2012-08-29 13:18:15

Tunesien: „Die Frauen sind tief enttäuscht“


RealAudioMP3 Die Proteste von Frauen in Tunesien dauern an: Seit zwei Wochen demonstrieren Frauenrechtlerinnen im neuen Tunesien. Streitpunkt ist ein geplanter Gesetzesartikel. Bei dem vieldisktutierten Artikel 28 des Verfassungsentwurfs heißt es, dass Frauen eine "Ergänzung zum Mann in der Familie" seien. Ohne das Engagement von Frauen wäre die „Arabische Revolution“ niemals in Gang gekommen, sagt die tunesische Anwältin und Frauenrechtlerin Bochra Belhaj Hmida im Gespräch mit Radio Vatikan. Dennoch sei sie sehr besorgt darüber, dass unter der neuen Regierung die Rechte der Frauen unter die Räder geraten könnten.

„Die Frauen sind tief enttäuscht. Das betrifft nicht nur die Frauen, die in den Städten wohnen. Viele sagen nämlich, dass nur in den urbanen Gebieten die Frauen protestieren - aber das stimmt schlichtweg nicht. Auch in ländlichen Gebieten gibt es viele Tunesierinnen, die für die Rechte der Frauen einstehen. Was sie verbindet, ist, dass sie sich fragen, was aus der Revolution geworden ist.“

Die Revolte, die von Tunesien ausging und sich dann in andere Länder ausweitete, hat in Tunesien wie anderswo vor allem islamistische Kräfte nach oben gespült. Das macht Frau Belhaj Hmida misstrauisch.

„Es gab nie in Tunesien eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Aber heute sieht es sogar so aus, dass sich die islamische Religion stärker denn je in die Politik einmischt. Dabei werden besonders die Rechte der Frauen in den Hintergrund gerückt - auf jeden Fall geht es den Herren nicht darum, diese Rechte auf irgendeine Weise zu fördern.“

Die Rolle der katholischen Kirche sei marginal, so Belhaj Hmida. Kein Wunder: Es gibt so gut wie keine einheimischen Katholiken (mehr) in Tunesien.

„Die katholische Kirche in Tunesien ist eine Minderheit. Anders sieht es mit dem Islam aus, der ja in fast allen arabischen Ländern dominiert. Das ist ja auch der große Unterschied zu Europa: Im Westen wurde nämlich eine klare Trennung zwischen Religion und Politik durchgeführt. Und das fehlt uns.“

Soziale Errungenschaften könnten nur dann fortbestehen, wenn sie auch international gälten und garantiert würden, so die Frauenrechtlerin.

„Die internationale Staatengemeinschaft ist nicht einheitlich. Es gibt Staaten auf der Welt, die sich gegen die Frauenrechte engagieren. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Institutionen wie die UNO mit den Menschrechten durchsetzen. Nur so haben wir eine Chance, dass wir eine wahrlich global gültige Achtung der Rechte der Frauen garantieren können.“


Hintergrund
Die Proteste in Tunesien richten sich vor allem gegen die Regierung der islamistischen Partei „Ennahda“ (Wiedererwachen). Höhepunkt waren die Demonstrationen vom 13. August, dem Nationalen Tag der Frauen, in der Hauptstadt Tunis und anderen Städten. Zehntausende Frauen nahmen daran teil, so der TV-Sender „Al Jazeera“. Die Demonstranten forderten Gleichheit und die Rechte der Frauen in der Verfassung, die derzeit von der islamistischen Regierung ausgearbeitet wird. Derzeit wird an einer neuen Verfassung für das Land gearbeitet. Ursprünglich sollte sie bereits im Oktober verabschiedet werden. Zuletzt wurde das Frühjahr 2013 als wahrscheinlicher Termin genannt.

(rv 29.08.2012 mg)







All the contents on this site are copyrighted ©.