen Kirchen
im Libanon bestehen aus katholischen Kirchen – darunter Melkiten und Maroniten, orthodoxen
Kirchen sowie altorientalischen und evangelischen Kirchen. Benedikts Vorgänger besuchte
das Land wenige Jahre nach dem Bürgerkrieg, der auch die christliche Gemeinschaft
vor eine Zerreißprobe stellte. Der gebürtige Libanese und Islamwissenschaftler Ralph
Ghadban sieht in der Uneinigkeit der Christen in seinem Heimatland ein enormes Problem
für deren Zukunft:
„Diese Zerstrittenheit führt – zusätzlich zu der Position
von bestimmten Gruppen, die den Anteil der Christen an der Gesellschaft und der Politik
wegnehmen wollen – dazu, dass ihre Gesamtposition geschwächt wird und dass sie das
Land verlassen. Die Christen haben den Bürgerkrieg eigentlich verloren. Und sie haben
im Jahr 1985 durch den Kampf zwischen den beiden Maroniten Michel Aoun [Anm. d. Red.:
libanesischer Offizier und Politiker, unterstützt heute Najib Mikati] und Samir Geagea
[Anm. d. Red.: Vorsitzende der rechtsorientierten Miliz Forces Libanaises FL] eine
Art kollektiven Selbstmord begangen. Sie spielen keine wichtige Rolle mehr wie vor
dem Bürgerkrieg, sie haben keine politische Relevanz mehr als Gründungselement des
Landes, was sie ja früher waren.“
Mit der syrischen Besatzungsmacht in
den 1990er Jahren seien die Christen weiter geschwächt worden, so Ghadban:
„Unter
der syrischen Herrschaft saßen die Führer der Christen entweder im Gefängnis oder
waren im Ausland, und die durch die Syrer ausgewählten Führer vertraten die Christen
nicht. Sie haben eine neue politische Führung installiert, die in ihrem Dienste stand.“
Durch
ungünstige politische Bündnisse mit den Schiiten und andererseits Sunniten seien die
Christen zum Spielball, zum „Accessoire“, der beiden muslimischen Gruppierungen geworden,
meint der Beobachter. Zusätzlich dazu sei das Abkommen von Taif, das u.a. die Besetzung
der politischen Ämter nach dem Bürgerkrieg regelte, eindeutig zu Ungunsten der Christen
ausgelegt worden. Ghadban:
„Im Abkommen von Taif [vom 22.10.1989, das den
libanesischen Bürgerkrieg beendete, Anm. d. Red.] wurde beschlossen, dass die Besetzung
der politischen Ämter und der Verwaltung durch jeweils 50 Prozent Muslime und 50 Prozent
Christen geregelt ist. Sie haben aber die Macht des Staatspräsidenten, also des Christen,
auf die zwei anderen Sitze verteilt, auf den Parlamentspräsidenten, einen Schiiten,
und auf den Premierminister, einen Sunniten. Daher hatten wir unter der syrischen
Herrschaft eine ,Troika‘-Führung: es gab keinen Kopf mehr. Und das passte den Syrern,
denn wenn es keinen Kopf mehr gibt, ist ja die syrische Macht die Referenz.“
Auch
in der Verwaltung seien heute weitaus weniger Christen zu finden als noch vor dem
Bürgerkrieg:
„Der Anteil der Christen in der Verwaltung ist von 43 Prozent
im Jahre 1990 auf 15 Prozent im Jahre 2010 zurückgegangen. Wenn man bedenkt, dass
der Staat der Hauptarbeitgeber im Land ist für den Lebensunterhalt, dann braucht man
diese Posten. Diese Christen sind jetzt draußen, die jungen Leute haben eine Möglichkeit
weniger und verlassen das Land.“
Ghadban sieht weiter eine „demographische
Diskriminierung“ der Christen im Libanon. Mit dem Einbürgerungsdekret von 1994 seien
zwischen 200.000 und 300.000 neue Bürger, davon 80 bis 90 Prozent Muslime, im Libanon
angesiedelt worden. Hinzu kommt der systematische Landkauf christlicher Ländereien
durch Muslime, vor allem im Südlibanon – fatale Aussichten für die Christen im Libanon:
„Unter
der syrischen Herrschaft war der Hauptkäufer Hariri selbst, überall hat er gekauft.
Jetzt sind die Hauptkäufer die Schiiten, vor allem im Südlibanon. Die Christen haben
nie, nie mehr ein Chance – selbst wenn sie aus dem Ausland zurückkehren, was ausgeschlossen
ist , wieder eine Mehrheit zu bilden. Das ist ein Zustand, den man verinnerlichen
und als Ausgangsbasis jeder Überlegung benutzen muss: Christen sind jetzt eine Minderheit
im Land, ihre Zahl variiert je nach Angabe zwischen 29 und 32 Prozent der Bevölkerung.
Vor dem Bürgerkrieg waren sie noch 51 Prozent.“
Angesichts dieser ganzen
Faktoren sei Papst Johannes Pauls Besuch im Libanon im Jahr 1997 eine Kraftspritze
für die Christen gewesen, so Ghadban. Auch bei vielen Muslimen habe der Besuch Eindruck
hinterlassen, ja er habe sogar konkrete politische Auswirkungen auf das Land und die
Rechte der Christen dort gehabt, zeigt sich der Libanese überzeugt:
„Der
Papst wollte ihre Präsenz stärken, gegen die syrische Herrschaft, wenn man so will.
Und mit Erfolg – der Besuch hat die Leute inspiriert und ihre Position gestärkt. Nicht
nur die Christen, sondern auch Muslime, vor allem unter den Sunniten. Und er hat indirekt
dazu beigetragen, dass im Jahre 2005 Syrien aus dem Libanon vertrieben wurde.“
Wird
Papst Benedikts Besuch im Libanon einen ähnlich durchschlagenden Effekt haben? Ghadban
ist eher pessimistisch, was die derzeitige politische Führung des Libanon betrifft:
„Ich weiß nicht, ob die Politik des Landes diesem Besuch eine große Bedeutung
beimessen wird. Beim Besuch Johannes Pauls im Jahr 1997 waren viele Parteien daran
interessiert, in seinem Besuch einen Akt der Opposition zur syrischen Besatzung zu
sehen. Aber jetzt ist das Interesse der Nicht-Christen an der Existenz der Christen
so gering, denen ist es egal, ob sie bleiben oder gehen.“
Radio Vatikan
überträgt alle Programmpunkte der Papstreise in den Libanon von Freitag bis Sonntag
live und mit deutschem Kommentar. Informieren Sie sich über Uhrzeiten und Inhalte
auf unser Homepage unter dem Reiter „Unser Service – Liveübertragungen“. (rv 10.09.2012
pr)