Der vatikanische „Kulturminister“
Kardinal Gianfranco Ravasi war als Bibelwissenschaftler seinerzeit Schüler von Kardinal
Carlo Maria Martini; heute leitet Ravasi mit dem „Vorhof der Völker“ eine ähnliche
Dialoginitiative mit den Nichtglaubenden wie damals Martini. Ravasi würdigt den verstorbenen
Mailänder Kardinal im Gespräch mit uns als einen Mann, dessen Blick immer auch auf
das gerichtet war, „was jenseits der Grenzen liegt".
„Seine Funktion war
quasi die des Propheten, wenn Prophet an sich jemand ist, der, verwurzelt in der Geschichte,
die Spannungen erahnt. Manchmal wurde der Vorwurf laut, Kardinal Martini habe Dinge
gesagt, die mit dem Lehramt im Widerspruch standen, etwa über Bioethik. In Wirklichkeit
hatte er einen eisernen, einen auf Fels gebauten Glauben; einen Glauben, der aber
auch extrem sensibel war für die Tatsache, dass die Gesichter der Wirklichkeit viele
andere Facetten haben, die eben auch berücksichtigt werden müssen. In diesem Licht
kann man wohl sagen, sein Blick ging über Grenzen hinaus.“
Noch in mindestens
einem anderen Punkt gibt es eine große Übereinstimmung zwischen Ravasi und Martini:
Beide haben vielbeachtete Bibelauslegungen und Schriftmeditationen gehalten. Ravasi
über Martini:
„Er hatte immer die Fähigkeit, von der Wirklichkeit auszugehen
und während des Gehens in der Zeit auf die Ewigkeit zu schauen, und dort leuchtete
immer die Lampe des Wortes. Papst Benedikt selbst erinnerte mehrmals an die von Kardinal
Martini geleiteten Bibelmeditationen im Dom von Mailand, die dann aussstrahlten in
die Pfarreien und Gemeinden dieser riesigen Diözese. Diese Bibelmeditationen waren
grundlegend, weniger weil Martini Bibelwissenschaftler war, sondern weil er fähig
war, nicht bloß über die Bibel zu sprechen, sondern gewissermaßen „die Bibel zu sprechen“.
Viele seiner Bücher sind so entstanden, sie waren Früchte seines Sprechens.“