In Russland und den
westlichen Ländern hält das Unbehagen über das Gerichtsurteil gegen die drei Musikerinnen
der Punkband „Pussy Riot“ an. In Städten wie Zürich, Wien, Köln und Kiew kam es zu
teils ähnlich provokanten Solidaritätsbekundungen für die Sängerinnen wie deren Aktion
selbst; in Köln soll die Störung des Gottesdienstes ein Nachspiel haben, das Domkapitel
hat rechtliche Schritte gegen die „Pussy-Riot"-Unterstützer angekündigt, die sich
während einer Messe am Sonntag Masken über den Kopf stülpten und in Gebrüll ausbrachen.
Das Moskauer Gericht hatte die drei jungen Musikerinnen am Freitag zu zwei
Jahren Straflager verurteilt. Das Urteil sei unangemessen hoch, hieß es umgehend aus
den USA, der EU und namentlich Deutschland, wo sich etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel
entsprechend äußerte. Der russische Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch konterte,
dass auch die Gesetzgebung westlicher Länder, darunter Deutschland und Österreich,
Strafen für die Störung der Religionsausübung vorsehe. Wer „beschimpfenden Unfug“
an einem Ort verübt, der dem Gottesdienst gewidmet ist, wird mit bis zu drei Jahren
Haft oder mit einer Geldbuße bestraft, heißt es etwa im deutschen Strafgesetzbuch.
Allerdings verhängen deutsche Gerichte bei Unbescholtenen im allgemeinen zunächst
eine Strafe auf Bewährung. Anders der Richtspruch gegen die russischen Musikerinnen,
die nie zuvor straffällig geworden waren: Sie haben nicht die Chance, durch korrektes
Verhalten in einer festgesetzten Zeitspanne dem Straflager zu entgehen.
In
der Tat fiel die Moskauer Sentenz härter aus, als es vergleichbare Fälle in der Vergangenheit
hätten vermuten lassen. Bisher hatten russische Gerichte wegen ähnlicher Delikte letzten
Endes eher niedrige Geldstrafen verhängt. Allerdings blenden zumal westliche Berichte
die besondere religiöse Sensibilität orthodoxer Gläubiger oft aus. Die drei Musikerinnen
waren in ihrer Störaktion „motiviert von religiösem Hass“, heißt es in der Begründung
des Urteils. Tatsächlich sahen sich viele russisch-orthodoxe Gläubige durch die politische
Punk-Aktion in ihren religiösen Gefühlen tiefer verletzt, als sich westliche Beobachter
das vorstellen können. Die drei Frauen hatten im Februar mit verhüllten Häuptern im
Altarraum der Moskauer Kathedrale Anti-Putin-Parolen gerufen und die Hilfe der Gottesmutter
„erfleht“. Ein klar blasphemischer Akt, denkt mehr als jeder dritte Russe. Nur vier
Prozent würden eine Begnadigung der Musikerinnen begrüßen, heißt es in einer Studie
des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada, das 1.600 Personen befragte.
Und 53 Prozent der Russen denken, dass jeder das Recht habe, den Moskauer Patriarchen
öffentlich zu kritisieren – aber nicht in der Kirche.
Andererseits kritisierten
auch einzelne orthodoxe Gläubige und sogar Geistliche das Urteil als zu hart. In Südwestrussland
erklärte ein Diakon seinen Rücktritt aus dem Klerikerstand und begründete in einem
offenen Brief an den Moskauer Patriarchen Kyrill seinen Protest damit, dass die Sentenz
„von einem Kirchengericht diktiert“ sei - ein Vorwurf, den das Patriarchat als absurd
zurückwies, kein Kirchengericht habe sich jemals mit der Angelegenheit befasst. Zwar
hatte das Moskauer Patriarchat die Punk-Aktion als blasphemisch verurteilt, es bat
aber nach der Urteilsverkündung für die drei Angeklagten um „Milde im Rahmen der Gesetze“.
Die katholische Kirche in Russland und der Heilige Stuhl haben auf eine Stellungnahme
zu der Sentenz verzichtet. Eine russische Zeitung, Nezavisimaja Gazeta, zeigte sich
überrascht, dass Papst Benedikt keine Solidarität mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill
beim Thema Verteidigung des christlichen Glaubens geäußert habe; dabei liege dieses
Thema doch beiden Religionsführern am Herzen.