Papst Benedikt: Nähe zu Gott muss von innen kommen
An diesem Sonntag
neigt sich in Castel Gandolfo das traditionelle jährliche Treffen des „Schülerkreises“
seinem Ende zu. Drei Tage lang haben sich ehemalige Doktoranden und wissenschaftliche
Mitarbeiter Joseph Ratzingers mit dem Thema Ökumene beschäftigt, bei einigen der Veranstaltungen
war auch der Papst selbst anwesend. Offiziell wird das Treffen am Montag mit einer
gemeinsamen Messe beendet. Auch am Sonntagmorgen stand der Papst einer feierlichen
Messe für die Mitglieder des alten und neuen Schülerkreises in der Kapelle des Zentrums
Mariapoli in Castel Gandolfo vor. Bei dieser Gelegenheit hat er, wie beim anschließenden
Angelus im Innenhof von Castel Gandolfo, über das Wort Gottes, das seinem Volk als
Gesetz geschenkt wurde, reflektiert:
„Da ist im Deuteronomium die „Freude
am Gesetz“: Gesetz nicht als Fessel, als etwas, das uns Freiheit nimmt, sondern als
Geschenk und Gabe. Wenn die anderen Völker zu diesem großen Volk hinschauen werden
– so sagt die Lesung, so sagt Mose -, dann werden sie sagen: Welch ein weises Volk!
Sie werden die Weisheit dieses Volkes bewundern, die Gerechtigkeit des Gesetzes bewundern
und die Nähe des Gottes, der zu ihm steht und ihm antwortet, wenn er angerufen wird.
Dies ist die demütige Freude Israels, beschenkt zu sein von Gott. Das ist etwas anderes
als Triumphalismus, als Stolz auf das Eigene: Es ist nicht stolz auf das eigene Recht,
wie etwa Rom auf das römische Recht als Gabe an die Menschheit stolz sein durfte,
wie Frankreich vielleicht auf den „Code Napoléon“, Preußen auf das Preußische Landrecht
usw. stolz ist – Rechtsleistungen, die wir anerkennen.“
Israel wisse jedoch
genau, so der Papst weiter, dass das Gesetz nicht selbst gemacht und nicht Frucht
seiner eigenen Genialität sei, es sei vielmehr ein Geschenk Gottes. Die geschenkte
Weisheit könne nur durch das Eingreifen des Menschen ihrer Würde beraubt werden, zur
Fessel werden oder zur Selbstgerechtigkeit führen. Die Kirche selbst sei das universal
gewordene Israel, das sich auf seinen Kern zurückbesinnen müsse: Auf Christus, der
selbst das Leben und die Wahrheit sei. Sie müsse dankbar dafür sein, durch Christus
aus der Dunkelheit geführt worden zu sein. Dabei sei jedoch auch sie nicht gefeit
vor dem Phänomen der Selbstgerechtigkeit und des unverdienten Triumphalismus.
„Was
sollen wir tun, was sollen wir sagen? Wir sind, glaube ich, gerade in dieser Phase,
dass wir nur noch das Selbstgemachte an der Kirche sehen und uns die Freude am Glauben
verdorben ist. Dass wir nicht mehr glauben und wagen, zu sagen: Er hat uns gezeigt,
wer die Wahrheit ist, was die Wahrheit ist, er hat uns gezeigt, was der Mensch ist,
er hat uns die Gerechtigkeit des rechten Lebens geschenkt. Wir fürchten, dass wir
nur uns selber rühmen, und wir fürchten, dass wir nur uns fesseln lassen von Vorschriften,
die uns an der Freiheit und Neuheit des Lebens hindern.“
Die Wahrheit müsse
wieder als das entdeckt werden, das sie sei. Sie sie kein Gut, das man besitzen könne,
sondern vielmehr besitze sie uns: erst dann werde sie wieder leuchten, wenn sie selbst
uns führe und durchdringe, ohne dem Intellektualisieren zum Opfer zu fallen.
„Liebe
Freunde, wir wollen den Herrn darum bitten, dass uns dies geschenkt werde. Der hl.
Jakobus sagt heute in der Epistel: „Ihr dürft das Wort nicht nur hören, ihr müsst
es tun.“ Das ist eine Warnung vor der Intellektualisierung des Glaubens und der Theologie.
Das ist meine Befürchtung in dieser Zeit, wenn ich soviel Gescheites lese: dass das
zu einem Spiel des Intellekts wird, in dem wir uns die Bälle zuwerfen, in dem das
alles nur noch intellektuelle Welt ist, die unser Leben nicht durchdringt und formt,
uns daher nicht in die Wahrheit hineinführt. Ich glaube, gerade uns als Theologen
betrifft dieses Wort des heiligen Jakobus: Nicht bloss hören, nicht bloss hören –
tun, sich von der Wahrheit formen lassen, sich von ihr führen lassen!“
Die
Annäherung an Gott könne nur auf der inneren Ebene geschehen. Dabei müsse es stets
aufs Neue überraschen und erfreuen, wenn nicht sogar bestürzen, dass Gott uns so nahe
gekommen sei, dass er tatsächlich Mensch geworden sei.
„Lassen wir uns von
dieser Freude wieder neu erfüllen: Wo ist ein Volk, dem sein Gott so nahe ist wie
uns der unsrige? So nahe, dass er einer von uns ist; dass er mich von innen her anrührt;
ja, dass er in der heiligen Eucharistie in mich hereintritt. Ein geradezu bestürzender
Gedanke... Der heilige Bonaventura hat in seinen Kommuniongebeten einmal aus der Erschütterung
über diesen Vorgang eine Formulierung gebraucht, die einen fast erschreckt; er sagt:
Mein Herr, wie konntest du darauf kommen, in die schmutzige Latrine meines Leibes
einzutreten? Ja, er tritt herein in unsere Armseligkeit, er tut es wissend, und er
tut es, um uns zu durchdringen, zu reinigen und zu erneuern, damit durch uns, in uns
Wahrheit in der Welt sei und Heil werde. Bitten wir den Herrn um Vergebung für unsere
Gleichgültigkeit, für unsere Armseligkeit, die nur an sich selber denkt, für unsere
Selbstsucht, die nicht der Wahrheit nachgeht, sondern der eigenen Gewohnheit und Christentum
vielleicht oft nur als ein System von Gewohnheiten erscheinen lässt. Bitten wir Ihn,
dass er mit Macht in unsere Seelen eintritt, dass Er da ist in uns und durch uns –
und dass somit auch in uns die Freude entstehe: Gott ist da, und er liebt mich, er
ist unser Heil! Amen.“