Sicherheitskräfte
haben am Samstagabend in Islamabad den Imam festgenommen, der eine minderjährige Christin
der Blasphemie beschuldigt hat. Nach Angaben eines Polizeisprechers haben drei Zeugen,
darunter sein Assistent, den Geistlichen beschuldigt, dem Mädchen verkohlte Seiten
eines Koran in die Tasche geschmuggelt zu haben. Sein Ziel sei es gewesen, die christliche
Minderheit in dem Wohnviertel am Stadtrand der Hauptstadt unter Druck zu setzen. Dem
Imam Hafiz Mohammed Khalid Chishti droht nun, wie der jungen Christin, ebenfalls ein
Verfahren wegen Blasphemie. Die christliche Müllsammlerin Rimsha Masih war vor 14
Tagen in Polizeigewahrsam genommen worden. An diesem Montag wollte ein Gericht in
Islamabad darüber befinden, ob sie auf Kaution freigelassen wird; die Entscheidung
wurde aber erneut verschoben, diesmal auf kommenden Freitag. Berichten zufolge hat
Rimsha das Down-Syndrom.
Der pakistanische Katholik Mobeen Shahid lehrt in
Rom an der Päpstlichen Lateran-Universität – und hat in diesen Tagen viel mit Christen
in seiner Heimat telefoniert. Er sagte uns an diesem Wochenende in einem Interview:
„Ich
habe Rimshas Anwalt Tahir Naveed Chaudry angerufen: Er sagt, dass es Rimsha im Polizeigewahrsam
sehr schlecht geht. Ihre Eltern fehlen ihr, ihr normales Umfeld, das sie kennt und
wo sie gelebt hat. Rimsha ist nach meinen Informationen 13 Jahre alt, sie ist geistig
zurückgeblieben, und nach zwei Wochen in Haft geht es ihr immer schlechter.“
Bisherige
Berichte hatten das Alter des Mädchens meistens mit elf Jahren angegeben. Die Entscheidung,
ob Rimsha auf Kaution freikommt, ist vom Gericht mehrmals aufgeschoben worden.
„In
gewisser Hinsicht ist dieses Aufschieben etwas Positives – das Gericht will eben mit
aller Vorsicht vorgehen. Auf der anderen Seite aber ist es kontraproduktiv, das sehen
wir an einer Äußerung des Anwalts von Ahmad. Ahmad ist der junge Mann, der Rimsha
beschuldigt hat, den Koran verbrannt zu haben. Der Anwalt hat wörtlich gesagt: „Wenn
nötig, wird es eben neue Mumtaz Quadris geben.“ Ein solcher Satz aus dem Mund des
Anwalts des Anklägers schürt Hass und auch Fanatismus gegen die religiösen Minderheiten!“
Mumtaz
Quadri war der Leibwächter, der letztes Jahr den Gouverneur des Bundesstaates Punjab
ermordet hat. Der Politiker, Salman Tassir, hatte sich offen gegen das Blasphemiegesetz
ausgesprochen, und er hatte Asia Bibi im Gefängnis besucht, die als Symbol bekannt
gewordene Christin, die wegen dieses Gesetzes in Haft sitzt. Diese Haltung wurde dem
Gouverneur zum Verhängnis. Sein Leibwächter erstach ihn.
„Man muss sich
vor Augen führen, dass Tassir ein Muslim war – und dass Mumtaz Quadri als Polizist
arbeitete. Quadri befürwortete das Blasphemiegesetz, weil es ihm um die Ehre des Propheten
Mohammedd ging, und darum durfte dieses Gesetz aus seiner Sicht keinesfalls angerührt
werden. Dabei hatte Tassir strenggenommen nur die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes
ändern wollen. Wenn der Anwalt von Ahmad sich jetzt also auf Mumtaz Quadri beruft,
dann schürt er damit religiösen Hass gegen alle Nicht-Muslime in Pakistan.“
Mobeen
Shahid dementiert im Interview mit uns Berichte, dass der Anwalt der kleinen Rimsha
ausgetauscht worden sei. Er bestätigt hingegen, dass insgesamt 600 Christen nach Rimshas
Festnahme aus ihrem Slum geflohen seien.
„Sie haben weiterhin Angst davor,
zurückzukehren, trotz aller Zusicherungen, die man ihnen macht. Aber sie haben erlebt,
wie es der örtlichen Polizei nicht gelungen ist, aufgehetzte Massen daran zu hindern,
ganze Dörfer in Brand zu stecken. Und sie haben erlebt, dass die Händler in ihrem
Viertel sich weigern, ihnen Lebensmittel zu verkaufen – wie könnten sie dann jetzt
auf den Gedanken kommen, wieder in ihr Viertel zurückzukehren?“
Mobeen
Shahid leitet den Verband pakistanischer Christen in Italien; er führt derzeit eine
Kampagne namens „Retten wir Rimsha Masih“ durch, der sich u.a. hundert italienische
Parlamentarier angeschlossen haben, dazu einige Bischöfe und Musliminnen aus den Golfstaaten.
Gemeinsam wollen sie an den pakistanischen Präsidenten appellieren, Rimshas Freilassung
zu verfügen. Dabei ist die junge Müllsammlerin keineswegs Pakistans einziger verfolgter
Christ – im Gegenteil:
„In Pakistan werden die religiösen Minderheiten verfolgt,
und damit auch die Christen. Ihre Lage hat sich kontinuierlich verschlechtert, seit
letztes Jahr Shahbaz Bhatti ermordet wurde, der christliche Minister für die Angelegenheiten
von Minderheiten. Shahbaz war noch jedem Fall von Diskriminierung von Minderheiten
gefolgt, hatte sich jedes Mal vor Ort informiert und ist an den Fällen drangeblieben.
Letztes Jahr gab es nun fast tausend Fälle von Zwangsbekehrungen zum Islam und von
damit zusammenhängenden Morden; dieses Jahr liegt die Zahl schon bei fast zweitausend.
Pakistan ist heute ein Opfer des Extremismus im Namen der Religion. In Wirklichkeit
ist dieser Extremismus aber gar nicht an eine Religion gebunden, sondern ist ein übergreifendes
Phänomen.“
Immer noch in Haft sitzt in Pakistan die bereits genannte Asia
Bibi, Mutter von fünf Kindern: Die Christin war 2010 wegen angeblicher Blasphemie
festgenommen worden, zeitweise drohte ihr die Todesstrafe. Viele haben sich vom Ausland
aus für sie eingesetzt, aber gebracht hat das nichts.
„Auch Asia Bibi geht
es sehr schlecht nach diesen fast zwei Jahren in Einzelhaft. Der Berufungsprozess
ist noch beim Obersten Gericht von Lahore in Gang. Wir hoffen immer, dass es einmal
zu einer Anhörung kommt, aber aus Sicherheitsgründen war dies bisher nicht der Fall.“
Der
Leiter der bischöflichen Justitia-et-Pax-Kommission, Pater Emmanuel Yousaf, hat an
diesem Montag an der gerichtlichen Anhörung in Islamabad im Fall Rimsha Masih teilgenommen.
Im Gespräch mit dem vatikanischen Fidesdienst erklärte er sich davon überzeugt, dass
das Mädchen am Freitag vom Gericht auf freien Fuss gesetzt werde. Aus seiner Sicht
werde der Fall Rimsha „ein Exempel statuieren“. Vor dem Gericht habe es keine Kundgebungen
gegen Rimsha oder für den verhafteten Imam gegeben. Stattdessen häufen sich nach Yousafs
Darstellung auch von muslimischer Seite Zeichen der Solidarität. So habe der Mufti
einer Moschee in Karatschi angekündigt, Rimsha und ihre Familie bei sich aufzunehmen.