2012-09-10 14:06:45

Libanon: Einheit dringend gesucht


Wir dürfen uns nicht abfinden mit der Gewalt und der Verzweiflung so vieler Menschen im Nahen Osten! - Diesen eindringlichen Friedensappell hat der Papst wenige Tage vor seiner Reise in den Libanon ausgesandt. Am Sonntag sagte Benedikt XVI. beim Angelus-Gebet:

„Das Engagement für einen Dialog und für die Versöhnung muss für alle beteiligten Parteien an erster Stelle stehen, und es muss von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden, die sich immer mehr über die Bedeutung eines stabilen und dauerhaften Friedens in der gesamten Region für die ganze Welt im Klaren ist. Meine apostolische Reise in den Libanon und im weiteren Sinn in den Nahen Osten findet im Zeichen des Friedens statt und greift die Worte Jesu auf: Ich gebe euch meinen Frieden.“

Dass eine Stärkung der christlichen Gemeinschaft im Nahen Osten angesichts des Syrien-Konfliktes umso dringlicher geworden ist, betonte jetzt auch Vatikansprecher Pater Federico Lombardi. Besonders in diesen Bereichen, die bereits Thema bei der Nahostsynode 2010 im Vatikan waren, gibt es laut Lombardi noch viel zu tun:

„Das Zusammenleben zwischen den verschiedenen konfessionellen und religiösen Gruppierungen, der Dialog mit dem Islam und dem Judentum, der Antrieb der Christen zur Migration, Religionsfreiheit und Demokratie.“

Einheit nicht nur der verschiedenen Religionen im Nahen Osten, sondern auch der Christen untereinander – diese Notwendigkeit hatte auch Papst Johannes Paul II. 1997 bei seiner Reise in den Libanon betont. Die christlichen Kirchen im Libanon bestehen aus katholischen Kirchen – darunter Melkiten und Maroniten, orthodoxen Kirchen sowie altorientalischen und evangelischen Kirchen. Benedikts Vorgänger besuchte das Land wenige Jahre nach dem Bürgerkrieg, der auch die christliche Gemeinschaft vor eine Zerreißprobe stellte. Der gebürtige Libanese und Islamwissenschaftler Ralph Ghadban sieht in der Uneinigkeit der Christen in seinem Heimatland ein enormes Problem für deren Zukunft:

„Diese Zerstrittenheit führt – zusätzlich zu der Position von bestimmten Gruppen, die den Anteil der Christen an der Gesellschaft und der Politik wegnehmen wollen – dazu, dass ihre Gesamtposition geschwächt wird und dass sie das Land verlassen. Die Christen haben den Bürgerkrieg eigentlich verloren. Und sie haben im Jahr 1985 durch den Kampf zwischen den beiden Maroniten Michel Aoun [Anm. d. Red.: libanesischer Offizier und Politiker, unterstützt heute Najib Mikati] und Samir Geagea [Anm. d. Red.: Vorsitzende der rechtsorientierten Miliz Forces Libanaises FL] eine Art kollektiven Selbstmord begangen. Sie spielen keine wichtige Rolle mehr wie vor dem Bürgerkrieg, sie haben keine politische Relevanz mehr als Gründungselement des Landes, was sie ja früher waren.“

Mit der syrischen Besatzungsmacht in den 1990er Jahren seien die Christen weiter geschwächt worden, so Ghadban:

„Unter der syrischen Herrschaft saßen die Führer der Christen entweder im Gefängnis oder waren im Ausland, und die durch die Syrer ausgewählten Führer vertraten die Christen nicht. Sie haben eine neue politische Führung installiert, die in ihrem Dienste stand.“

Durch ungünstige politische Bündnisse mit den Schiiten und andererseits Sunniten seien die Christen zum Spielball, zum „Accessoire“, der beiden muslimischen Gruppierungen geworden, meint der Beobachter. Zusätzlich dazu sei das Abkommen von Taif, das u.a. die Besetzung der politischen Ämter nach dem Bürgerkrieg regelte, eindeutig zu Ungunsten der Christen ausgelegt worden. Ghadban:

„Im Abkommen von Taif [vom 22.10.1989, das den libanesischen Bürgerkrieg beendete, Anm. d. Red.] wurde beschlossen, dass die Besetzung der politischen Ämter und der Verwaltung durch jeweils 50 Prozent Muslime und 50 Prozent Christen geregelt ist. Sie haben aber die Macht des Staatspräsidenten, also des Christen, auf die zwei anderen Sitze verteilt, auf den Parlamentspräsidenten, einen Schiiten, und auf den Premierminister, einen Sunniten. Daher hatten wir unter der syrischen Herrschaft eine ,Troika‘-Führung: es gab keinen Kopf mehr. Und das passte den Syrern, denn wenn es keinen Kopf mehr gibt, ist ja die syrische Macht die Referenz.“

Auch in der Verwaltung seien heute weitaus weniger Christen zu finden als noch vor dem Bürgerkrieg:

„Der Anteil der Christen in der Verwaltung ist von 43 Prozent im Jahre 1990 auf 15 Prozent im Jahre 2010 zurückgegangen. Wenn man bedenkt, dass der Staat der Hauptarbeitgeber im Land ist für den Lebensunterhalt, dann braucht man diese Posten. Diese Christen sind jetzt draußen, die jungen Leute haben eine Möglichkeit weniger und verlassen das Land.“

Ghadban sieht weiter eine „demographische Diskriminierung“ der Christen im Libanon. Mit dem Einbürgerungsdekret von 1994 seien zwischen 200.000 und 300.000 neue Bürger, davon 80 bis 90 Prozent Muslime, im Libanon angesiedelt worden. Hinzu kommt der systematische Landkauf christlicher Ländereien durch Muslime, vor allem im Südlibanon – fatale Aussichten für die Christen im Libanon:

„Unter der syrischen Herrschaft war der Hauptkäufer Hariri selbst, überall hat er gekauft. Jetzt sind die Hauptkäufer die Schiiten, vor allem im Südlibanon. Die Christen haben nie, nie mehr ein Chance – selbst wenn sie aus dem Ausland zurückkehren, was ausgeschlossen ist , wieder eine Mehrheit zu bilden. Das ist ein Zustand, den man verinnerlichen und als Ausgangsbasis jeder Überlegung benutzen muss: Christen sind jetzt eine Minderheit im Land, ihre Zahl variiert je nach Angabe zwischen 29 und 32 Prozent der Bevölkerung. Vor dem Bürgerkrieg waren sie noch 51 Prozent.“

Angesichts dieser ganzen Faktoren sei Papst Johannes Pauls Besuch im Libanon im Jahr 1997 eine Kraftspritze für die Christen gewesen, so Ghadban. Auch bei vielen Muslimen habe der Besuch Eindruck hinterlassen, ja er habe sogar konkrete politische Auswirkungen auf das Land und die Rechte der Christen dort gehabt, zeigt sich der Libanese überzeugt:

„Der Papst wollte ihre Präsenz stärken, gegen die syrische Herrschaft, wenn man so will. Und mit Erfolg – der Besuch hat die Leute inspiriert und ihre Position gestärkt. Nicht nur die Christen, sondern auch Muslime, vor allem unter den Sunniten. Und er hat indirekt dazu beigetragen, dass im Jahre 2005 Syrien aus dem Libanon vertrieben wurde.“

Wird Papst Benedikts Besuch im Libanon einen ähnlich durchschlagenden Effekt haben? Ghadban ist eher pessimistisch, was die derzeitige politische Führung des Libanon betrifft:

„Ich weiß nicht, ob die Politik des Landes diesem Besuch eine große Bedeutung beimessen wird. Beim Besuch Johannes Pauls im Jahr 1997 waren viele Parteien daran interessiert, in seinem Besuch einen Akt der Opposition zur syrischen Besatzung zu sehen. Aber jetzt ist das Interesse der Nicht-Christen an der Existenz der Christen so gering, denen ist es egal, ob sie bleiben oder gehen.“

Radio Vatikan überträgt alle Programmpunkte der Papstreise in den Libanon von Freitag bis Sonntag live und mit deutschem Kommentar. Informieren Sie sich über Uhrzeiten und Inhalte auf unser Homepage unter dem Reiter „Unser Service – Liveübertragungen“.
(rv 10.09.2012 pr)








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