2012-08-23 15:46:54

Ethikrat-Mitglied Losinger: „Rechtssicherheit bei Beschneidung“


RealAudioMP3 Wie könnte Rechtssicherheit beim Thema religiöse Beschneidung in Deutschland aussehen? Darüber hat der Deutsche Ethikrat an diesem Donnerstag auf einer öffentlichen Plenarsitzung beraten. Durch das Urteil des Kölner Landgerichtes, wonach Beschneidung aus religiösen Motiven als strafbare Körperverletzung gilt, sei ein „Grundrechte-Dilemma“ entstanden, meint Ethikrat-Mitglied Anton Losinger. Religionsfreiheit und Erziehungsfreiheit der Eltern stünden in Konkurrenz zum Recht auf gesundheitliche Integrität des Kindes. Anne Preckel erreichte den Augsburger Weihbischof direkt nach der Sitzung in Berlin:

„Die Frage, ob es zu einem eigenen Gesetz oder zu einem Entschluss im Bundestag kommt, ist offen. Die heutige Debatte des deutschen Ethikrates diente zunächst einmal dazu, dass sich der Ethikrat – auch mit Blick auf die Informationen der Öffentlichkeit und der Politik – intensiv mit der Frage auseinandersetzen. Deshalb waren sowohl Juristen mit unterschiedlichen Standpunkten da, Theologen, aber auch zwei Angehörige der beiden betroffenen Religionsgemeinschaften. Vor allem auch der Bericht über die Vorgehensweise bei einer Beschneidung und die Legitimation in diesem kulturellen und religiösen Kontext war von hoher Bedeutung für unsere Debatte.“

Welche guten Gründe müssen gegeben sein, damit ein kleines Kind, das für sich selbst noch nicht bestimmen kann, eine Körperverletzung an sich erleiden lassen muss? So spitzt Losinger die Grundfrage beim Bescheidungsstreit zu. Eine gesetzliche Antwort dürfe keinesfalls die praktische Dimension der Beschneidung auslassen.

„Was die praktische Durchführung angeht, muss mit denjenigen, die Beschneidungen vornehmen, über mehrere Punkte Klarheit geschaffen werden: erstens die Frage der Anästhesie und des Schmerzes, der Kindern zugefügt wird, dann die ärztliche Frage, drittens eine genügende Aufklärung der Eltern auch über Folgen, die ein solcher Eingriff mit sich bringt. Ich denke auch an eine entsprechende Statistik, was die Konsequenzen von Beschneidungen im Horizont der bereits erfolgten Eingriffe bedeutet.“

Eine eindeutige empirische Grundlage sei hier bislang nicht erkennbar, bemängelt Losinger. Ein zweiter wesentlicher Klärungsbereich sei die „grundgesetzliche Wertvorstellung“, die mit der „wesentlichen Grundsatzfrage“ der Beschneidung zusammenhänge, so Losinger:

„Da zitiere ich da den berühmten deutschen Grundrechtstheoretiker Ernst-Wolfgang Böckenförde, der einmal sagte, der freiheitliche demokratische Rechtsstaat lebe von Voraussetzungen, die er sich nicht selber setzen und garantieren kann. Deshalb denke ich, dass in diesem Kontext mit der religiösen Beheimatung eines Kindes in seinem Kulturkreis ein möglicher guter Grund genannt sein kann, der auf der anderen Seite den Eingriff in die Integrität der Gesundheit des Kindes rechtfertigt. Und an diesem Fall treffen auch Elternverantwortung und elterliches Erziehungsrecht zusammen mit der Frage nach dem Wohl des Kindes.“

Er selbst habe noch nie eine Ethikrat-Sitzung erlebt, die so voll von Medienvertretern war, fügt Losinger an. Die enorme mediale Beachtung des Themas hat nach Ansicht des Experten mit der „inneren Verfassung unserer modernen und pluralistischen Gesellschaft“ zu tun. Für sie sei der Islam und das Judentum eine Reibungsfläche:

„Diese Religionsgemeinschaften – Islam und Judentum – sind auf eine ganz eigene Weise nicht kompatibel mit einem modernen, liberalen Zeitgeist, sie sind anders. Eines der großen Publikationsorgane titelte: ,Passt euch an!’ Und gerade das ist es nicht, was diese Religionsgemeinschaften tun. Und deshalb meine ich, könnte die Frage der Beschneidung eine Art Stellvertreterdebatte sein, die die Frage der religiösen Identität der Menschen im freiheitlich-demokratischen, säkularen Staat betrifft. Und ich denke, ich greife nicht zu hoch, wenn ich sage, dass das auf beiden Seiten ein gewisses Maß an Verunsicherung erzeugt hat.“

(rv 23.08.2012 pr)









All the contents on this site are copyrighted ©.