Sie ist elf, behindert
und soll Gott gelästert haben: In Pakistan ist in der vergangenen Woche ein Mädchen
mit Down-Syndrom verhaftet worden, weil sie Seiten eines Koran-Lesebuches verbrannt
haben soll. Blasphemie, so der Vorwurf gegen das Kind, das nun einem Richter vorgeführt
werden soll. Die Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern hat sich dramatisch
entwickelt, sagt die Aachener Islamwissenschaftlerin Rita Breuer: Gewaltsame Übergriffe
gegen Gläubige, Kirchen, christliche Symbole, Wohnhäuser und Geschäfte von Christen
in Pakistan, Saudi-Arabien, Afghanistan, Iran, Nigeria und auf den Malediven stellten
aber nur die Spitze des Eisbergs dar. Das betont die Autorin des Buches „Im Namen
Allahs? Christenverfolgung im Islam?“ im Interview mit dem Domradio Köln. Denn daneben
gebe es viele rechtliche und politische Benachteiligungen von Christen, so Breuer:
„Überall
da, wo der Islam einfach als Staatsreligion eine privilegierte Stellung hat und auch
das Rechtssystem weitgehend prägt, kommt es automatisch dazu, dass andere Religionsgemeinschaften
- so auch die Christen - weniger privilegiert sind. Das heißt, sie dürfen bestimmte
Staatsämter nicht ausüben, sie dürfen nicht Richter werden, sie dürfen manchmal bestimmte
Berufe nicht ergreifen.“
Das ist zum Beispiel in Ägypten der Fall, wo
Verwaltung und Regierung nahezu vollständig „christenfrei“ sind. In Indonesien haben
Christen zum Beispiel immer wieder Probleme mit Proselytismus-Vorwürfen und beim Bau
von Kirchen.
„Was die Religionsausübung angeht: Die soll eigentlich geschützt
sein, aber es ist in der Tat so, dass es da gerade wenn es um den Bau von Kirchen
geht, um den Unterhalt christlicher Gebäude, viele behördliche Schikanen gibt. Dass
man den Christen immer wieder unterstellt, sie wollten missionieren, sie wollten die
Muslime von ihrer Religion abbringen. Also, auch die Religionsausübung wird sehr eingeschränkt.
Ganz besonders gilt das in der Tat für jede Form von Mission, und damit ist auch eine
besonders schwierige Situation der Konvertiten vom Islam zum Christentum verbunden.“
In Saudi-Arabien sei die Lage der Christen immer noch am schlimmsten.
„Das
trägt geradezu phobische Züge dort, die Angst vor dem Christentum! Da ist wirklich
jede nichtislamische Religionsausübung verboten. Man darf noch nicht einmal ein Kreuz
an der Kette haben, keine Bibel zum persönlichen Gebrauch mit sich führen. Es ist
auch jede pastorale Versorgung der vielen christlichen Gastarbeiter im Land völlig
unmöglich, etwa von den Philippinen. Das ist das Schlimmste, was die Bandbreite zu
bieten hat.“
Freilich gebe es auch liberale Muslime, die Christen schätzten
und schützten, so Breuer. Allerdings werde es in der „momentanen Phase, in der der
politische Islam sehr erstarkt, einflussreich wird und auch international unterstützt
wird“, zunehmend schwer, sich Gehör zu verschaffen. Positives Beispiel für ein tolerantes,
muslimisches Land sei das afrikanische Gambia, meint Breuer. Wobei man hier ergänzen
muss, dass die politische Freiheit in Gambia laut anderen westlichen Beobachtern sehr
eingeschränkt ist.
„Das ist das einzige Land mit mehrheitlich muslimischer
Bevölkerung, in dem es überhaupt keine religiöse Diskriminierung gibt. Das liegt einfach
an dem säkularen Staatswesen. Dort gibt es keine Staatsreligion. Insofern sind alle
Religionsgemeinschaften de jure, aber auch de facto gleichberechtigt. Es gibt natürlich
andere Länder, wo entweder einfach ein liberalerer Islam gelebt wird oder auch die
Herrscher jeweils die Christen als Allianzpartner gegen den Islamismus ansehen. Das
ist zum Beispiel in Jordanien der Fall, das ist in Marokko der Fall, das war bzw.
ist in Syrien der Fall, da weiß man momentan nicht, wie sich die Dinge entwickeln.“
Extremistische Muslime rechtfertigten die Verfolgung Andersgläubiger „im
Namen Allahs“, wie Breuer mit ihrem Buchtitel andeuten will. Gibt es Hinweise im Koran,
die eine Andersbehandlung anderer Religionen rechtfertigen würden? Breuer ist der
Ansicht, dass das in Grundzügen der Fall ist.
„Der Koran bezeichnet die
Christen als Leute des Buches, als Empfänger einer göttlichen Offenbarung, die grundsätzlich
zu achten sind, die aber den Muslimen moralisch-theologisch unterlegen sind . Der
Islam ist die letzte und beste Religion, so sagt es der Koran. Damit ist letztlich
auch gegeben, dass die Christen in islamischen Staaten untergeordnete Positionen einnehmen
und die Muslime letztlich das Sagen haben. Insofern gibt es schon eine koranische
Grundlegung für die Ungleichbehandlung - nicht für die Verfolgung, die wir jetzt vielerorts
sehen, und für die gewaltsamen Übergriffe.“
Extremisten gäben sich hier
die Losung: „Christen sind Ungläubige, und Ungläubige müssen bekämpft werden“, so
Breuer. Auf der anderen Seite setzten sich aber viele liberale Muslime für eine Anpassung
des Islams ein, fügt die Expertin an. Sie wollten den Koran „ins 21. Jahrhundert übersetzen“
und Christen als „ebenbürtig und gleichberechtigt“ behandeln.